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PROPAGANDA/1515: Unteilbar-Demo - der Fahnenzwist ... (SB)



Von Bild bis taz reicht das Spektrum der Tageszeitungen, die sich daran stören, daß auf der Unteilbar-Demo in Dresden keine Nationalfahnen erwünscht waren. Die Behauptung, gerade dadurch werde "die Nation" gespalten (Bild), unterstellt ein von Klassenwidersprüchen freies Land, in dem soziale Probleme bereits durch das Schwenken seiner Fahne gelöst werden. Ausgerechnet in Dresden, wo Pegida begann und am größten wurde, könnte daran gedacht werden, daß Nationalfahnen mit der Ziehung von Grenzen und ihrer womöglich blutigen Verteidigung synonym zu setzen sind. Sich unter einer solchen Fahne in einem Deutschland, in dem auf dem hohem Niveau satt gefüllter Fleischtöpfe über die mißliebige Konkurrenz von MigrantInnen geklagt wird, zu versammeln kann kaum anders denn als Kampfansage an aufgrund von Herkunft, Sprache und Hautfarbe als nicht dazugehörig stigmatisierte Menschen verstanden werden.

Daß der Erfolg der letztjährigen Unteilbar-Demo in Berlin, an der sich 240.000 Menschen beteiligten, in Dresden nicht wiederholt wurde, verleiht der in der taz zuvor geäußerten Kritik, die der Nationalfahne entgegengebrachte Ablehnung verhindere einen "politisch-kulturellen Erfolg", keine größere Gültigkeit. Das Problem jeder Erfolgsorientierung besteht darin, die genuinen Prinzipien einer Bewegung zu schwächen oder womöglich aufzugeben, um auf diese Weise mehr gesellschaftliche Zustimmung zu erhalten. Das Unteilbar-Bündnis ist bereits sehr breit aufgestellt, denn zwischen radikaler Linker und SPD kann bestenfalls ein antifaschistischer Minimalkonsens zustandekommen. Insofern stärkt die Entscheidung von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, der Demo aus Angst davor, UnionswählerInnen der AfD zuzutreiben, fernzubleiben, die Glaubwürdigkeit des Unteilbar-Bündnisses.

Die CDU hat in Sachsen unter Ministerpräsident Biedenkopf die ideologischen Grundlagen für Entwicklungen wie Pegida gelegt. Heute werden die Ergebnisse des Westimportes einer liberalkapitalistischen Indoktrination geerntet, die der Union in Sachsen lange Zeit erstklassige Wahlergebnisse beschert hat. Wenn demnächst in AfD-regierten Bundesländern eine neue Ära nationalistischer Selbstbehauptung anbricht, dann auch deshalb, weil die Orientierung am autoritär geführten Nationalstaat nicht nur in Deutschland Triumphe feiert. Sie hat weltweit Konjunktur, und das häufig unter einer weißen Mittelschicht, die weit besser gestellt ist als die überflüssig gemachten Gruppen der "Outer-Class", so einst US-Präsident Clinton über die AdressatInnen seiner brutalen Sozialreformen.

Im Haß auf Nichtweiße und Nichtdeutsche tritt der fragwürdige Verdienst hervor, in eine deutsche Staatsbürgerschaft hineingeboren zu sein, die nicht genügend honoriert wird. Diese in patriarchalen Ordnungsvorstellungen wurzelnde und im Spätkapitalismus zu neuer Konjunktur gelangende Identitätsnot läßt vergessen, daß der Wohlstand in der Bundesrepublik in erheblichem Maß auf der Ausbeutung von Lohnarbeit und Naturressourcen in aller Welt basiert. Die Leugnung der Klimakatastrophe, die Glorifizierung der zweigeschlechtlichen Kleinfamilie, Antifeminismus, Homo- und Transphobie als auch das Insistieren auf Konsum- und Mobilitätspraktiken, die auch ohne CO2-Problem zu beenden wären, gehören in vielen Gruppen und Parteien der extremen Rechten zum Glaubensbekenntnis.

Davon sind denkbar viele Menschen betroffen, auch wenn diese keineswegs mehr die gesellschaftliche Mehrheit darstellen, wie das in der AfD immer noch rezitierte Fantasma "grünlinks versiffter" Hegemonie und dementsprechender Sprachzensur glauben macht. Sich ein- oder zweimal im Jahr auf einer zentralen bundesweiten Demo zu treffen reicht jedoch nicht aus, um zu verhindern, daß in Deutschland nationalistische Parteien an die Regierung gelangen, die ihre sozialdarwinistische Weltanschauung mit negativen Folgen für Menschen, die nicht in ihr völkisches Raster passen, zu konkreter Anwendung bringen.

In einem Bundesland, in dem die extreme Rechte so stark ist, daß nichtweiße Menschen Angst in der Öffentlichkeit haben müssen und links gesonnene BürgerInnen mit dem Gedanken spielen, vielleicht in den westlichen Teil der Bundesrepublik zu ziehen, setzen 40.000 Menschen, die für Solidarität und gegen Ausgrenzung demonstrieren, ein wichtiges Zeichen. Dieses zu einer verläßlichen Kraft in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu machen wäre ein Schritt, der über die Haltbarkeit antifaschistischer Bündnisse bis in die bürgerliche Mitte hinein Auskunft erteilte.

Moralisch gemeinter Protest kann bestenfalls zu Beginn eines solchen Bündnisses Verläßlichkeit schaffen. Die Grenzen der Gut-Böse-Schaukel hinter sich zurückzulassen und sich den konkreten, politökonomisch verankerten Widersprüchen dieser Gesellschaft zuzuwenden bietet vermutlich die größten Chancen, eine solidarische, herrschaftskritische und handlungsfähige Bewegung zu einer beständigen Größe im politischen Kampf zu machen. Um die sozialen Unterschiede der neoliberalen Klassengesellschaft zu überwinden und damit die Dynamik der rechten Mobilisierung zu brechen, müssen konträre Positionen klar markiert werden. Erst wenn emanzipatorische soziale Bewegungen mehr Luft zum Atmen und Überzeugungskraft im Prinzipiellen haben, fangen die Verhältnisse auf eine Art und Weise zu tanzen an, mit der die Höcke und Kalbitz der Republik nicht gerechnet haben. Weil ihr biologistisches, den Überlebenskampf jeder gegen jeden verallgemeinerndes Weltbild keinen utopischen Überschuß erzeugen kann, werden sie auch in Zukunft nicht verstehen, warum manche Menschen nicht zu Lasten des anderen überleben, sondern wirklich leben wollen.

26. August 2019


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