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HERRSCHAFT/1882: Extrem - die Rechte und ihr neues Gesicht ... (SB)



Die Coronakrise ist - einfach und simpel ausgedrückt - die Stunde der Exekutive. Dass die "Alternative für Deutschland" mit ihren Themen nur schwerlich durchdringt, liegt jedoch an den Journalisten und Medien, die kaum mehr Wert darauf legen, was die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag zu den Maßnahmen der Regierung meint. Aus einer E-Mail der AfD-Pressestelle [1]

Die These, in Krisenzeiten schlage die Stunde der Rechten, greift angesichts der Coronapandemie zumindest in Deutschland und fürs erste überhaupt nicht. Das Gegenteil ist der Fall, hat doch der Höhenflug der Exekutive und in der Regierungskoalition insbesondere der Union die Opposition ins Abseits gedrängt. Das schadet auch der AfD, für die ihre internen Machtkämpfe, ihre kontroversen Aussagen zu Corona und insbesondere ihr Mangel an inhaltlichen Positionen und Entwürfen zu den meisten gesellschaftlich relevanten Fragen erschwerend hinzukommen. Wenngleich sich im Zuge des erheblich eingeschränkten öffentlichen Lebens die Aktivität vieler Menschen noch sehr viel stärker als ohnehin schon ins Netz verlagert hat, ist auch dort das Interesse an der AfD erheblich zurückgegangen. Anders verhält es sich jedoch mit der Neuen Rechten, die beinahe unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken eine eigene, sehr erfolgreiche Szene rechtsextremer Influencerinnen und Influencer aufgebaut hat. Wenngleich sich deren Wirkung schwer einschätzen läßt, droht sie doch auf längere Sicht fatalerweise um sich greifen und das Denken zahlloser jüngerer Menschen zu beeinflussen.

Die Ausbreitung des Coronavirus hat das Land in einen Ausnahmezustand versetzt, in dem sich die Bevölkerung um die Regierung schart. Das gilt auch für viele andere Länder, jedoch in besonderem Maße für die Bundesrepublik. Die Leute sehen die Bilder aus Italien, Spanien, Frankreich oder den USA und sind froh, daß sie in Deutschland leben, dessen politische Führung sehr viel besser in der Lage zu sein scheint, die Menschen zu schützen. Das drückt sich in einer hohen Zustimmung zu den verordneten Maßnahmen aus und hält die Furcht vor den unabsehbaren Folgen der Krise bislang im Zaum. Obgleich viele Menschen unmittelbar in ihrer Existenz gefährdet und von Armut betroffen sind, bietet die drohende Massenarbeitslosigkeit und Verelendung noch keinen Nährboden für eine anwachsende Kampagne des rechtsextremen Lagers. Die Wählerschaft setzt verstärkt auf die Regierungsparteien, weil nur sie konkrete Krisenbewältigungspolitik machen können, so daß Angriffe auf die Koalition oder das sogenannte Establishment, von denen die AfD in hohem Maße zehrt, gegenwärtig ihres sonstigen Ertrags entbehren. Das alles kann und wird sich zwangsläufig ändern, sofern die krisenbedingten Einschränkungen lange fortgesetzt werden oder eine weitgehende Rückkehr zur sogenannten Normalität möglich ist. Doch wann das sein wird und ob die deutsche Parteienlandschaft dann wieder auf ihren Stand vor dieser Krise zurückkehrt, vermag niemand mit Sicherheit vorherzusagen.

In aktuellen Meinungsumfragen fällt die AfD in der Wählergunst unter 10 Prozent und damit auf ihren niedrigsten Wert seit der Bundestagswahl 2017. Zu Beginn der Coronakrise blieb die Partei weitgehend stumm, zumal ihr Markenkern in Gestalt der Flüchtlingsfrage in seiner Relevanz deutlich zurückgegangen und es der AfD nicht gelungen ist, eine glaubhafte Verbindung mit Corona herzustellen. Der Versuch, die Migranten für das Vordringen des Virus verantwortlich zu machen, verfängt nicht, da die vermehrte Nachfrage nach sachlicher Information von der Allgegenwart wissenschaftlicher Expertise ungeachtet deren internen Widersprüchen abgedeckt wird. Eine rechte Agitation, die sich häufig wissenschaftlich höchst umstrittener oder nicht haltbarer Thesen, wenn nicht gar Verschwörungstheorien bedient, kommt gegenwärtig schlecht an.

So stößt insbesondere die Verharmlosung der Coronapandemie durch einige Politiker der AfD weithin auf Ablehnung. Dabei gibt die Partei weder in der Einschätzung der Bedrohung durch das Virus noch bei der Beurteilung der Maßnahmen der Bundesregierung zur Verlangsamung der Ausbreitung ein geschlossenes Bild ab. Während einige führende Parteimitglieder alarmiert sind und sich streng an die Vorgaben der Bundesregierung halten, herrscht bei anderen eine Skepsis vor, die an die Haltung zum menschengemachten Klimawandel erinnert. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alice Weidel, erklärt dazu euphemistisch, es gebe wie in der Bevölkerung insgesamt, so auch in der Fraktion Menschen, die meinen, man habe es hier mit einer normalen Grippewelle zu tun. Und Parteichef Jörg Meuthen ergänzt: "Ich glaube, dass es viele in der AfD gibt, die die Gefährdung durch diese Pandemie hoch einschätzen, aber es gibt sicher auch bei uns einige, die das gerade zu Beginn etwas zu sorglos gesehen haben." Diese innere Zerrissenheit über die Frage des politischen Umgangs mit der Pandemie verhindert eine klare Positionierung und deren Kommunikation nach außen. [2]

Schon vor der Coronakrise war der interne Führungsstreit der AfD eskaliert und er schwächt zwangsläufig ihr Auftreten in einer Situation, die politische Klarheit in besonderem Maße erfordert. Meuthen hat eine Spaltung der Partei ins Gespräch gebracht und ist seither nur noch Kovorsitzender auf Abruf, während der rechtsextreme Flügel seine Position weiter festigen konnte. Der Bundesvorstand hat gegen Björn Höcke wegen dessen umstrittener Äußerung in Schnellroda lediglich eine Mißbilligung ausgesprochen, jedoch auf eine Ämtersperre oder andere Ordnungsmaßnahmen verzichtet. Etwas härter wird Andreas Kalbitz angefaßt, der immerhin eine Liste der politischen Organisationen und Vereinigungen vorlegen soll, in denen er Mitglied gewesen ist oder zu denen er in Kontakt gestanden hat. Da er unter anderem bei der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv war, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht, dürfte er eigentlich gar kein Mitglied der Partei sein. Es wird die zweite rechtsextreme Gallionsfigur also einige Mühe kosten, sich aus diesem Dilemma herauszumanipulieren und Vorsitzender in Brandenburg zu bleiben. [3]

Die sächsische Landtagsfraktion der AfD wartet mit einem Zehn-Punkte-Plan zur Überwindung der Coronakrise auf, der auf neoliberale Konzepte setzt und selbst einer geringfügigen Umverteilung von oben nach unten eine dezidierte Absage erteilt. Ziel des Plans sei es, die durch die Coronakrise entstehenden Ausgaben etwas zu schmälern. Die CDU-geführte Landesregierung wird aufgefordert, sich "mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln" gegen die "bundesweite Einführung von Vermögensabgaben" einzusetzen. Als zu Ostern der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zur Überwindung der Coronakrise "die Solidarität derer, denen es materiell gut geht", eingefordert hatte, griff ihn die stellvertretende Bundestagsvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, mit dem Vorwurf an, dies sei ein "untauglicher Versuch aus der Mottenkiste des Marxismus". Daß der SPD-Kovorsitzende Norbert Walter-Borjans angeregt hat, Menschen mit hohem Einkommen sollten wenigstens "ein Stück mehr tragen" als die mit "kleinen und mittleren Einkommen", was "eigentlich eine sehr naheliegende Überlegung" sei, geht der AfD definitiv gegen den Strich, da sie trotz des zaghaften SPD-Vorstoßes offenbar bereits das Heraufziehen des Sozialismus wittert. So fordert der Zehn-Punkte-Plan, den sächsischen Haushalt des Jahres 2019/20 "auf nicht systemrelevante Ausgaben" zu prüfen, die einzusparen seien, wobei die AfD nicht erklärt, was darunter zu verstehen sei. Eine finanzielle Stärkung des Gesundheitswesens oder der Pflege sucht man jedenfalls vergebens. Auch wenn die Partei behauptet, sie mache Politik "für die kleinen Leute", kann davon de facto keine Rede sein. [4]

Im Netz ist die AfD aktiv wie eh und je und lehnt die Corona-Bonds ab. Auch bedürfe es bei der Bekämpfung der Coronakrise eines "nationalen Kraftakts statt einer zögerlichen Regierung", so der Bundessprecher Tino Chrupalla. Man müsse das Land schnellstmöglich wieder hochfahren, fordert Alexander Gauland, weil "inzwischen die finanziellen, psychischen, wirtschaftlichen Kollateralschäden größer sind als die Gesundheitsschäden". Doch die alten Feindschemata ziehen derzeit nicht recht, und so verzeichnen zum Beispiel Facebook-Postings der AfD im Schnitt nur noch halb so viele Interaktionen wie vor Corona. Das stärkste Kommunikationsmittel der Partei verliert also an Durchschlagskraft. Wenn der Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller auf YouTube eine Manipulation von Statistiken über Coronatote vermutet, geht das eher nach hinten los.

Unterdessen haben Sympathisanten mit engen Verbindungen zur nordrhein-westfälischen AfD das neue Jugendportal "Fritzfeed" ins Netz gestellt, dessen Name auf die beliebte Seite "Buzzfeed" anspielt, die wohl bald den deutschen Markt verlassen muß. "Fritzfeed" kommt bunt und knallig daher, mit vielen Fotos und großen Überschriften, entbehrt aber jeglicher guter Recherchen, die "Buzzfeed" auszeichnen. Die Neugründung ist eindeutig ein rechtes Portal, das auf kurzweilige rassistische, frauenfeindliche und nationalistische Inhalte setzt. Diese sind darauf ausgerichtet, auf Social-Media-Plattformen weiterverbreitet zu werden, wobei die monothematische Verengung wohl vor allem Leute anspricht, die bereits Teil des rechten Spektrums sind.

Wesentlich gefährlicher dürfte eine Szene rechtsextremer Influencerinnen und Influencer sein, die beinahe unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken sehr erfolgreich ist. Dort setzt die Neue Rechte auf subtile Lancierung ihrer patriarchalen, rassistischen und nationalistischen Weltsicht, die sich in Werbevideos und Kochsendungen an eine weitgefaßte Zielgruppe im urbanen und durchaus auch akademischen Milieu richtet. Martin Sellner, Sprecher der Identitären in Österreich, ist mit knapp 100.000 Abonnenten der erfolgreichste Youtuber der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum. Er postet fast täglich Filme zu Themen wie Migranten oder Sozialbetrug, manchmal aber auch mit Zubereitungstipps zu Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel, wobei er etwa lachend in seiner Küche anmerkt, daß die Kartoffel keine gute Frucht für Mitteleuropäer sei, da sie aus dem Ausland komme. Zusammen mit seiner Verlobten Brittany Pettibone, die als rechte Video-Bloggerin in den USA aktiv ist, gibt Sellner vor der Kamera das smarte Paar ab.

Da niemand auf Instagram etwas über komplexe politische Sachverhalte hören möchte, geht es darum, rechte Positionen fast beiläufig zu normalisieren, indem sie in beliebte Kontexte eingemischt werden. Leute, die in Videos und auf Fotos aussehen wie beste Kumpels, machen Selfies, zeigen Naturbilder, fotografieren ihre Schuhe oder ihre Klamotten. Daß diese teilweise Marken der extremen Rechten sind, fällt auf den ersten Blick kaum auf. Kochshows oder Mode privat ins Netz gestellt, erfreuen sich größter Beliebtheit und locken Interessierte an, die eher nicht wissen, womit sie es zu tun haben. Die rechten Influencer sprechen selten über konkrete Politik, sondern schüren Angst vor Fremden, vor dem Verlust heimischer Kultur und Identität, warnen vor einem drohenden "Bevölkerungsaustausch". Wenngleich durchaus Wahlempfehlungen für rechte Parteien gegeben werden, geht es doch vor allem darum, das Meinungsklima schrittweise zu verändern. [5]

Die Kampagnen der Neuen Rechten finden auf paneuropäischer oder sogar darüber hinausreichender internationaler Ebene statt, wobei es in den unterschiedlichen Ländern sehr ähnliche Themenschwerpunkte gibt, aber die rechten Botschaften dem jeweiligen lokalen Kontext angepaßt werden. Die Prominenten der Neuen Rechten lassen sich von Formaten im Ausland inspirieren, interviewen sich gegenseitig und verweisen aufeinander, so daß ihre Videos eine größere Reichweite bekommen. Ob ihre Kampagnen das Wählerverhalten tatsächlich beeinflussen, läßt sich schwer beantworten. Es handelt sich jedoch um eine längerfristige Investition mit dem Ziel, den Diskurs nach rechts zu verschieben, ohne dem Muster klassischer Propaganda und offener Konfrontation zu folgen. Wenngleich die Identitären dem Marsch auf der Straße nicht abgeneigt sind und im Visier des Verfassungsschutzes stehen, sind sie als Teil der Neuen Rechten zugleich erheblich zeitgemäßer und generationsnäher aufgestellt als Neonazis, Hooligans oder Pegidas, die ihrerseits bestimmte Spektren der rechten Szene abdecken. Mag die AfD in der Coronakrise auch schwächeln und womöglich sogar ihren Schwung nachhaltig einbüßen, heißt das noch lange nicht, daß die extreme Rechte ihren Einfluß verloren hätte. Sollte sie aber dauerhaft von einer Exekutive in den Schatten gestellt werden, die rechte Bestrebungen überflüssig macht, hieße dies zwangsläufig, vom Regen in die Traufe zu kommen.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/afd-kommunikation-in-der-coronakrise-schlechte-zeiten-fuer.2907.de.html

[2] www.handelsblatt.com/politik/deutschland/corona-pandemie-warum-die-afd-ein-verlierer-der-coronakrise-ist/25752828.html?t

[3] www.faz.net/2.1652/afd-kalbitz-soll-kontakte-zu-extremisten-auflisten-16730314.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/376839.afd-plan-zur-krisenfinanzierung-nur-kein-sozialismus.html

[5] www.deutschlandfunk.de/soziale-medien-influencer-der-neuen-rechten.2907.de.html

22. April 2020


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