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RAUB/1124: COP23 ... warten auf schlechtere Zeiten (SB)



Das vermeintliche Wunder von Paris wurde schon vor zwei Jahren aus gutem Grund als Luftnummer kritisiert. Die gute, ja euphorische Stimmung am Ende des COP 21 ist nach dem Weltklimagipfel in Bonn endgültig verfolgen, hat allerdings auch keiner heilsamen Ernüchterung Platz gemacht. An der grundlegenden Verkennung, "die Welt" sei ein Subjekt gemeinsamen Handelns der sogenannten Völkergemeinschaft, halten die am Rhein zusammengetroffenen Regierungen fest, als gelte es, sich an einem Strohhalm aus dem lodernden Brand derselben zu ziehen. Wurde in Paris anhand freiwilliger Klimaschutzziele an den guten Willen der Vertragsparteien appelliert, so ist man in Bonn keinen Schritt weiter damit gekommen, die Reduktion von Treibhausgasen so verbindlich zu machen, daß die Aufheizung des gemeinsamen Gutes Weltklima in einem noch verträglichen Rahmen bliebe.

Wieso auch sollten Staaten, die sich ökonomisch, militärisch oder globaladministrativ bekriegen, angesichts der zudem immer weiter in die Zukunft verschobenen Schwelle, an der akutes Eingreifen unabdinglich wäre, auf Maßnahmen einigen, die ihr Regierungshandeln grundsätzlich in Frage stellen? Wo Teilen und Herrschen die klassengesellschaftliche Wirklichkeit regulieren und die Staaten auf dem Feld der Weltmarktkonkurrenz Kriege gegeneinander führen, deren Opfer nur deshalb unsichtbar bleiben, weil der Zusammenhang zwischen ihrer Verelendung und der kapitalistischen Eigentumsordnung nicht hergestellt wird, wäre eine Einigung, die das Wohl aller Lebewesen an die erste Stelle setzte, tatsächlich ein Wunder.

So bleibt es bei halbgaren Absichtsbekundungen, die stets genug Manövrierraum lassen, um die eigenen Vorteile, sprich die Interessen der nationalen Kapital- und Funktionseliten, zu Lasten anderer wahren zu können. Klimapolitisch wird zwischen den Staatssubjekten vor allem auf dem Sektor der Energieerzeugung verhandelt. Die Umstellung der jeweiligen Schlüsselindustrien nach Maßgabe von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit auf erneuerbare Energien zu vollziehen ist kein der weiter ansteigenden Emission von Treibhausgasen adäquates Programm, sondern Ausdruck einer unverändert auf die Parameter der Weltmarktkonkurrenz fixierten Wirtschafts- und Industriepolitik. Deren wachsender Anteil am nationalen Energiemix wird als großer Fortschritt gefeiert, obschon alle Welt weiß, daß die angestrebte Eindämmung der Erwärmung des Erdklimas auf weniger als zwei Grad damit nicht zu verwirklichen ist.

Weil Appelle an "die Menschheit" und "die Welt" vor allem als Generalausrede für Neokolonialismus und Imperialismus fungieren, wird die marktwirtschaftliche Lösung einer Bepreisung des CO2-Äquivalents und seine Verwandlung in einen geldpolitischen Aktivposten als maßgebliches klimapolitisches Rezept angepriesen. Wenn der negative Ertrag fossilen Brandes teurer gemacht wird, um dem Finanz- und Industriekapital weiterhin die Bewirtschaftung des Mensch-Natur-Stoffwechsels zu überantworten, ist der soziale Schaden absehbar. Er wird die jetzt schon am meisten unter dem Klimawandel leidenden Bevölkerungen des globalen Südens in noch größere Not treiben und die Klassenwidersprüche in den metropolitanen Industriegesellschaften weiter verschärfen.

Zudem öffnet die Etablierung eines Geldäquivalents namens Karbon dem schwungvollen Handel mit realen Schäden an Natur und Klima Tür und Tor. Die Inwertsetzung der Natur durch ihre Quantifizierung als Ökosystemdienstleistungen oder die Ausweisung von Verschmutzungsrechten und Biodiversitäts-Offsets als Tauschwertäquivalente stellen nichts anderes dar als den qualifizierten Zugriff der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung auf die verbliebenen Potentiale lebenswichtiger Ressourcen des Wassers und Bodens, der Pflanzen und Tiere. Werden auch die letzten Naturreservoirs als Objekte marktförmiger Investitionslogik zerteilt und gezählt, braucht nicht lange darüber spekuliert werden, wer darunter am meisten zu leiden hat. Millionen Menschen hungern, weil sie für keine zahlungsfähige Nachfrage gut sind. Diese tauschwertorientierte Mangelproduktion wird durch die Rechenbarkeit sogenannten Naturkapitals auf weitere lebenswichtige Ressourcen bis hin zur Atemluft ausgedehnt werden.

Die weitreichende Ausblendung der globalen Landwirtschaft als Produzentin klimaschädlicher Emissionen auch auf diesem COP, von kleinteiligen Initiativen einmal abgesehen, kann daher nur Anlaß zur Sorge um die zukünftige Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sein. Die Konsumption besonders klimawirksamer Tierprodukte in den Industriestaaten nimmt weiter zu, während immer mehr Menschen von Getreide und Hülsenfrüchten leben, ohne die Freiheit zu haben, sich für das eine oder andere entscheiden zu können. In den anstehenden sozialen Kämpfen um den Zugriff auf verbliebene Ressourcen wird die Frage der Ernährung eine Schlüsselstellung einnehmen. In ihr tritt das sozialdarwinistische Hauen und Stechen, das durch den neutral wirkenden Begriff der Klimapolitik kaum noch zu überdecken ist, längst als alltäglicher Überlebenskampf hervor und vermittelt eine Ahnung davon, wie grausam dieser in einer um drei bis vier Grad heißeren Welt um sich griffe.

Wer noch darüber erstaunt ist, daß eine Regierung wie die der Bundesrepublik fast nichts dafür tut, der von ihr selbst anerkannten Notwendigkeit schnellen Handelns zur Eindämmung des Klimawandels gerecht zu werden, zieht es vor, den konstitutiven Charakter gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse auch für dieses Politikfeld zu ignorieren. Hehre Appelle an "die Menschheit" und beschwörende Reden über die Zukunft des Planeten, der doch die einzige Lebensgrundlage aller Menschen sei, gehen absichtsvoll an den sozialen Widersprüchen vorbei, die das alltägliche Leben der Menschen bestimmen. Absichtsvoll deshalb, weil am Ende das eigene Hemd über die Moral entscheidet, mit der in den zivilreligiösen Andachten in Bonn eine Zukunft beschworen wurde, die im individuellen Überlebenskalkül längst Vergangenheit ist.

Dies fällt in den Ländern, die die Belastbarkeit der atembaren Atmosphäre durch die historische industrielle Verwertung fossiler Brennstoffe am gewinnträchtigsten ausgenutzt haben, um so leichter, als eine auf Staatssubjekten basierende Weltordnung den effizienten Ausgleich der klimabedingten Schäden zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West verhindert. Die in Bonn verabreichten Trostpflaster für den Globalen Süden ändern nichts daran, daß die Verschärfung klimabedingter Mangelzustände die Kluft zwischen wohlhabenden und ärmeren Bevölkerungen immer tiefer werden läßt.

Als gesellschaftspolitischer Vorschein auf die Zukunft der Klimakatastrophe erweist sich auch der wachsende Einfluß der neuen Rechten in Nordamerika und Europa. Wenn sie der absehbaren Flucht aus den Einöden der Naturzerstörung durch immer höhere Grenzzäune vorgreift, den Klimawandelt tendenziell leugnet und mit der Propaganda nationaler Identität und Souveränität einem biologistischen Volksverständnis zuarbeitet, dann wird damit nichts anderes als der Kampf um Lebensraum und Ressourcensicherheit bis aufs Messer vorbereitet. Solange das Problem politischer Handlungsunfähigkeit nicht auf die Leugnung sozialer Antagonismen und gesellschaftlicher Klassenwidersprüche zurückgeführt wird, besteht die Gefahr, daß die globale Klimapolitik auf eine neue Form der Massenvernichtung hinausläuft.

19. November 2017


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