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PROPAGANDA/1362: Eigentor ... antikommunistisches "Sturmgeschütz" feuert auf Lafontaine (SB)



Oskar Lafontaines am Dienstag bekanntgegebene Krebserkrankung, die schon am Donnerstag mit einem chirurgischen Eingriff behandelt werden soll, unterbricht mit jäher Wucht eine Schmutzkampagne gegen den Vorsitzenden der Linken, die vom Nachrichtenmagazin der Spiegel ausgeht. Dort wird unter dem Titel "Der virtuelle Kandidat" (16.11.2009) zum Rückzug Lafontaines vom Vorsitz der Bundestagsfraktion seiner Partei kurz nach der Bundestagswahl die rhetorisch gemeinte Frage aufgeworfen, ob der Linken-Chef "seine Anhänger unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Irre geführt" oder "seine Wähler gar vorsätzlich getäuscht und damit seine Glaubwürdigkeit und die seiner Partei mutwillig beschädigt" habe.

Die Spiegel-Autoren Stefan Berg und Markus Deggerich lassen in ihrem Artikel keines der unter seinen Gegnern wohlfeilen Klischees aus, um Lafontaine als notorischen Hasardeur "mit Hang zum Größenwahn" darzustellen, der mit seinen eigenwilligen Entscheidungen wiederholt seine Anhänger vor den Kopf gestoßen und insbesondere der SPD geschadet habe. Die guten Gründe, die Lafontaine hatte, als er 1999 als SPD-Chef und Finanzminister abdankte, sind allgemein bekannt und sprechen für seine politische Loyalität gegenüber den Prinzipien der sich im Regierungsamt rapide wandelnden Schröder-SPD.

Die Spekulationen, mit denen der Spiegel Lafontaines Rückzug vom Fraktionsvorsitz der Linken ursächlich verknüpft, gehen jedoch weit über die üblichen Verunglimpfungen hinaus, denen der Saarländer als Lieblingsfeind nicht nur der Springer-Presse, sondern vieler bürgerliche Blätter ausgesetzt ist. Unterstellt wird eine Affäre zwischen dem Parteichef und Sahra Wagenknecht, die nach spiegeltypischer Manier als explosive Mischung zwischen sexueller Anziehung und politischer Macht inszeniert wird. Die eigentliche Stoßrichtung dieses Angriffs, der die Lieblingslektüre des arrivierten Bourgeois endgültig in die Tonne des Boulevards tritt, zeigt sich in der ideologischen Gleichsetzung beider Politiker.

Deren gemeinsame Überzeugung "von Antikapitalismus und Systemwechsel" habe den Reformpolitikern der Linken nicht ins Konzept gepaßt, so daß sie erfolgreich versucht hätten, Wagenknecht vom Posten einer stellvertretenden Parteivorsitzenden fernzuhalten und Lafontaine zu entmachten. Der Saarländer sei immer mehr "zum Problem für die Parteiarbeit" geworden, habe häufig durch Abwesenheit geglänzt und sei in seinen Entscheidungen zusehends unberechenbar gewesen. Der Spiegel zeichnet das Bild einer in sich zerstrittenen Linkspartei, die zum Opfer politischer Abenteurer wie Lafontaine und Wagenknecht geworden ist. Rettung winke allein durch die Entfernung dieser Fundamentalisten zugunsten eines Durchmarsches der zumeist ostdeutschen Reformer, die dem antikapitalistischen Spuk endlich ein Ende bereiten sollen, insinuiert der Spiegel mit dem antikommunistisch aufgeladenen Tenor seiner Gerüchteküche.

"Lafontaines Triumphzug zurück in die große Politik, darauf deutet vieles hin, scheint damit ausgebremst, womöglich für immer. Im Saarland regiert weiterhin die CDU, in der eigenen Partei entgleiten ihm die Zügel, und in Berlin steht die Linke trotz des Wahlerfolgs bedeutungslos am Rand."
(Spiegel Online, 16.11.2009)

Zweifellos sortiert sich die Partei Die Linke in mindestens zwei Lager, in denen sich auch Traditionen der DDR- und BRD-Linken spiegeln und die sich grob als Reformisten und Sozialisten bezeichnen lassen. Lagerbildungen sind jedoch in allen Parteien üblich, nur gibt es unter den im Bundestag vertretenen Fraktionen keine außer der der Linken, innerhalb derer einzelne Abgeordnete eine antikapitalistische Position beziehen. Bei aller seit dem Eingeständnis der Krise des Kapitalismus salonfähig gewordenen bürgerlichen Kritik desselben ist Systemüberwindung weder ein Nah- noch ein Fernziel. Wo dies auch nur andeutungsweise der Fall ist, wird wie von selbst die Immunreaktion des Gesinnungsverdachts aktiviert.

Das angebliche "Sturmgeschütz der Demokratie" hat sich bei der Diffamierung kämpferischer, aus Überzeugung links positionierter Politiker stets in besonderer Weise hervorgetan und fühlt sich seit dem jüngsten Erstarken der parlamentarischen Linken erst recht dazu aufgerufen, die eigenen Pfründe vor dem Angriff sozialistischer Gleichmacher zu schützen. Lafontaine kann in einer politischen Kultur, deren Akteure ihren eigenen Opportunismus kaum mehr als solchen erkennen können, weil er zu ihrer zweiten Natur geworden ist, nicht ernsthaft vorgeworfen werden, seine politische Heimat verraten zu haben, wenn diese sich auf eine Weise von ihm fortbewegt hat, bei der eherne Ideale zur Disposition politischer Machtambition gestellt wurden. Lafontaine wird zum Feindbild aufgebaut, weil er die Linke in Westdeutschland stark gemacht und innerhalb der Partei dafür gesorgt hat, daß der dominante Reformflügel an Einfluß verlor. Die unterstellte Liaison zwischen Wagenknecht und ihm wäre unerheblich, wenn er ein Apparatschik wie jeder andere wäre. Sie schöpft den Ruch des Verworfenen aus der relativen Nähe zu einer linken Radikalität, die man meinte, längst auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt zu haben. Mit Lafontaines Erkrankung erweisen sich die Spekulationen des Spiegels erst recht als eine Schmutzwäsche, an der das schmierige Element eines Journalismus, der nicht aufklärt, sondern von opportunistischer Wadenbeißerei und voyeuristischer Häme lebt, unablösbar klebt.

17. November 2009