Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1329: Report stimmt G8-Agrarminister auf Mangellage ein (SB)



Regelmäßig vergießen die führenden Wirtschaftsnationen Krokodilstränen, wenn sie sich darüber beklagen, daß viel zu wenig für die ärmeren Länder getan wird. Es hat mittlerweile etwas Rituelles, wenn dann im nächsten Atemzug Besserung versprochen wird - zuletzt vernommen beim G20-Gipfel in London. Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um festzustellen, daß von den Verheißungen so wenig übrigbleiben wird wie von der sogenannten Entschuldungsinitiative, bei der 1999 in Köln mit Bundeskanzler Schröder als Gastgeber phantastische Summen, die den Entwicklungsländern zugute kommen sollten, ventiliert wurden. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.

Vor diesem Hintergrund werden sich auch die Erkenntnisse eines neuen Reports für das erste G8-Agrarministertreffen in diesem Monat in Italien als Vorwand erweisen, um für das Establishment die bestehende, aber durch verschiedene Entwicklungen (Klima, Bevölkerungswachstum) gefährdete Eigentumsordnung durch Maßnahmen zur Kontrolle der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion abzusichern. In dem Dokument "The global challenge: to reduce food emergency" warnen die Autoren, daß die globale Nahrungsmenge bis 2050 verdoppelt werden muß, ansonsten werde die Lebensmittelkrise der letzten Jahre - in Verbindung mit dem Klimawandel - in wenigen Jahrzehnten in eine "Strukturkrise" münden, zitiert die "Financial Times" (6.3.2009) aus dem Bericht. Es seien "Sofortmaßnahmen" erforderlich, um diese Entwicklung zu verhindern. Das Thema Preisschwankungen sei weiterhin ein "zentraler Bestandteil der globalen Lebensmittelsicherheit".

So aufrüttelnd dieser Befund auch klingen mag, er verharmlost die Krise aufs gröbste. Denn nicht erst in vierzig Jahren, nicht erst in fünf Jahren und auch nicht erst übermorgen tritt die krisenhaften Lage in Erscheinung. Die Krise ist bereits da, und das schon seit langem. Nur mit dem gewissen Unterschied, daß sie bislang fast "nur" die Menschen außerhalb des westlichen Kulturkreises betraf. Jahr für Jahr sterben Zehntausende an Hunger oder hungerbedingten Krankheiten. Fast eine Milliarde Menschen hungern regelmäßig - wenn das keine strukturelle Krise ist, was dann?

Neu hingegen, und darauf spielen die Autoren in dem Report an, ist, daß der Hunger auch die Industriestaaten erreichen wird. In den USA muß bereits einer von zehn Bürgern auf behördliche Lebensmittelmarken zurückgreifen, um über die Runden zu kommen. Das sind 32,2 Millionen Einwohner - im Jahr 2000 waren es noch 17 Millionen. Eine durchaus vergleichbare Entwicklung ist auch in der Europäischen Union zu beobachten. Die Unruhen im vergangenen Jahr in Rumänien, Polen, Tschechien, Ungarn und Lettland zeugen von einer rapide wachsenden Armut, die durch keine Sozialprogramme aufgefangen wird.

Wenn nun Analysten vor einer Strukturkrise warnen, die in einigen Jahrzehnten einzutreten drohe, ignorieren sie damit die Strukturkrise von heute, und mit ihr die existentielle Not von einer Milliarde Menschen. Die in dem G8-Report durchscheinende Ignoranz besagt nichts anderes, als daß die Autoren kein anderes Ziel verfolgen, als die bestehende Ordnung zu wahren, das heißt, in Zeiten multifaktorieller, globaler Versorgungskrisen das Überleben weniger Privilegierter zu Lasten der übrigen abzusichern. Nicht nur für die Chinesen und Russen gilt in Zukunft: Einwohner einer führenden Wirtschaftsnation zu sein, bedeutet nicht, daß sie vor Armut und Hunger geschützt sind.

Die G8-Treffen hatten nie eine andere Funktion, als die bestehenden Verhältnisse zu schützen. Das gilt auch für den ersten G8-Gipfel der Agrarminister, und jede Warnung vor dem Klimawandel und einem künftigen Mangel an Nahrung richtet sich an die Privilegierten, die daraufhin Entscheidungen treffen, um ihre soziale Vorteilsposition zu befestigen. Es wäre von der Bevölkerungsmehrheit auch im relativ wohlhabenden Deutschland naiv anzunehmen, daß sie "irgendwie" schon dazu gehören. Auch in den reichen Staaten des Nordens werden Verhältnisse eintreten, wie sie heute in den Armutsregionen Afrikas, Asiens und Südamerikas herrschen.

Die Armut in den USA gibt den Kurs vor. Sicherlich, die Wirtschaftsflüchtlinge, die gegenwärtig in urbanen Nischen oder in der Peripherie ihre Zelte aufschlagen, weil sie von den Warlords in Washington aus ihren Häusern und Unterkünften vertrieben werden, während diese gleichzeitig ihresgleichen Hunderte Milliarden Dollar in den Rachen werfen, geht es nicht so schlecht wie den Flüchtlingen in Darfur oder im Kongo. Aber die Verhältnisse nähern sich einander an. Damit ein kleiner Teil der Menschheit davon unbetroffen bleibt, sind genaue Analysen der klimatischen und ernährungstechnischen Verhältnisse unverzichtbar. So erhält der Anspruch auf globale Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion in Landwirtschaft und Industrie, der hinter der Forderung der Analysten für den G8-Vorsitz steckt, ein gänzlich anderes Gesicht.

7. April 2009