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HERRSCHAFT/1888: AfD - Machtkampf ... (SB)



Ich habe Andreas Kalbitz, das gebietet einfach die Fairness, das zu sagen, in der Arbeit im Bundesvorstand stets als konstruktiv wahrgenommen, und ich habe ihn in der Arbeit in der AfD auch nicht rechtsextrem agieren sehen oder hören. Er hat aber, das kann man nun nicht in Abrede stellen, rechtsextreme Bezüge in seiner Vergangenheit. Und Andreas Kalbitz hat das auch nicht in Abrede gestellt, sondern er hat gesagt: Ich kann mich nicht von meiner eigenen Vergangenheit distanzieren.
Jörg Meuthen zum Parteiausschluß von Andreas Kalbitz [1]

Der Machtkampf um die Hegemonie in der AfD und deren Ausrichtung spitzt sich zu. Im Zentrum des Kreuzfeuers steht Andreas Kalbitz, dessen Sturz oder Wiederauferstehung fast schon einer Entscheidungsschlacht im innerparteilichen Ringen gleichkommt. Daß die neben Björn Höcke zweite Führungsfigur des lediglich formell aufgelösten "Flügels" auf eine dezidiert rechtsextreme Vergangenheit zurückblicken kann, von der sich Kalbitz nie distanziert hat, steht außer Frage. Dies ist seit Jahren ein allgemein zugänglicher Erkenntnisstand, von dem jedoch bis vor nicht allzu langer Zeit kaum jemand etwas wissen oder gar Gebrauch machen wollte.

Der aus München stammende Kalbitz ist seit seiner Schulzeit Mitglied der schlagenden Schüler-Burschenschaft Saxonia-Czernowitz und hatte auch Kontakte zu der wegen rechtsextremer Aktivitäten in Verfassungsschutzberichten erwähnten Burschenschaft Danubia. Er war Mitglied der Jungen Union und der CSU, mit 21 Jahren trat er den damals als rechtsextrem eingestuften Republikanern bei. Als Zeitsoldat von 1994 bis 2005 war er mehrere Jahre Ausbilder in der Fallschirmjägerschule Altenstadt (Oberbayern), die im Zusammenhang eines rechtsextremen Netzwerks in der Bundeswehr (Stichwort Hannibal) von besonderer Bedeutung war. Ein ehemaliger Vorgesetzter wurde von Medien mit den Worten zitiert: "Wenn Kalbitz jetzt auf AfD-Linie ist, muss er sich gehörig nach links entwickelt haben." Vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) mehrfach verhört, räumte Kalbitz ein, schon vor 1994 Mitglied in der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) bzw. deren Nachfolger Junge Landsmannschaft Ostdeutschland gewesen zu sein und 2000/2001 Veranstaltungen für sie durchgeführt zu haben. 2003 schrieb er für das Vereinsorgan Fritz der inzwischen neonazistisch geprägten JLO. Laut MAD-Vermerk in Kalbitz' Stammakte ist er bis heute für Reservisteneinsätze der Bundeswehr gesperrt.

Bereits im Juli 1993 hatte er an einem Sommerlager des rechtsextremen Vereins Die Heimattreue Jugend teilgenommen, der sich als paramilitärisch auftretende Elite verstand und mit militärischem Drill und Hitler-Verehrung Kinder und Jugendliche aufzog. 2007 nahm er an einem Pfingstlager der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) teil, die 2009 verboten wurde. Dem Verfassungsschutz liegt eigenen Angaben zufolge eine Mitgliederliste der HDJ aus dem Jahr 2007 vor, in der die "Familie Andreas Kalbitz" geführt wird. Nachweislich habe Kalbitz vierzehn Jahre Kontakt mit der HDJ gehabt. In den 90er Jahren hatte Kalbitz neben deutschen Funktionären der NPD-Jugend, der FAP und der Wiking-Jugend mehrfach an der von flämischen Nationalisten organisierten Wallfahrt IJzerbedevaart bei Diksmuide teilgenommen.

Kalbitz wurde Mitte der 90er Jahre lobend im von Rechtsextremisten verwendeten Mailboxsystem Thule-Netz erwähnt und schrieb unter anderem für die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit. Er war Mitglied des völkischen Witikobunds und Autor der Zeitschrift Witikobrief. Seit 2010 saß er im Vorstand der vom ehemaligen SS-Hauptsturmführer und NPD-Funktionär Waldemar Schütz gegründeten rechtsextremen "Vereinigung Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit", derer Vorsitzender er von 2014 bis 2015 war. Erst als das öffentlich publik wurde, legte er im Oktober 2015 sein Amt nieder und trat aus dem Verein aus.

Seine Vergangenheit im rechtsextremen Umfeld wiegelte Kalbitz stets nach demselben Muster ab. Über seine einjährige Mitgliedschaft bei den Republikanern sagte er: "In zwölf Monaten macht man nicht viel." Im Witikobrief sprach er über den angeblichen "Ethnozid am deutschen Volk". Das sei, so Kalbitz, eine "eventuell etwas unüberlegte Sprachwahl" gewesen, "die sicher meinem Alter geschuldet war". Und was ist mit der neonazistischen HDJ? "Wenn ich es irgendwie für sinnvoll erachtet hätte, dann hätte es mich weiterhin interessiert. Hat es aber nicht", sagt er dazu. Medien, die all das aufwärmten, gehe es nur darum, die "Extremismuskeule" zu schwingen, so Kalbitz.

Gemeinsam mit seinem 2006 verstorbenen britischen Schwiegervater Stuart Russell schrieb er das Drehbuch für die Filme "Der unbekannte Soldat" über Adolf Hitler im Ersten Weltkrieg und "Von Garmisch in den Kaukasus" über die 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht. 2007 reiste er mit dreizehn Neonazis, unter ihnen der damalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt, nach Athen, um an einer Versammlung der neonazistischen Patriotischen Allianz, einer Abspaltung der Chrysi Avgi, teilzunehmen. Die deutsche Delegation hißte im Hotel eine zwei Meter große Hakenkreuzfahne, die in der Nacht einen Brandanschlag nach sich zog. Kalbitz räumte die Reise mit der Delegation ein, bestritt aber eine Teilnahme an den Vorgängen mit der Fahne. In der "nachträglichen Bewertung dieser Veranstaltung" sei diese "nicht dazu angetan" gewesen, sein "weiteres Interesse oder Zustimmung zu wecken".

Im März 2013 trat er der AfD bei. Im März 2015 unterzeichnete er die durch Björn Höcke und André Poggenburg initiierte Erfurter Resolution, beim Kyffhäusertreffen im Juni 2015 trat er als Redner auf. Am 21. November 2015 wurde er zum ersten stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD Brandenburg gewählt. Im April 2017 wurde Kalbitz als Nachfolger Alexander Gaulands zum Landesvorsitzenden der Brandenburger AfD und im Dezember 2017 zu einem der sechs Beisitzer im AfD-Bundesvorstand gewählt. Am 1. Dezember 2019 wurde Kalbitz mit 50,3 Prozent zum zweiten AfD-Beisitzenden wiedergewählt.

Er unterhält enge Verbindungen zur Neuen Rechten wie auch zur rechten außerparlamentarischen Opposition und denkt offenbar weit strategischer als die meisten seiner Parteigenossen. Er widersprach dem AfD-Bundesvorstand, dem er selbst angehörte, wonach AfD-Leute die Demos der Rechtsextremen meiden sollten. Der Erfolg seiner Partei basiere doch gerade auf der Zusammenarbeit mit Pegida oder Zukunft Heimat in Cottbus. Trotz Abgrenzungsbeschlüssen seiner Partei hat er kein Problem damit, daß Mitarbeiter der Fraktion Verbindungen zur Identitären Bewegung haben, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird. Im brandenburgischen Landtag beschäftigte Kalbitz das ehemalige NPD-Mitglied Alexander Salomon und den Funktionär der Jungen Alternative Tim Ballschuh, der ebenfalls Kontakte zu Neonazis hatte.

Auf Veranstaltungen vor Anhängern zog Kalbitz durchaus vom Leder und propagierte bei einem Vortrag im neurechten Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek "eine Art nationalen Sozialismus". Auf einer AfD-Demonstration im Mai 2018 bedankte er sich bei Pegida und der neurechten Vereinigung Ein Prozent für unser Land von Kubitschek und Philip Stein. Dort wie auch bei einer Rede am Kyffhäuserdenkmal in Thüringen bezeichnete er die AfD als "die letzte evolutionäre Chance für dieses Land. Danach kommt nur noch 'Helm auf'. Und das möchte ich nicht." "Wir sind die Totengräber der fauligen Reste dieser 68er-Zersetzung", verkündete er, man werde "auf ihren Gräbern tanzen". Und: "Wir sind die Götterdämmerung dieses globalisierten Multikulturalismus!" Oder: "Wir kriegen den Flieger voll mit den Claudia Roths und Cem Özdemirs!"

Vor anderem Publikum enthält er sich jedoch eher solcher verbalen Provokationen, die kurzfristig Aufmerksamkeit erheischen, und übt sich in Beharrlichkeit und Geduld, da er sich auf einem politischen "Langstreckenlauf" sieht. Er formuliere ganz vorsichtig, erläuterte er bei einem Vortrag im Institut Götz Kubitscheks seine Vorgehensweise. Dank dieser taktischen Marschroute gelingt es ihm, auch jene Teile der Partei und Anhängerschaft für sich zu gewinnen, die von einem allzu derben Sprachgebrauch eher abgestoßen werden. Die Kontroverse um seine Person verkaufte er so: "Ich glaube, ich werde zu einer Reizfigur gemacht. Wenn man meinen Wikipedia-Eintrag liest, denkt man, der Raum riecht nach Schwefel, wenn ich reinkomme." Er sei jedoch überzeugt, daß es die Menschen im Land nicht interessiere, was er vor 25 Jahren geschrieben habe. Er leugnete seine politische Vergangenheit nicht, sondern verharmloste sie als angebliche Jugendsünden, wobei er immer nur soviel zugab, wie sich nicht verheimlichen ließ. Andreas Kalbitz folgt der erprobten rechtsextremen Doppelstrategie, indem er völkischen Marschtritt und neurechte Ideologie in Personalunion verkörpert.

In die Quere gekommen ist ihm dabei das Bundesamt für Verfassungsschutz. Hatte Hans-Georg Maaßen noch seine schützende Hand über die AfD gehalten, um sie von einer Beobachtung durch seine Behörde freizuhalten, ist es nach seinem Abgang eng für die Partei geworden. Unter dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang wurde der "Flügel" um Björn Höcke und Andreas Kalbitz als Beobachtungsfall eingestuft, die dritte und höchste Stufe geheimdienstlicher Observierung. Beide seien Rechtsextremisten, und die verfassungsfeindlichen Verdachtsmomente im "Flügel" hätten sich zu Gewißheiten verdichtet, so Haldenwang. Dies löste ein innerparteiliches Erdbeben bis hin zur formellen Auflösung des "Flügels" und eine Eskalation des Machtkampfs aus.

Hatte der Staatsschutz die von der extremen Rechten ausgehende Gefahr jahrelang verschleiert und ihre Umtriebe instrumentalisiert, so inszeniert er nun geradezu einen Paradigmenwechsel. Alle Sünden der Vergangenheit werden als Behördenversagen deklariert, was dem Ruf nach einem effizienteren geheimdienstlichen und polizeilichen Auftritt Tür und Tor öffnet. Heute ist es breit kommunizierter Konsens in den Verlautbarungen des Staatsapparats, daß Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus die derzeit "größte Gefahr" für die Demokratie in Deutschland seien. Das Gewaltpotential entlade sich "in realer Gewalt". Schlag auf Schlag folgen längst in Stellung gebrachte oder auf kurzem Weg umgesetzte Razzien, Festnahmen, Verbote, Einstufungen und Prozesse gegen rechtsextreme Zirkel und Bestrebungen. Der Eindruck, von Staatsorganen getäuscht und hintergangen zu werden, wich dem integrativen Gefühl, an einem Strang gegen rechte Gewalt zu ziehen.

Für die AfD, die schon geraume Zeit darum ringt, ihr Profil zu glätten, um den Verfassungsschutz vor der Tür zu halten, ist das ein Stich ins innerparteiliche Wespennest. Nachdem der Vorstand mit knapper Mehrheit beschlossen hat, daß Andreas Kalbitz kein Parteimitglied mehr sei, weil er beim Eintritt substantielle Tatsachen verheimlicht habe, herrscht offener Krieg. In den sozialen Netzwerken wird allseits gefeuert, was das Zeug hält. Kalbitz will die Entscheidung juristisch anfechten und ruft seine Anhänger auf, in der AfD zu bleiben. Björn Höcke spricht von Verrat, Tino Chrupalla von einer Verbrüderung mit dem politischen Gegner. Auch Alexander Gauland und Alice Weidel haben den Beschluß heftig kritisiert. Jörg Meuthen, der nach wie vor am Rand des Abgrunds steht, ist dank seines Coups fürs erste der Held einer bislang wenig schlagkräftigen gemäßigten Mehrheit, die plötzlich Hoffnung schöpft, den Ansturm der weit besser organisierten und rabiateren Flügelfraktion zu bremsen.

Die AfD hat jahrelang so getan, als wüßte sie nicht, wer Andreas Kalbitz ist. Nun zieht sie die Schmierenkommödie ab, der Brandenburger Vorsitzende habe sie über seine Vergangenheit getäuscht. So behauptet Jörg Meuthen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, der Rauswurf sei eine juristische und keine politische Entscheidung gewesen. In der AfD habe Kalbitz nie rechtsextrem agiert. Der Kunstgriff, ihn ohne Schiedsgerichte und ein Parteiausschlußverfahren loszuwerden, ist so windig und wacklig wie das permanente Täuschungsmanöver, die stets nach rechts offene Drift der AfD als demokratische Meinungsvielfalt zu verkaufen.


Fußnote:

[1] www.deutschlandfunk.de/kalbitz-rauswurf-aus-der-afd-es-ging-um-eine-rechtliche.694.de.html

18. Mai 2020


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