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RAUB/1030: Schweizer Banken müssen Federn lassen (SB)




Das geflügelte Wort, etwas sei so sicher wie im Tresor einer Schweizer Bank, hat ausgedient. Mit einer fundierten Analyse und Kritik des Geldes im Kontext kapitalistischer Verwertung hat das freilich so wenig zu tun wie die alleinige Bezichtigung gieriger Banker und Spekulanten als angebliche Verursacher der Krise. Wenn innovative Verfügungsgewalt zwangsläufig nicht vor dem Bankgeheimnis haltmacht, weil dieser Bruch der Privatsphäre einen wesentlichen Zugriff auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und Manöver der Bürger möglich macht, sollte das kein Anlaß zu scheuklappengeschienter Schadenfreude sein. Dem Urreflex bürgerlicher Selbstbehauptung und Besitzstandswahrung Rechnung zu tragen, der zwischen Triumpf und Empörung um die Verteilung ihm gewährter oder entzogener Kuchenstücke streitet, führt geradewegs in die Sackgasse fest- und fortgeschriebener gesellschaftlicher Verhältnisse. Staatliche Ordnung zu begrüßen, sofern sie den eigenen Konkurrenzvorteil zu befördern scheint, und allenfalls dort zu rügen, wo sie in Bevorzugung anderer nachteilig wahrgenommen wird, arbeitet jener Spaltung in die Hände, die unabdingbare Voraussetzung jeder Herrschaft ist.

Der Konkurrenzvorteil des Schweizer Bankwesens bestand seit jeher darin, vor der Herkunft der ihm anvertrauten Gelder hermetisch die Augen zu verschließen. Durch die ursprüngliche Akkumulation und Initiation in Gestalt der Finanzierung des niederländischen Sklavenhandels reich und abgehärtet geworden, bedienten die eidgenössischen Finanzexperten geraume Zeit meisterhaft die schwarzen Tasten der Klaviatur geldgestützter Ertragssicherung. Schlechter als die weißen waren sie nicht, ganz im Gegenteil, galt es doch jene Sektoren von Ausbeutung und Unterdrückung zu bedienen, die tabuisiert, ausgeblendet und verschleiert werden mußten. Unterstützten die westlichen Mächte Diktaturen in aller Welt, so bedurfte es dazu nicht zuletzt der Schweizer Banken, die den Despoten einen sicheren Hafen für ihre zusammengerafften Schätze garantierten.

Daß diese jahrzehntelang unter dem Deckel gehaltene Funktion heute auf breiter Front kritisiert zu werden scheint, zeugt keinesfalls vom Ende imperialistischer Expansion, sondern vielmehr von deren aggressiver Ausweitung im Weltmaßstab. Die systematische Zerschlagung aller Staatswesen, die dem Vordringen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten Steine in den Weg legen könnten, bedient sich einer gestaffelten Aggression, die mit Drohungen beginnt, über Wirtschaftssanktionen fortschreitet und in Angriffskriege mündet. Im Ausland deponierte Gelder einzufrieren, zu beschlagnahmen und sie nach eigenen Maßgaben in den Regimewechsel zu investieren, geht mit der Propaganda einher, es handle sich um die beiseite geschaffte Beute der Diktatoren, denen man das Wasser abgraben müsse. Daß es sich dabei im wesentlichen um Gelder und Investitionen anderer Staaten handelt, die man diesen und damit auch ihrer Bevölkerung entzieht, fällt unter den Tisch. Ein Schweizer Bankwesen, daß sich diesem Zugriff um seiner eigenen ökonomischen Vorteile willen verschließt, ist aus Perspektive der Führungsmächte obsolet, weshalb es zur Räson gebracht werden muß.

Dazu gesellt sich in Zeiten verschärfter Systemkrise die Tendenz, im Überlebenskampf nationale und regionale Partialinteressen wesentlich schärfer als in der Vergangenheit durchzusetzen und selbst die Vermögenssicherheit einheimischer Eliten zum Zweck ihrer grundsätzlichen Fortschreibung demonstrativ durchzuschütteln. Die seit 2006‍ ‍geübte Praxis, Insidern brisante Bankdaten für Millionensummen abzukaufen, um damit sogenannte Steuersünder abzukassieren, spülte dem deutschen Fiskus Milliardensummen zu. Hunderte wohlhabende Bundesbürger mußten Federn lassen, der frühere Postchef Klaus Zumwinkel wurde 2009 wegen Steuerhinterziehung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldbuße von einer Million Euro verurteilt. Die Zahl der Selbstanzeigen schnellte in die Höhe, und im April 2011 zahlte die Schweizer Bank Julius Bär 50 Millionen Euro, damit die deutschen Behörden ihre Ermittlungen gegen das Geldinstitut und ihre Mitarbeiter einstellen. [1]

Da auf diesem Gebiet Unterschiede im deutschen und Schweizer Recht aufeinanderprallen und man beiderseits nicht das geringste Interesse daran hat, eine Grundsatzdebatte über den Zusammenhang von Armut und Reichtum loszutreten, hat man ein Steuerabkommen ausgearbeitet, das der parlamentarischen Absegnung harrt. Die Vereinbarung sieht im Prinzip vor, daß ab 2013 Erträge deutscher Anleger in der Schweiz mindestens genauso hoch besteuert werden wie in Deutschland. Damit ist beiden Seiten gedient, wobei sich die Niederlage der Eidgenossen in überschaubaren Grenzen hält. Hatte der frühere sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück vor zweieinhalb Jahren noch martialisch mit dem Einmarsch der Kavallerie in die Schweiz gedroht, sollte diese weiter gemeinsame Sache mit deutschen Steuerhinterziehern machen, so ist Wolfgang Schäuble jeder Kriegsrhetorik zu den jüngst erlassenen Haftbefehlen der Eidgenossen gegen drei Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen abhold. Die Bundesregierung erklärte im Grundsatz, daß Steuerhinterziehung verfolgt werden müsse, sieht aber gerade im Abkommen dieses Anliegen hinreichend umgesetzt. [2]

Die Opposition verweigert jedoch die Ratifizierung des Abkommens im Bundesrat und nutzt die aktuelle Eskalation, den Bundesfinanzminister dringend aufzufordern, die Steuerfahnder gegen die Schweiz in Schutz zu nehmen. Massenmörder könnten ihr Geld dort ohne große Probleme anlegen, während die Steuerfahndung kriminalisiert werde, ereiferte sich der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß. Schäuble müsse die Schweiz drängen, ihr "Geschäftsmodell" aufzugeben, "nämlich länderübergreifende Steuerkriminalität zu schützen". [3] SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte gar, die drei Steuerfahnder mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Die Bundesregierung müsse die deutschen Steuerfahnder schützen und gegen die Schweizer Haftbefehle vorgehen, diktierte er der Bild-Zeitung ins geneigte Ohr. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nannte es "skandalös und an Dreistigkeit kaum zu überbieten". Er warf dem Nachbarland vor, Kriminelle zu schützen und Steuerfahnder zu jagen. [4]

Wenngleich man gutsituierten Steuerhinterziehern keine Träne nachweinen muß, kann man sich doch des Eindrucks kaum erwehren, daß SPD und Grüne viel Rauch um nichts veranstalten. Ihre Position, daß Steuersünder im Zuge des Abkommens zu milde behandelt würden, mag zwar dem opportunistischen Schielen nach Wählerstimmen gut bekommen, entbehrt aber jeder fundierten Kritik am Bankwesen als solchem, geschweige denn den herrschenden Verhältnissen, die sich seiner unter modifizierten Bedingungen bedienen. Verwundern kann das nicht, wollen sich doch Sozialdemokraten und Grüne demnächst wieder selbst in den Berliner Sattel setzen.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-warum-schaeuble-beim-schweizer-steuerstreit-still-bleibt/6466388.html

[2]‍ ‍http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/haftbefehle-als-argument-fuer-steuerabkommen-mit-der-schweiz_1.16236204.html

[3]‍ ‍http://www.stern.de/news2/aktuell/opposition-draengt-schaeuble-zu-haerte-gegen-schweiz-1808540.html

[4]‍ ‍http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE83104720120402

2.‍ ‍April 2012