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RAUB/1099: Schuldenregime Griechenland - Jeder Ausweg versperrt (SB)



"Gute Nachrichten für Griechenland: Das Land erhält weitere EU-Milliarden", schreibt die Welt. [1] Es sei wichtig, aus Griechenland jetzt eine Erfolgsgeschichte zu machen, verkündet EU-Kommissar Pierre Moscovici anläßlich der Freigabe der nächsten Rate aus dem Eurorettungsfonds ESM für das hoch verschuldete Land. [2] Um eine gute Nachricht oder gar eine Erfolgsgeschichte für die griechische Bevölkerung kann es sich offensichtlich nicht handeln. Die nagt mehr denn je am Hungertuch, ohne jede Aussicht auf Linderung ihrer Not. Die Griechen stöhnen unter der Last neuer Rentenkürzungen und Steuererhöhungen. Allein die Pensionszahlungen wurden in den vergangenen Jahren mehr als zehnmal gekürzt. Von Lebensmitteln über Kaffee und Zigaretten bis hin zu Heizöl, Internet und Mobilfunk ist alles teurer geworden. Den offiziellen Zahlen zufolge liegt die Arbeitslosenquote bei 25 Prozent, die Realität sieht noch schlimmer aus. Kein Mensch kann die Frage beantworten, wie die Wirtschaft angesichts der umfassenden Sparmaßnahmen wieder in Schwung kommen soll. [3]

Soll sie auch nicht. Wenn Griechenland trotz aller Hilfsprogramme nicht aus der Krise kommt, liegt das in erster Linie daran, daß weniger als fünf Prozent der Milliardenkredite im Haushalt ankommen - mit dem Rest wurden europäische Banken gerettet. Seit sechs Jahren pumpen die Euroländer und der IWF Gelder nach Griechenland, dem immer härtere Spar- und Reformpakete auferlegt werden. Die Konstruktion der sogenannten Hilfsprogramme sieht vor, daß vor allem Banken und andere private Gläubiger gerettet werden. Mit "frischem" Geld werden alte Schulden abgelöst, Zinsen bezahlt und die griechischen Banken rekapitalisiert. [4]

Erst vor wenigen Tagen hat Wolfgang Schäuble noch einmal betont: "Das Problem von Griechenland sind nicht die Schulden, das Problem ist, Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen." Will der Bundesfinanzminister am Ende die Griechen befähigen, konkurrenzfähig mit den Deutschen zu werden? Natürlich nicht. Ganz im Gegenteil soll die höhere deutsche Produktivität gegenüber Griechenland nicht nur erhalten, sondern weiter ausgebaut werden. Wettbewerbsfähig heißt in diesem Zusammenhang zum einen, daß Griechenland in der EU und der Eurozone bleibt, um der deutschen Wirtschaft in mancherlei Hinsicht zur Verfügung zu stehen. Es heißt zum anderen, daß die Regierung in Athen die Bevölkerung gnadenlos auspreßt, denn irgend jemand muß die Zeche ja bezahlen.

Gerade eben hat die Syriza-Regierung weitere 15 Reformschritte abgearbeitet und dabei unter anderem das Rentensystem reformiert, den Energiesektor umgebaut und Staatsvermögen verkauft. Selbst überaus heikle Einschnitte wie die Privatisierung der Wassergesellschaften von Athen und Thessaloniki wurden durchgeboxt. Werden die Forderungen der Gläubiger nicht restlos erfüllt, setzt es Druck. Beispielsweise wurde die staatliche Telefongesellschaft OTE zu 95 Prozent privatisiert, die verbleibenden 5 Prozent sollen durch den neuen griechischen Privatisierungsfonds verkauft werden. Dennoch gilt das gesamte Projekt als "nicht umgesetzt". Ähnlich sieht es auf weiteren Baustellen aus: Abbau der Staatsbediensteten, Öffnung des Arbeitsmarktes, Liberalisierung des Energiesektors und vieles mehr - überall sehen die Geldgeber noch jede Menge Luft, die Schraube enger zu ziehen.

Und das geht so: Seit 2010 haben die EU und der IWF das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland dreimal mit Hilfsprogrammen versorgt, wobei das letzte im Sommer 2015 ausgehandelt wurde und bis Ende August 2018 laufen soll. Der 2012 gegründete permanente Rettungsschirm ESM (European Stability Mechanism) der 19 Euro-Staaten besorgt sich Geld über Anleihen an den Kapitalmärkten und verleiht es weiter. Er bekommt günstige Konditionen, weil die Mitgliedstaaten mit einem Stammkapital von rund 80,5 Milliarden Euro üppige Sicherheiten gewähren. Der deutsche Finanzierungsanteil liegt bei knapp 27 Prozent, und die Steuerzahler müßten nur dann einspringen, wenn Athen Kredite nicht zurückzahlt. [5] Ein Verlustgeschäft für die Gläubiger, wie das häufig kolportiert wird, ist diese Konstruktion also keineswegs, was freilich nicht der einzige und entscheidende Zweck der Übung ist.

Worum es im Kern geht, veranschaulicht die Dauerkontroverse zwischen dem IWF und den Finanzministern der EU, wie mit Griechenland zu verfahren sei. Der IWF warnt, daß Griechenland unmöglich einen Schuldenberg von inzwischen 328 Milliarden Euro allein mit Sparmaßnahmen und einem Wirtschaftswachstum abtragen kann, und fordert deshalb rasche Schuldenerleichterungen. Das lehnen die Finanzminister, allen voran Schäuble, vehement ab, die Athen fortgesetzt unter Druck setzen wollen. Allerdings droht der IWF unter der Hand, er werde sich nicht mehr an den Krediten beteiligen, was wiederum die Bundesregierung unbedingt verhindern will. Aus deren Sicht steht insbesondere die Führerschaft in einem europäischen Schuldenregime auf dem Spiel, das jede Lockerung, die dem Schuldner auf die Beine helfen, ihn aber zugleich tendenziell aus den Fesseln befreien könnte, verhindern will. Wenn die Griechen am Rande des Abgrunds gehalten werden, so nicht, um sie zu retten, sondern um widerstandslos über sie verfügen zu können.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article158674616/Neuer-Milliarden-Kredit-doch-ernste-Konflikte-schwelen.html

[2] http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/1-1-milliarden-euro-freigegeben-euro-gruppe-billigt-neue-finanzspritze-fuer-griechenland_id_6052049.html

[3] http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europaeische_union/849795_EU-macht-weitere-Gelder-fuer-Griechenland-locker.html

[4] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-hilfsmilliarden-retteten-vor-allem-banken-a-1090710.html

[5] http://www.dw.com/de/eu-griechenland-erfüllt-alle-vorgaben/a-36007194

11. Oktober 2016


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