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HERRSCHAFT/1856: Linkspartei - die Mitte bringt Mehrheiten ... (SB)



Er hatte sehr hohe Popularitätswerte, er strahlte weit über das eigene Wählermilieu hinaus aus. Also, es gab viele Wähler von SPD, von Grünen, aber auch von der CDU, die sich positiv zu seiner Arbeit geäußert haben. Beispielsweise ist auch ein erheblicher Teil von CDU-Wählern zur Linkspartei gewandert.
Roberto Heinrich (Demoskop von infratest dimap) über Bodo Ramelow [1]

Unter Danaergeschenk versteht man eine Gabe, die sich für den Empfänger als unheilvoll und schadenstiftend erweist. Der Begriff stammt aus der griechischen Mythologie und wurde in Anlehnung an das hölzerne Trojanische Pferd gebildet, mit dessen Hilfe die "Danaer" - bei Homer eine Bezeichnung für die Hellenen - die Stadt Troja eroberten. Als Danaergeschenk könnte man in gewisser Weise auch den historischen Erfolg Bodo Ramelows bei den Landtagswahlen in Thüringen auffassen, unter dessen Führung die Linkspartei mit 31 Prozent erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland wurde. Während seine Partei bundesweit im einstelligen Bereich stagniert und ohne Aussicht auf nennenswerte Zuwächse eher eine Tendenz in Richtung Fünf-Prozent-Marke fürchten muß, hat der Ministerpräsident zu Hause ein beispielloses Spitzenergebnis eingefahren. Daß die Parteiführung in Berlin dennoch nicht in Euphorie ausbrechen und eine fundamentale Trendwende beschwören mag, hängt unmittelbar damit zusammen, daß sein Erfolg nicht gerade mit Positionen assoziiert wird, welche die Gesamtpartei bislang als ihr Kerngeschäft ausgewiesen hat.

Galt Ramelow bis dato in seiner Partei eher als begabtes Stiefkind, dessen Erfolge man sich natürlich ans Revers heftete, ohne deswegen seinen Kurs mit dem der Gesamtpartei gleichzusetzen, könnte sich das künftig ändern. Hätte die Wählerschaft für eine Fortsetzung der Koalition mit SPD und Grünen gesorgt, wäre dies als mögliche Blaupause zur späteren Verwendung auch auf Bundesebene fürs erste in der Schublade gelandet. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse ist inzwischen jedoch selbst eine Koalition mit der CDU nicht ausgeschlossen, so daß Ramelow auch in dieser Richtung den Eisbrecher abgeben könnte. Das bliebe nicht ohne Auswirkungen auf die Gesamtpartei, sofern diese - mit oder ohne die in solchen Fällen simulierten Bauchschmerzen - ihren sattelfesten Ministerpräsidenten zum Erfolgsmodell kürt. Winfried Kretschmann läßt grüßen, wenn man von einem entscheidenden Unterschied absieht. In dessen Kielwasser des grünen Kapitalismus schwimmen die Grünen nach oben, während sich eine Linkspartei, die keine mehr ist, überflüssig machen würde.

Vor fünf Jahren galt Ramelows Amtsantritt noch als Experiment mit ungewissem Ausgang, heute hat er seine Existenz als erster und bislang einziger Regierungschef seiner Partei derart normalisiert, daß seine Person für sich genommen ein Erfolgsgarant ist. Ramelow ist das alles überstrahlende, freundliche Gesicht der Partei und gilt als gemütlicher Landesvater, der jedes Problem schon irgendwie regeln wird. Er hat nicht so sehr Stimmen dazugewonnen, weil er Die Linke in ihrer Mehrheit repräsentiert, sondern obwohl er ihr angehört. Wie die Wiener Tageszeitung Der Standard schreibt, habe "der pragmatische Gewerkschafter Ramelow (...) das Land zur Zufriedenheit vieler regiert, er verfolgt keine kommunistischen Utopien". [2] Er hat als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen so sozialdemokratisch regiert, daß der SPD die Luft wegbleibt. In der wohlwollenden Berichterstattung der bürgerlichen Medien im Umfeld der Wahl fehlt es selten an dem Hinweis, daß er zu seiner Partei auf Distanz gegangen sei. Diskussionen um Enteignung von Wohnungskonzernen wie in Berlin bezeichnete er als "überflüssig", der Parteiführung bescheinigte er, "vom Regieren haben die keine Ahnung". [3] Wahlwerbevideos und Plakate Ramelows kamen ohne Schriftzug der Linkspartei aus, in manchen Gegenden wurde nur "Bodo Ramelow!" plakatiert, ohne Foto und Slogan, allein der Name ist politisches Programm. [4]

Seines Erfolges gewiß, legte Ramelow im Wahlkampf Wert darauf, nicht nur seine Partei, sondern auch die Koalitionspartner zu stärken, die er sich zum Weiterregieren warmhalten wollte. An einem Absturz von Sozialdemokraten und Grünen könne ihm nicht gelegen sein, betonte der Ministerpräsident, wobei nicht restlos auszuschließen ist, daß diese paternalistische Umarmung die beiden Parteien in den Augen der Wählerschaft erst recht zu einem profillosen Anhängsel degradiert hat. Jedenfalls ist der Plan nicht aufgegangen, so daß nun verschiedene Optionen gedreht und gewendet werden. Die Landesverfassung erlaubt es Ramelow, auf unbestimmte Zeit weiterzuregieren, ein Haushalt fürs nächste Jahr ist verabschiedet, und da er keine Mehrheit gegen sich hat, kann er in aller Ruhe zu Werke gehen.

"Die Demokratie in Thüringen hat gewonnen und sie hat uns jetzt eine komplizierte Aufgabe gestellt, aber Demokraten sollten miteinander in der Lage sein für eine ausreichende Kraft im Parlament zu sorgen", erklärte Ramelow. "Wir werden CDU, SPD, FDP, Grüne einladen - und dann werden wir sehen, ob es eine festere Koalition, eine absolute Koalition oder ein Tolerierungsmodell geben kann." Er habe allerdings "noch nicht genau verstanden, was die CDU im Moment präferiert".

In der CDU ist in der Tat eine heftige Kontroverse ausgebrochen, nachdem der Thüringer Spitzenkandidat Mike Mohring eine Kehrtwende angedeutet hat. Seine Partei, die in diesem Bundesland seit 1990 stets die meisten Stimmen bekommen hatte, ist auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis noch hinter die AfD auf Platz drei abgestürzt. Rettung tut not, und sei es unter Mißachtung heiliger Schwüre im Wahlkampf, man schließe eine Koalition mit der AfD oder der Linkspartei definitiv aus. "Die CDU in Thüringen ist bereit für Verantwortung, wie auch immer die aussehen kann und sollte", verkündete Mohring nun. "Deswegen muss man bereit sein, nach diesem Wahlergebnis auch Gespräche zu führen. Ohne was auszuschließen, aber in Ruhe und Besonnenheit." Darüber werde "alleine in Thüringen" entschieden, nicht in den Parteizentralen. "Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht."

Selbst aus dem eigenen Landesverband setzte es geharnischten Widerspruch. Thüringens CDU-Vize-Chef Mario Voigt zeigte sich "höchst irritiert über die in den Medien verbreiteten Gesprächsangebote". Es habe gute Gründe gegeben, vor der Wahl eine Koalition mit der Linken auszuschließen. "Das ist eine Partei, die den Sozialismus wieder einführen will", warnte Voigt. Der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete und Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, sieht keine Chance für die Duldung einer von Ramelow geführten Minderheitsregierung. Der Ministerpräsident stehe nicht für die Linkspartei in Thüringen, aber: "Herr Ramelow ist nicht ohne die Linke zu bekommen." Der Mittelstandschef der Union, Carsten Linnemann, forderte: "Wir müssen endlich Haltung zeigen statt Beliebigkeit und davon schwadronieren, dass wir jetzt mit den Linken reden." Und Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte kategorisch: "Meine Position ist da klar: Es darf keine Koalition mit den Linken oder mit der AfD geben." [5]

Daß die CDU Unbeugsamkeit vortäuscht, heißt noch lange nicht, daß nicht heute oder morgen eine Hintertür geöffnet wird, da das Hemd der Regierungsbeteiligung nun einmal näher als der Rock vorgehaltener Prinzipien ist. Mohrings Vorschlag, die eigene Haut zu retten und das Gesicht der Gesamtpartei zu wahren, indem er einen Thüringer Alleingang wagt, der aus Berlin angeblich nicht verhindert werden kann, geistert auf durchaus ähnliche Weise in der Führung der Linkspartei herum. Parteichef Bernd Riexinger hält sich bedeckt und sieht zunächst die CDU am Zug. "Solange die CDU erklärt, dass eine Zusammenarbeit mit der Linken für sie gar nicht in Frage kommt, müssen wir uns da ja gar keine Gedanken machen." Die Option einer Minderheitsregierung, würde er "jetzt nicht einfach vom Tisch wischen", sagte Riexinger weiter. Das sei in anderen Ländern ein normales Modell. Deutlicher wird Fraktionschef Dietmar Bartsch, der in Thüringen eine Koalition aus Linkspartei und CDU trotz Bedenken in den Bundesparteien für möglich hält. Zwar vertrete er selbst die Position, daß es aufgrund schwerwiegender Differenzen mit der CDU keine Zusammenarbeit geben könne. "Aber es ist nun mal so: Auf der Landesebene entscheiden diejenigen, die einen Wahlerfolg erreicht haben und eine Koalition bilden können." [6)

So wenig im Sinne innerparteilicher Demokratie ein Diktat der Berliner Zentrale befürwortenswert wäre, sind hier doch die Zwischentöne aufschlußreich. Eine entschiedene Absage an eine Koalition mit der CDU samt einer zum Ausdruck gebrachten Entschlossenheit, Bodo Ramelow in diesem Sinne dringend abzuraten, sähe anders aus. Es klingt die taktische Marschroute an, sich die Hände in Unschuld zu waschen und dem erfolgreichen Ministerpräsidenten freie Bahn zu lassen, denn wer weiß, ob sich sein Talent, über (fast) alle Parteien und Positionen hinweg mit wem auch immer durchzuregieren, als Königsweg einer Linkspartei anbieten könnte, sofern man dabei noch den einen oder anderen ideologischen Ballast abwirft. Wenn man so will, feiert Oskar Lafontaines nie zu Grabe getragene Idee, Die Linke sei die wahre SPD, in Gestalt Bodo Ramelows Urständ. Ob es wirklich ratsam ist, auf die Mehrheit der Mitte zu spekulieren, die sich im Zuge ihrer Rechtsdrift selbst demontiert und ihre rasante Talfahrt auch in Thüringen beschleunigt hat, darf bezweifelt werden. Die Sozialdemokratie zu beerben könnte darauf hinauslaufen, ihr sehenden Auges in den Absturz zu folgen. Davon ganz abgesehen wäre der Anspruch der Partei, linke Positionen eigenständig zu vertreten und ein Bündnis mit emanzipatorischen Bewegungen zu schließen, schon lange vorher auf der Strecke geblieben.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/analyse-zur-thueringenwahl-cdu-verliert-viele-waehler-an.1773.de.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/live202542590/Thueringen-Wahl-Mohring-signalisiert-Gespraechsbereitschaft-mit-Linken-live.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/366096.landtagswahl-in-thüringen-ahnung-vom-regieren.html

[4] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_86696496/auf-spurensuche-in-thueringen-die-afd-ist-die-quittung-fuer-vermurkste-politik-.html

[5] www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-thueringen/thueringen-wahl-mohring-schliesst-koalition-mit-linken-nicht-aus-16455030.html

[6] www.welt.de/newsticker/news2/article202581744/Linke-Bartsch-haelt-Koalition-von-Linken-und-CDU-in-Thueringen-fuer-denkbar.html

28. Oktober 2019


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