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PROPAGANDA/1500: Fluchen und Gröhlen - die Angst vor Argumenten ... (SB)



Seit es in sozialen Netzwerken - nicht zuletzt in Ermangelung der Möglichkeit, eine physische Konfrontation "in real life" nicht zu überstehen - üblich geworden ist, rhetorisch blankzuziehen, um das unsichtbare Gegenüber zu treffen, feiert die Verwendung von Verbalinjurien auch im politischen Streit Triumphe notorischer Verächtlichkeit. Insbesondere dort fördert die Erniedrigung des anderen die Schwäche der eigenen Argumentation zutage. Wer es nötig hat, Tiefschläge mit Verweis auf Menschen zu landen, die körperliche Defizite aufweisen ("blind, behindert"), geistig nicht der kognitiven Leistungsnorm entsprechen ("schwachsinnig"), zu den gesellschaftlichen Verlierern gehören ("Loser"), deren Herkunft nicht der bürgerlichen Moral entspricht ("All Cops Are Bastards"), wer Vergleiche aus der Tierwelt benötigt, um dem anderen das Menschsein abzusprechen und damit seine Verachtung auf nichtmenschliche Lebewesen ausdehnt ("Schwein, Sau, tierisch, animalisch ..."), scheint sich über die normative Gewalt seiner Begriffe nicht im klaren zu sein.

Anhand solcher Begriffe mit ironischen Überspitzungen zu arbeiten oder sie im Kontext künstlerischer Freiheit zu verwenden kann, anders als der Wunsch, maximal beleidigende Wirkung zu erzielen, durchaus emanzipatorischen Zwecken dienen, so viel sei zur Gefahr der Etablierung einer ihrerseits repressiven Sprachnorm gesagt. Die Unvollständigkeit sprachlicher Analysen führt mitunter zu einer Rigidität bei der Bewertung einzelner Begriffe, die an die Wortklaubereien fundamentalistischer Bibelexegese erinnern, weil vergessen wurde, den Blick zu weiten und soziale wie historische Kontexte mitzulesen.

Erniedrigende Beschimpfungen sind keineswegs eine Domäne der extremen Rechten, auch wenn die Gepflogenheiten auf einschlägigen Portalen wie PI News dies nahelegen. Sogar sich als links verortende Menschen bedienen sich beim Versuch, den politischen Gegner zu treffen, verletzender Begriffe ohne jede inhaltliche Verknüpfung zur politischen Dimension der Konfrontation. Nazis deswegen zu verhöhnen, weil sie dick sind und schlecht aussehen, weil sie abstoßende und eklige Gewohnheiten haben, weil sie Rechtschreibfehler machen oder schlichtweg keinen Überblick haben, ist nicht weniger sozialrassistisch als die von ihnen ausgehenden Erniedrigungen nichtdeutscher oder nichtweißer Menschen. In all diesen Fällen liegt dem verbalen Angriff die Überzeugung zugrunde, selbst keiner dementsprechenden Abwertung zu unterliegen, also schöner, schlauer und einfach besser zu sein.

Gerade weil die nationalchauvinistische und völkische Rechte eine klare Hierarchie in ihrem Menschenbild hat, die sich häufig in verächtlichen Beleidigungen ausdrückt, sollten AntifaschistInnen sich nicht auf die gleiche Ebene menschenfeindlicher Ausfälle begeben. Wer es nötig hat, die eigenen Verluste und Niederlagen mit weißer Suprematie und patriarchalen Männlichkeitsvorstellungen zu kompensieren, dem fehlen ganz offensichtlich die Argumente. Die Kritik am vermeintlich naturgegebenen Recht des Stärkeren und einer sozialdarwinistischen Gesellschaftsordnung geht in ihrer humanistisch-sozialistischen Lesart von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen und, im weitergehenden Ansatz totaler Befreiung, aller Lebewesen aus. Diese Positionen im politischen Streit stark zu machen geht über bloßes Ablästern weit hinaus.

Nach 40 Jahren, in denen der Kapitalismus in seiner neoliberalen Zuspitzung das Konkurrenzprinzip verabsolutiert und soziale Probleme von den sie bedingenden gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen entkoppelt hat, um das atomisierte Marktsubjekt mit Schuldvorwürfen zur Räson seiner Herrschaft zu bringen, ist es nicht leichter geworden, eine linke, sozial emanzipatorische oder revolutionäre Position zu vertreten. Wie der weltweite Vormarsch der Neuen Rechten zeigt, ist das gesellschaftliche Bewußtsein von der Logik des Kampfes jeder gegen jeden so tief durchdrungen, daß die Einsicht in die Notwendigkeit solidarischer Unterstützung kaum mehr vorhanden ist. Nicht im Wechselwert der Warenform enthaltene Handlungsmotive bedürfen einer Begründung, die, weit grundsätzlicher als bei der Inanspruchnahme humanitärer und christlicher Ideale, einer fundamentalen Streitbarkeit gegen die Ausbeutung und Zerstörung des Lebens in Wort und Tat Ausdruck verleiht. Dies ist angesichts der Wirkmächtigkeit einer Doktrin individuellen Erfolgstrebens, die aus sich selbst heraus keinerlei Wirksamkeit entfalten kann, weil sie stets gegen den anderen gerichtet ist, allemal erklärungsbedürftig.

Dementsprechend schwer haben es AktivistInnen, die sich vor dem Hintergrund krasser sozialer Ungleichheit nicht mit dem Anspruch auf mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und einer gerechteren Umverteilung zufriedengeben, sondern den Kommunismus oder das Ideal unterschiedsloser Befreiung zu ihrer politischen Maxime erklären. Beide Ansätze sind von vornherein kosmopolitisch gemeint, weil hierzulande nichts gelöst werden kann, was andernorts im argen liegt. Der globale Klimawandel ist ein Beispiel für die Universalität der Aufgabe, mit der kapitalistischen Eigentumsordnung zu brechen, der Hunger von Millionen Menschen ein anderes. Vereinzelung und Isolation als Ergebnis virulenter Konkurrenz sind ein wesentliches Herrschaftsmittel, dem eine neue Kollektivität abzuringen ist, wenn überhaupt eine Chance auf die Überwindung herrschender Verhältnisse bestehen soll.

Der Reichtum des für viele Menschen sicheren Lebens in der Bundesrepublik ist unmittelbar verknüpft mit der existentiellen Not in anderen Weltregionen. Eben das führt die Neue Rechte auf gegenteilige Weise, durch Abschottung gegen den Rest der Welt und die Sicherung des angeeigneten Wohlstandes für all diejenigen, die ihre völkische Ideologie als Garantie eigenen Überlebens gutheißen, ins Feld des Kampfes um die Staatsmacht. Dem entgegenzutreten verlangt mithin mehr, als sich spiegelverkehrt auf der anderen Seite zu wähnen und doch der Feindseligkeit des Gewinners zu erliegen. Die Mängel und Nöte des verletzten und schwachen, des beschädigten und zerstörten Lebens in verbaler Form zur Waffe zu machen heißt nichts anderes, als sie zu bekräftigen und zu verstetigen. Die verbale Gewalt dreht sich im Kreise eigener Ressentiments und zeigt im Falle einer linken Überzeugung, daß die eigene Position nicht zuendegedacht wurde. Als souverän und trittsicher wiederum tritt hervor, wer den anderen am eigenen Anspruch mißt und sich damit zugleich selbst prüft.

28. September 2018


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