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RAUB/0888: Strategische Landnahme im globalen Mangelregime (SB)



Der US-Finanzinvestor George Soros hat sich einen Namen als Kritiker des Marktfundamentalismus gemacht und ist als Hedgefondmanager mit einem geschätzten Vermögen von neun Milliarden Dollar gleichzeitig einer der größten Profiteure des deregulierten Finanzmarktes. Sein Eintreten für wirksame ordnungspolitische Eingriffe ist so widersprüchlich nicht, liegt sein hauptsächliches Interesse doch in der Durchsetzung eines Gesellschaftsmodells, dessen zivilgesellschaftliche Liberalität im Rahmen eindeutig definierter Klassengrenzen verwirklicht werden soll. Soros kümmert sich im Unterschied zu vielen anderen Finanzmanagern auf besonders durchdachte Weise um die Sicherung des herrschenden Systems und tut dies nicht nur, indem er ihm als philantrophischer Mäzen den Zahn der Menschenfeindlichkeit zu ziehen versucht, sondern durch die im Rahmen der nach ihm benannten Stiftung praktizierte Abwehr sozialistischer und kommunistischer Alternativen.

Der von Soros an den Tag gelegte Weitblick hinsichtlich zu erwartender Verwerfungen im System finanzkapitalistischer Akkumulation hat den Finanzmagnaten schon 1994 dazu veranlaßt, in großem Stil in einen damals unter seinen Kollegen nur wenig beachteten Produktionsfaktor zu investieren. Damals übernahm er eine argentinische Agrarfirma, deren Bestand an 22.000 Hektar des fruchtbarsten Acker- und Weidelandes er in kurzer Zeit auf 348.000 Hektar ausbaute. Dazu wurde modernste Technologie für Getreideanbau und Viehzucht eingekauft, die Kapazität der Silos wurde verfünffacht und der Bestand an Rindern verdoppelt. Diese auf mindestens eine halbe Milliarde Dollar geschätzte Investition warf schnell Rendite ab, verdoppelten sich die Preise für Getreide und Soja schon bald nach seinem Einstieg in das Agrobusiness, zudem führte die BSE-Krise zu Höchstpreisen für garantiert von der Seuche freies argentinisches Rindfleisch. Soros hatte auf den weltweiten Fall der Agrarsubventionen spekuliert und lag auch damit in einem Trend, der den Streit um die internationale Wirtschaftsordnung bis heute bestimmt.

Wichtiger als die seinem Quantum Fonds, einem Klub von Großinvestoren, denen besonders hohe Renditen versprochen werden, daraus erwachsenden Profite war die Tatsache, daß Soros die strategische Bedeutung des Erwerbs von Agrar- und Weideland zu einer Zeit erkannte, als das Modell finanzkapitalistischer Akkumulation gerade abhob, um, durch krisenhafte Rückfälle lediglich unterbrochen, den Glauben an vermeintlich aus sich selbst geschöpften Reichtum zu einem zivilreligiösen Dogma zu erheben. Mit der im großen Stil vollzogenen Aneignung des primären Produktionsmittels Boden war Soros, wie der mit dem massiven Anstieg der Nahrungsmittelpreise eingeleitete Griff großer Konzerne und ganzer Staaten nach Agrarflächen gezeigt hat, der Entwicklung ein gutes Stück voraus und konnte dementsprechend günstige Konditionen in Anspruch nehmen.

Insbesondere die Anbaugebiete Afrikas, aber auch die großen Gebiete im Zentrum des eurasischen Kontinents sind zum Ziel einer Landnahme geworden, an der Regierungen von Staaten, die als Nettoimporteure von Lebensmitteln nicht in neue Abhängigkeiten geraten und daher ihre landwirtschaftlichen Flächen ausweiten wollen, ebenso wie Finanzinvestoren, die die Zeichen kommender Ressourcenknappheit erkannt haben, beteiligt sind. Diese Entwicklung geht zu Lasten aller Menschen, die in kleinbäuerlichen Strukturen mit hohem Subsistenzanteil überleben, wie auch der Bevölkerungen, die auf in ihrem Land erzeugte preisgünstige Lebensmittel angewiesen sind. Mit der Aneignung großer Ländereien und ihrer agroindustriellen Bewirtschaftung werden eben jene Strukturen und Mechanismen ausgebaut, die maßgeblich für die weitere Zunahme des Hungers in der Welt verantwortlich sind.

An die Stelle lokaler und regionaler Handelsstrukturen tritt ein internationales Wirtschaftsregime, das die jeweiligen Erzeugnisse an Weltmarktpreisen orientiert bewertet, wodurch der Spekulation mit mangelbedingten Preissteigerungen Tür und Tor geöffnet werden. Die betroffenen Volkswirtschaften bleiben unter der Kuratel eines Weltfinanzsystems, das die Verschuldung der Länder des Südens dazu nutzt, sie in der Abhängigkeit einer auf den Export in westliche Metropolengesellschaften wie aufstrebende Schwellenstaaten konditionierten Produktivität zu belassen. Die Ernährung der eigenen Bevölkerung bleibt auf der Strecke, wenn globale Vermarktungsinteressen Anbau und Nutzung diktieren. Verschärft werden Hunger und Elend durch haushaltspolitische Auflagen der Weltbank, laut der Sozialtransfers und infrastrukturelle Verbesserungen zugunsten optimierter Investitionsbedingungen zu kürzen seien.

Bauern werden zu Angestellten transnationaler Agromultis, wenn sie nicht ohnehin aufgrund der maschinellen Produktivkraftsteigerung ihre Erwerbsarbeit verlieren. Die Intensivierung der Erzeugung von Getreide und Fleisch geht mit den bekannten negativen Folgen für Biodiversität, Qualität und Krankheitsanfälligkeit einher, zudem erhöht sie die Verfügungsgewalt mit biotechnologischen Exklusionsmethoden und monopolistischer Kapitalmacht arbeitender Konzerne über ein Gut, das für jeden Menschen unverzichtbar ist. Ökologische Gesichtspunkte der Boden- und Wassernutzung, die im kleinbäuerlichen Rahmen schon aus Gründen des Erhalts der eigenen Lebensgrundlage Berücksichtigung finden, werden dem auf der Suche nach Verwertungsmöglichkeiten um die Welt vagabundierenden Kapital äquivalent ignoriert, bemißt sich die jeweilige Nutzung des Bodens doch an einer auf Rendite abzielenden und nicht den Menschen nährenden Verbrauchslogik. Schließlich werden für die Aufrechterhaltung kontinenteübergreifender Güterbewegungen begrenzte Rohstoffe verbraucht, die dadurch knapper werden und zudem die Preise der Lebensmittel erhöhen.

Der Griff großer Investoren und ganzer Staaten nach Rohstoffen im allgemeinen und Anbauflächen im besonderen dokumentiert eine Qualifikation gegen den Menschen gerichteter Überlebenssicherung, die daran erinnert, daß kapitalistische Wertsteigerung auf der Produktion von Unwert, Verbrauch, Zerstörung, Mangel beruht. Im Unterschied zur ursprünglichen Akkumulation, als die Enteignung der Menschen, die das Land bearbeiteten und von ihm lebten, zugunsten einer Raubstruktur höherer Ordnung den Beginn kapitalistischer Entwicklung anstieß, stößt das heutige Verwertungssystem an Grenzen, deren Nutzung als Element wertsteigernder Konkurrenz sich in der Vernichtung allgemeiner Lebenschancen niederschlägt. Die strategische Aneignung eines elementaren Guts, dessen Verfügbarkeit früher vor allem von seiner Urbarmachung abhing und dessen Wert eher in der dabei aufgewendeten menschlichen Arbeit als in der schieren Größe der Fläche bemessen wurde, ruft malthusianische Bevölkerungsarithmetik und NS-Lebensraumideologie in Erinnerung.

Mit der maschinellen und biotechnologischen Rationalisierung des Anbaus nimmt die Bedeutung begrenzt verfügbarer Ressourcen für die Nahrungsmittelerzeugung zu. Dies wird verschärft durch die Produktion von Agrosprit, mit dem die vorhandene Menge an Getreide zu Lasten hungriger Menschen in die Motoren derjenigen Gesellschaften umgeleitet wird, die die Bedingungen der globalen Landwirtschaft diktieren. Die Not all derjenigen, die die immer kostspieligeren Lebensmittel nicht mehr bezahlen können, rekapitalisiert sich praktisch in der Verfügungsgewalt über dasjenige, was ihnen fehlt. Auf die globale Ökonomie übersetzt bedeutet dies, daß die Realisierung des Unwerts genozidale Formen annimmt, die das, was die bereits jetzt bis zu Hunderttausend an den Folgen von Unterernährung täglich sterbenden Menschen zu erleiden haben, weit übersteigen könnte.

Desto wertvoller wird die Zugehörigkeit zu Gesellschaften, in denen ein Minimum an Überlebenssicherheit gewährleistet wird. Dieses Privileg ist weniger denn je qua Geburtsrecht erhältlich, sondern muß durch Unterwerfung unter die jeweilige Ordnung erkauft werden. Je höher sich die Mauern zwischen den Elends- und den "Komfortzonen" auftürmen, desto mehr werden Verteilungskämpfe unter nationalistischen Attributen ausgefochten. Die Ausgrenzung der "Überflüssigen" in den eigenen Gesellschaften erfolgt unter wachsender Beteiligung derjenigen, die meinen, sich so vor einem solchen Schicksal schützen zu können. Die Gewähr respektive der Entzug essentieller Versorgungsleistungen ist ein Herrschaftsmittel par excellence, wie auch die Tatsache zeigt, daß die Hungergebiete der Erde mehrheitlich in autoritär regierten Staaten liegen.

Um sich primäre Produktionsfaktoren wie große Ländereien in fremden Ländern überhaupt aneignen und diese wider die Interessen der dabei Verhungernden ausbeuten zu können, bedarf es schließlich erheblicher militärischer Mittel. Die Aufrüstung und Erweiterung der NATO steht nicht umsonst im Zeichen der Ressourcensicherung, und das gilt nicht nur für Erdöl und Erdgas, sondern auch Wasser und Nahrungsmittel. Der Griff nach den Anbauflächen der Welt ist mithin keine Angelegenheit, die nur für den Wirtschaftsteil der Zeitungen interessant ist, es handelt sich um eine strategische Schlüsselfrage von zukunftsweisendem Charakter, die in den Mittelpunkt herrschaftskritischer Überlegungen gehört.

15. Mai 2009