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RAUB/0963: Hunger in Pakistan ... kriegerisches Krisenmanagement hat Zukunft (SB)



Erst empörte man sich darüber, daß pakistanische Taliban Katastrophenhilfe leisteten und damit die Not der Flutopfer für ihre Zwecke instrumentalisierten. Nun versichert die Bundesregierung, daß die Bürger getrost spenden können, es sei garantiert, daß die Hilfsmittel nicht in korrupten Kanälen versickerten oder gar den Taliban zugute kämen. So oder so, in einer der größten humanitären Katastrophen der letzten Jahre ist der Logik des Krieges, in den sich die NATO-Staaten in der Region AfPak hineinbegeben haben, nicht zu entkommen. Da ist es nur folgerichtig, wenn die Regierung Frankreichs die Gelegenheit nutzt, den Aufbau einer militärischen EU-Eingreiftruppe für Naturkatastrophen vorzuschlagen. Auch die vom deutschen Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel vorangetriebene Militarisierung humanitärer und infrastruktureller Hilfe paßt bestens ins Bild einer Interventionsstrategie, die im Kern auf geostragische Einflußnahme zielt.

Nachdem sich der Terrorismus Al Qaidas als Vorwand für die Kriegführung der NATO-Staaten aufgrund des phantomartigen Charakters dieses Feindbilds abgetragen hat, nimmt allmählich ein Einsatzdispositiv Gestalt an, das den sozialen Weltkrieg unmittelbar adressiert. Mit der Aufnahme des Klimawandels und des Nahrungsmittelmangels in die Sicherheitsdoktrinen der NATO-Staaten angekündigt, erhält die Niederschlagung von Hungeraufständen zunehmende Bedeutung für die Definition strategischer Ziele. Die bereits bei der letzten Welle von Preissteigerungen ausgebrochenen Riots werden in Anbetracht der anstehenden globalen Lebensmittelverknappung als Warnsignal ernstgenommen. Die prognostizierten Ernteeinbußen dieses Jahres haben bereits zu erheblichen Preissteigerungen an den Getreidebörsen geführt. Auch die bislang an einem Angebot, das mit 39 Milliarden Dollar in Anbetracht der erwarteten Nachfrage zu gering war, gescheiterte Übernahme des weltweit größten kanadischen Düngemittelherstellers Potash durch den australischen Bergbaukonzern BHP Billiton spricht dafür, daß Nahrungsmittel zu einem zentralen Investitionsobjekt des ohne materiellen Gegenwert geschöpften und daher um so intensiver auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten befindlichen Kapitals werden. Der zusätzlich zum objektiven Mangel dadurch bedingte Preisaufschlag macht es Milliarden Menschen immer schwerer, täglich satt zu werden. Die Bewältigung der Krise der Kapitalakkumulation wird praktisch auf ihrem Rücken ausgetragen, weigern sich die Regierungen der ökonomisch führenden Staaten doch, selbst moderate Maßnahmen zur Regulation des globalen Finanzmarktes zu ergreifen.

So kann die humanitäre Katastrophe in Pakistan als extremer Ausdruck eines Mangelproblems verstanden werden, das mit vereinten Kräften unter Aussetzung etablierter Verteilungsordnungen zweifellos auf egalitäre Weise behoben werden könnte. Der utopische Charakter einer solchen Forderung legt nahe, daß dem Mangel ein Gewaltverhältnis zugrunde liegt, mit dem die Verfügungsgewalt der globalen Eliten über das Primat des kapitalistischen Verwertungssystems gesichert werden soll.

Anders wäre nicht zu erklären, daß die Hilfszahlungen für die notleidende pakistanische Bevölkerung weit hinter den ansonsten bei derartigen Katastrophen üblichen Beträgen zurückbleiben. Lediglich 40 Prozent der 450 Millionen Dollar, die die Vereinten Nationen angefordert haben, wurden bislang durch die Geberstaaten zugesagt. Erfahrungsgemäß wird davon nur ein Teil ausgezahlt. Dabei könnte die Not kaum größer sein. Sechs bis acht Millionen Menschen bedürfen dringender Nahrungsmittelhilfe, bis zu 3,5 Millionen Kinder sind akut davon bedroht, an durch von verseuchtem Trinkwasser ausgelösten Infektionskrankheiten zu erkranken. Dabei werden die Wiederaufbaukosten des Landes mit der sechstgrößten Bevölkerung der Welt, dessen Territorium zu gut einem Viertel von den Wassermassen betroffen ist, von der Regierung in Islamabad auf 10 bis 15 Milliarden Dollar geschätzt.

Allein das Mißverhältnis zwischen der für die Kriegführung aufgewendeten Mittel und der zugesagten Nothilfe dokumentiert, daß es den NATO-Staaten nicht, wie behauptet, um die Verbesserung der Lebenslage der Menschen in der Region geht. So geben die USA mindestens 12 Milliarden Dollar im Monat für den Krieg in AfPak aus, haben aber lediglich 90 Millionen Dollar an Nothilfe zugesagt. Die Bundesrepublik bringt laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rund 3 Milliarden Euro im Jahr für den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan auf [1]. Dem jüngsten Stand zufolge werden 25 Millionen Euro an Nothilfe zugesagt. Dazu, so rechnet Entwicklungshilfeminister Niebel vor, stellt die Bundesregierung weitere 43 Millionen Euro über internationale Organisationen bereit, sie übernimmt mit 14 Millionen Euro 20 Prozent der Pakistan-Hilfen der EU und stellt über Weltbank und Vereinte Nationen weitere 29 Millionen Euro zur Verfügung [2]. Bei den von der Weltbank zugesagten Geldern handelt es sich um Kredite, die nicht zuletzt dafür eingesetzt werden, Einfluß auf die Wirtschaftspolitik des Landes zu nehmen.

Der massiven Bemittelung militärischer Zwangsapparate steht ein besseres Feigenblatt an direkter Hilfe gegenüber. Das kennt man bereits von den in Afghanistan eingesetzten Mitteln für den Wiederaufbau, die weit hinter die Kosten der militärischen Besatzung zurückfallen. Signifikant für diesen Kurs bei der Mittelvergabe ist auch die Entscheidung des Auswärtigen Amts, nach einer bereits im laufenden Haushalt erfolgten Kürzung des Budgets für humanitäre Hilfe um 6,2 Prozent nun eine Reduzierung um 20 Prozent von 96 auf 76,8 Millionen Euro zu beschließen. Überall dort, wo Menschen auf existenzbedrohende Weise von Mangel betroffen sind, werden Haushaltsmittel reduziert, das gilt nicht nur für das von der Bundesregierung beschlossene Sparpaket.

Die auf dem G20-Gipfel in Toronto als Mittel zur Krisenbewältigung einhellig beschlossene Austeritätspolitik richtet sich unverhohlen gegen die Lebensinteressen der Ärmsten. Das zeigt auch die Entscheidung der US-Regierung, ihr von 41 Millionen Bürgern in Anspruch genommenes Programm zur Lebensmittelhilfe um 12 Milliarden Dollar zu kürzen. Jeder achte US-Bürger ist auf Lebensmittelmarken angewiesen, um satt zu werden, und dabei handelt es sich um bloße Nothilfe. 133 Dollar im Monat beträgt der Wert der Lebensmittel, die einem durchschnittlichen, in Not geratenen Haushalt zugestanden werden. In fast der Hälfte der betroffenen Haushalte mit Kindern hat ein Elternteil einen Job, dessen Lohn nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren. Die Armen alimentieren das Kapital mit Lohnarbeit unter Subsistenzniveau, was sie nicht davor schützt, einer parasitären Existenz bezichtigt zu werden. Wenn Milliardäre ihre karitative Ader bloßlegen, dann täuschen sie darüber hinweg, daß das vampiristische Nutzverhältnis geradewegs anders herum verläuft.

Pakistan ist mithin nicht so weit entfernt, daß die Bevölkerungen in den westlichen Industriestaaten keinen Anlaß hätten, das dort betriebene Krisenmanagement nicht als Entwurf für zukünftig gegen sie selbst gerichtete Maßnahmen zu verstehen. Die Aufrüstung des Sicherheitsstaates in Europa und Nordamerika erfolgt allemal unter dem Vorzeichen einer sozialen Repression, der die Protektorate und Kriegsgebiete der NATO ein probates Labor und Exerzierfeld sind. Die Kosten für eine verbrauchsintensive Wirtschaftsweise, deren klimatische Folgen immer häufiger auf katastrophale Weise manifest werden, werden ebenso ungerecht verteilt wie der damit erwirtschaftete Reichtum. Dies werden die Menschen auf Dauer nicht widerstandslos hinnehmen, das weiß man in den Zentralen biopolitischer Zurichtung der Bevölkerungen weit früher, als es den Betroffenen selbst dämmert. Dementsprechend entwickelt sind die dagegen gerichteten Vorbereitungen, die im Falle Deutschlands um die gerade wieder aufgekochte Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern kreisen.

Fußnoten:

[1] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,695419,00.html

[2] http://www.donaukurier.de/nachrichten/politik/Wir-lassen-Pakistan-nicht-allein;art154676,2312352