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PROPAGANDA/1474: Ewig gestriger Pazifismus - Deutschland muß sterben lernen (SB)




"Würde das heutige Deutschland dabei helfen, das Deutschland des Jahres 1944 zu befreien? Man muß nicht Angela Merkels Telefon abhören, um die Antwort herauszufinden: Sie lautet nein." Die einleitenden Worte eines Meinungsbeitrags in der New York Times vom 4. November [1] lassen ahnen, was im weiteren Verlauf des Artikels folgt. Ein Hort des ewig gestrigen, ganz und gar verantwortungslosen Pazifismus, ein Staat, der seinen Wohlstand genießt und sich dabei weigert, Diktatoren, Terroristen und Bösewichten aller Art in den Arm zu fallen. "Rethinking German Pacifism" - über welchen Pazifismus Verfasser Jochen Bittner auch nachdenkt, es kann sich nur um einen Ausbund an Ignoranz und Gewissenlosigkeit handeln. Um so entschiedener fährt er schweres Geschütz gegen diese Bastion der Kriegsverweigerung mitten in Europa auf.

Daß es sich bei dem Urheber der Aufforderung, in der Bundesrepublik endlich einen Kurswechsel zugunsten größerer Gewaltbereitschaft zu vollziehen, um einen Redakteur des Politik-Ressorts der Wochenzeitung Die Zeit handelt, ist nur insofern von Belang, als es die Anstrengungen deutscher Verlagskonzerne dokumentiert, die Militarisierung von Land und Leuten voranzutreiben. Der bellizistische Imperativ, endlich zur Sache zu kommen und sich nicht mehr unter Verweis auf die Beteiligung an den Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan davor zu drücken, die Lasten notwendiger Maßregelung anderer Bevölkerungen mit zu schultern, ist so ortlos und vordergründig wie alles, was der NATO nahestehende Think Tanks, Ministerien und Medien am Band produzieren, um vermeintliche nationale Sonderwege in den großen Strom imperialistischer Ermächtigung zu lenken. Das gilt auch für Behauptungen wie die angeblich unhinterfragbare Legitimation des Angriffs der NATO auf Libyen, der Invasion Frankreichs in Mali und der in die Nähe zum Holocaust gerückten Gasangriffe auf die syrische Bevölkerung, für die niemand anders als Präsident Assad verantwortlich sein könne. Woher auch immer Bittner all dies so genau wissen will, wie auch immer er sich davor drückt, zu den ruinösen Folgen, die die Kriegführung der NATO in Libyen und das Anheizen des Krieges in Syrien zeitigt, Stellung zu nehmen, die von ihm intendierte Bloßstellung betrifft vor allem die eigene Person.

So ist die Behauptung, die Bundesregierung verfolge eine pazifistische Politik, unschwer als maßlose Übertreibung zu durchschauen. Nur die Geringschätzung der mit der Bundeswehrreform vorbereiteten Fähigkeit, Kampfeinsätze in aller Welt durchführen zu können, als auch das Verschweigen der von den politischen Funktionseliten - und ihren am vorliegenden Beispiel exemplarisch zu studierenden Herolden - betriebenen Anstrengungen, Deutschland in einen Kriegsakteur an vorderster Front zu verwandeln, versetzen Bittner in die Lage, über die relative Zurückhaltung der Bundesrepublik in den jüngsten Kriegen auf eine Weise zu polemisieren, die kurz davor ist, Feigheit vor dem Feind zu attestieren. Wenn sein einführendes Gedankenspiel überhaupt Anlaß zu weiterführenden Überlegungen böte, dann sicherlich nicht in der bemängelten Diskontinuität zwischen vernichtungswütigem NS-Staat und fahrlässig friedfertiger BRD, sondern in der Kontinuität eines Deutschland, das, wie geläutert es sich auch immer geben mag, Gefahr läuft, in imperialistische Aggressionen zurückzufallen. Aus Erfahrung nicht klug zu werden, ist genau das, was Bittner empfiehlt, wenn er die Kriegstrommel als unabdingliche Voraussetzung nationaler Selbstbehauptung rührt.

Was dazu gedacht zu sein scheint, mit Hilfe der moralischen Geißelung des realpolitischen Pragmatismus deutscher Geostrategie in der drittgrößten, international bedeutsamen Tageszeitung der USA Druck auf Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik auszuüben, endlich den längst in Angriffsordnung aufgestellten Truppen anderer NATO-Staaten zu folgen, nimmt in dem Vorwurf, die USA selbst hätten die Deutschen nach dem Krieg zum Pazifismus umerzogen, eine allerdings abenteuerliche Kehre. Die Bundesrepublik wurde insbesondere auf Betreiben der US-Regierung und durchaus gegen das Interesse Frankreichs, wo man die Gefahr schon ahnte, einmal mehr zu eigenen Lasten mit einem großmächtigen deutschen Nachbarn konfrontiert zu sein, mit zügiger Remilitarisierung und baldigem NATO-Beitritt zum antikommunistischen Frontstaat im Kalten Krieg aufgerüstet. Was dieser angeblich in politischen Dingen bewanderte Zeit-Redakteur aufbietet, um eine in Schwarz und Weiß gezeichnete Welt zu entwerfen, in der die Bundesrepublik endlich zum Kampf gegen das Böse antreten solle, läßt Unterirdisches für die Zukunft eines Journalismus seines Schlages befürchten.

Der Lobgesang, den Bittner auf Joseph Fischers Aufruf anstimmt, eine Wiederholung von Auschwitz durch die Bombardierung des von Wehrmacht und SS heimgesuchten Jugoslawien zu verhindern, gibt die Marschrichtung einer Propaganda vor, die die Vielzahl politischer Konfliktbewältigungsstrategien auf ihre blutigste Form, die Anwendung militärischer Gewalt, verengt. Da dies stets aus der Position moralischer Suprematie zu erfolgen hat, muß die Befreiung Deutschlands von Hitler in inflationärer Vervielfältigung ins Feld ganz anders gearteter Konfrontationen geführt werden. Daß die US-Regierung heute die Lehren, die im Rahmen der Vereinten Nationen aus der Katastrophe des Weltkrieges gezogen wurden, für ungültig erklärt, indem sie sich den Primat absoluter, gegenüber niemandem rechenschaftspflichtiger Gewalt zum Töten ausbedingt, kann in dem von Bittner entworfenen Szenario selbstgerechter Kriegführung daher nur als positive Weiterentwicklung damals erwirtschafteter Legitimation verstanden werden.

Hat die deutsche Kriegspresse zuletzt im Libyenkrieg bitterste Krokodilstränen ob des Versäumnisses der Gelegenheit, endlich wieder deutsche Größe zu beweisen, vergossen, so geht es ihr nun darum, nichts mehr dem Zufall zu überlassen und eine deutsche Beteiligung schon vor dem nächsten Ernstfall sicherzustellen. Kapitalismus und Krieg? Nichts könnte den Bittner der Konzernpresse ferner liegen einzugestehen, nichts könnte die konstitutiven Faktoren deutscher Meinungsmacht kürzer auf den Begriff bringen.


Fußnote:

[1] http://www.nytimes.com/2013/11/05/opinion/bittner-rethinking-german-pacifism.html?_r=0

6. November 2013