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PROPAGANDA/1453: Ein Interview als Verhör ... Katja Kipping unter ZDF-Inquisition (SB)




Links wirkt ... so uneins sich die Partei Die Linke sein mag, so sehr sorgen die offenliegenden Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft dafür, deren Differenzen in eine klare Streitposition gegenüber den Sachwaltern von Ausbeutung und Unterdrückung zu verwandeln. Wie relevant die Positionen der Linkspartei sind, sollte das Millionenpublikum, das am 22. Juli zum ZDF-Sommerinterview einschaltete, lieber nicht erfahren. Thomas Wald nahm sich die Linken-Vorsitzende Katja Kipping auf eine Weise vor, die erkennen ließ, warum der apologetische Antikommunismus auch ohne die Staatenwelt des real existierenden Sozialismus unverzichtbar ist. Die politische Ordnung, die nach deren Niedergang übriggeblieben ist, hat nicht etwa das Versprechen auf eine friedlichere, demokratischere und gerechtere Welt eingelöst, sondern frönt seitdem um so selbstherrlicher den Interessen der sie verfügenden Kapitalmacht.

Eingebettet wurde das Interview in eine polemische Karikatur der Linkspartei, die den Eindruck erweckte, daß die heftigen Auseinandersetzungen in ihren Reihen in direktem Widerspruch zum Anspruch gestanden hätten, eine solidarische, gerechte und friedliche Welt zu schaffen. Daß es bei diesem Streit um die Frage ging, wie dieses Ziel zu erreichen sei, und nicht um den bloßen Abtausch von Feindseligkeiten, hat das Publikum des ZDF allerdings ebensowenig zu interessieren wie die Tatsache, daß die präsentierten Soundbytes einen Stand der Debatte repräsentierten, die sich seit dem Parteitag Anfang Juni und der Kür neuer Parteivorsitzender durchaus weiterentwickelt hat.

Während Katja Kipping auf politische Inhalte wie die Opposition der Linken gegen Privatisierung, Fiskalpakt und Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu sprechen kam, insistierte Thomas Walde auf den Begriff "Haß". Sein Versuch, die auch von außen in die Partei getragenen Spaltungstendenzen zu vertiefen, scheiterte jedoch am schlichten Mangel erforderlicher Sachkenntnis. Über das Dramatisieren von "Gefühlen" hinaus war der ZDF-Journalist nicht in der Lage, auf den Inhalt des vor dem Parteitag erbittert geführten Personal- und Richtungsstreits einzugehen, so daß Kippings Verweis auf eine neue Generation Linker ohne spezifische Ost- oder Westbindung und den produktiven Charakter des Neubeginns in der Partei Bestand hatte.

Waldes Versuch, den Menschen in Griechenland anzulasten, sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt, und der Linken vorzuwerfen, sie vergehe sich mit ihrer Forderung nach deren Unterstützung an deutschen Rentnern und Lohnabhängigen, offenbarte das ganze Ausmaß der bourgeoisen Ignoranz, die Menschen hierzulande wüßten nicht, von wem und für wen sie zur Kasse gebeten werden. Was Kipping mit der Bemerkung, es gehe nicht um einen Streit zwischen Griechenland und Deutschland, sondern zwischen Arbeitern und Millionären, auf den Punkt der europaweiten Klassenauseinandersetzung brachte, wollte der ZDF-Journalist partout als revanchistisches Ressentiment gegenüber den notleidenden Bevölkerungen in südeuropäischen Ländern verankert wissen.

Den Vorwurf, Die Linke sei mit deutschen Arbeitnehmern nicht solidarisch, aus dem Munde eines Sachwalters des angeblichen "Anpassungsprozesses", den diese vollzogen hätten, zu vernehmen förderte vor allem die Einfalt zutage, mit intellektuell schlichten Gerechtigkeitspostulaten irgend jemand anderen beeindrucken zu können als sich selbst. Warum sollten abhängig Beschäftigte hierzulande verlangen, daß ihren griechischen Kolleginnen und Kollegen sprichwörtlich die Butter vom Brot genommen wird, nachdem sie selbst bereits die Rendite des Kapitals durch Lohneinbußen gesteigert haben? Was kommt bei einer Hungerkur in immer größeren Teilen der Eurozone anderes heraus als das Wegbrechen auch letzter Reste eines Wachstums, das damit angeblich angeheizt werden soll? Was anderes wird erfolgen, wenn die Löhne in Südeuropa auf Existenzminimum gedrückt wurden, als daß das Kapital die Konkurrenz unter Arbeitern in Deutschland wie Griechenland weiter verschärft?

Indem Walde die nationalistische Karte zog und Die Linke im Kern einer antinationalen Politik bezichtigte machte er vollends klar, woher der Wind weht, der seine Gesinnungsverdächtigung beflügelt. Kipping hingegen hielt unbeirrt Kurs und kreuzte die sich immer mehr zu einem inquisitorischen Verhör auswachsende Gesprächsführung des ZDF-Journalisten mit guten Argumenten, die dieser allerdings nicht hören wollte. Auf seine Unterstellung, die Klage der Linken gegen den ESM verhindere ja gerade eine Rettung Griechenlands, ging Kipping ausführlich mit einer Aufzählung der Krisengründe - Unterregulierung der Finanzmärkte, Ungleichgewichte in der Außenhandelsbilanz, ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen - und dem Verweis auf die Absicht ihrer Partei ein, eine solche Entwicklung künftig durch eine Spekulationsbremse auf den Finanzmärkten und einen Sozialpakt in Europa mit sozialen Mindeststandards zu verhindern.

Zum dritten Punkt alternativer Möglichkeiten der Krisenbewältigung gelangte die Linkenvorsitzende gar nicht erst, wiederholte Walde unter notorischer Ignoranz dessen, was ihm soeben erklärt wurde, doch wie ein fremdgesteuerter Roboter die Frage, wie denn die Ablehnung des ESM mit einer Rettung Griechenlands zu vereinbaren wäre. Das Ergebnis dieses rüden Gesprächsstils bestand darin, daß der Zweck eines jeden Interviews, von dem eingeladenen Gesprächspartner etwas zu erfahren, in sein Gegenteil verkehrt wurde. So geduldig sich Kipping dem Verhör Waldes stellte, so sehr überfuhr der Journalist all das, was es wert zu debattieren und zu vertiefen gewesen wäre.

Vollends deutlich wurde der inquisitorische Charakter des sogenannten Interviews, als Walde dazu überging, Kipping anzulasten, sie weiche seinen Fragen durch Generalisierungen und Verallgemeinerungen aus, anstatt direkt auf sie zu antworten. Die nichtvorhandene Bereitschaft des Journalisten, Kipping überhaupt zuzuhören, stellte sein intellektuelles Unvermögen unter Beweis, über den Horizont der herrschaftsaffinen Sachzwanglogik, mit der er die Linkenvorsitzende traktierte, hinauszublicken. Wer meint, beim Zweiten besser zu sehen, läuft mithin Gefahr, nicht nur vom Spektakel seichter Unterhaltung geblendet zu werden, sondern zum Kriechgang genötigt zu werden.

Wie anders ist zu verstehen, daß das Interview an dieser Stelle von einer Einspielung unterbrochen wurde, in der ein Deutschland unter linker Regierung als Hort sozialistischer Schreckensvisionen dargestellt wurde? Regierten Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi das Land, dann würden Energiekonzerne und private Banken verstaatlicht, man müßte nicht mehr so lange arbeiten und dürfte nicht einmal mehr Krieg führen. So plakativ und verkürzt diese Agenda von vielen Menschen zweifellos als erstrebenswert empfundener Ziele mit dem Unterton einer finsteren Bedrohung dargestellt wurde, so wenig wurde Kipping die Möglichkeit eingeräumt, auf diesen Anwurf Bezug zu nehmen. Die Gesprächsregie verlegte sich darauf, diese Ziele exemplarisch durch die Haltung der Linken zum Syrienkonflikt als realitätsfremd zu denunzieren.

So machte Walde einmal mehr geltend, daß nun unbedingtes Handeln geboten sei, ansonsten mache sich Die Linke schuldig, notleidenden Menschen die Solidarität zu verweigern. Zwar konnte Kipping etwa mit dem Verweis auf deutsche Rüstungsexporte und die Notwendigkeit der Unterstützung von Kriegsflüchtlingen gegenhalten, doch die ultimative Frage, ob Die Linke eine Beteiligung an einer rot-grünen Bundesregierung definitiv daran scheitern ließe, Auslandseinsätze auch unter UN-Mandat prinzipiell abzulehnen, ließ sie offen. Auch ihre persönliche Einlassung, sie sei als Pazifistin auf jeden Fall gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, konnte nicht verhindern, daß sie es an dieser Stelle an wünschenswerter Eindeutigkeit mangeln ließ.

Nach einer weiteren Einspielung, in der der Sozialismus als Idee von vorgestern karikiert wurde, wußte jeder ZDF-Zuschauer, den es interessiert, daß hier eine linke Partei, die im Konzert der parlamentarischen Abnicker immer wieder mit störendem Mißklang auffällt, in Form ihrer Vorsitzenden als ideologisch verwerflich vorgeführt werden sollte. Was sich Walde gegenüber einer Politikerin herausnimmt, die als erklärte Vermittlerin innerhalb der Linken auftritt, belegt, daß es mit der Austreibung radikaler und revolutionärer Forderungen längst nicht getan ist. So lange Die Linke nicht auf die wachsweiche Opportunität moderner Sozialdemokratie zusammengestaucht wurde, ist sie für Staat und Kapital unverträglich, mithin unterstützenswert für all diejenigen, die die Feindseligkeit herrschender Kräfte als politische Produktivkraft zu nutzen wissen.

Fußnote:

[1] https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=hF1tlJu8STI

25. Juli 2012