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RAUB/1162: CO2-Emission - Klimaschäden unbezahlbar ... (SB)



Die Defizite, die sich daraus ergeben, daß die Bundesrepublik sich verbindlich für eine deutliche Minderung der CO2-Emissionen von Gebäuden, Verkehr und Landwirtschaft festgelegt hat, diese Ziele jedoch nicht erreichen wird, könnten den Kauf von Emissionsberechtigungen im Wert von bis zu 60 Milliarden Euro bis 2030 erforderlich machen. Ausschlaggebend dafür sind Absprachen auf EU-Ebene, mit denen die Ziele des weltweiten Klimaschutzes in den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden sollen. Weil die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen, im Rahmen der EU-Effort-Sharing-Entscheidung und der EU-Climate-Action-Verordnung bis 2020 14 Prozent und bis 2030 38 Prozent Emissionsminderungen gegenüber 2005 zu erreichen, nicht einhalten wird, fallen Kosten an, die laut eigenem Bekenntnis zur Eindämmung des Klimawandels gar nicht erst entstehen dürften.

In der von den gemeinnützigen Think Tanks Agora Energiewende und Agora Verkehrswende veröffentlichten Studie "Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt" [1] wird untersucht, wie diese Defizite im Bereich jener nationalen Emissionen entstehen, die nicht vom System des EU-Emissionshandels (European Union Emissions Trading System, EU ETS) abgedeckt sind. Während dieser vor allem den Ausstoß von CO2-Äquivalenten der großen Kraftwerke der Stromerzeuger und energieintensiver Unternehmen der Metallverarbeitung, Zementproduktion und Chemischen Industrie reguliert, sind die Emissionen des Verkehrs, der Gebäude und der Landwirtschaft als sogenannte Nicht-ETS-Sektoren zusammengefaßt und verschiedenen Maßnahmen zu ihrer Begrenzung und Kompensation unterworfen.

Da die Maßnahmen zur Abgasminderung, die den Straßen-, Schiffs-, Luft- und Schienenverkehr als größten Nicht-ETS-Sektor betreffen, durch die Bundesregierung aus politischen Gründen geschwächt und andere Möglichkeiten zur Emissionssenkung insbesondere von PKWs und LKWs wie eine höhere Besteuerung oder allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung ebenfalls unter dem Druck der Autoindustrie verhindert werden, wird die Rechnung des ungehemmten Brandes am langen Ende gescheiterter Reduktionsziele aufgemacht. Dann muß die Freisetzung von Treibhausgasen, die die vereinbarten Reduktionsziele überschreitet, mit Hilfe von Ausgleichszahlungen, die vor allem den Erwerb von Emissionsgutschriften aus anderen EU-Staaten betreffen, aus dem staatlichen Steueraufkommen beglichen werden.

Die Externalisierung von Kosten bestimmter Branchen, die die Luft beim Verfeuern fossiler Brennstoffe mit Treibhausgasen, Feinstäuben und anderen Umweltgiften anreichern, also eine allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehende Ressource überproportional dem eigenen Verwertungsinteresse unterwerfen, wird über den Emissions-Reduktionsplan der EU auf die steuerpflichtige Bevölkerung umgelegt, die die unsichtbare Subventionierung dieser Industrien zu begleichen hat. Man könnte diesen Vorgang auch als eine Form der ökologischen Enteignung bezeichnen, werden den Menschen doch damit Kosten für zerstörerische Produktionsweisen aufgebürdet, für die sie sich nicht entschieden haben und an denen aus politischen Gründen festgehalten wird. Indem sogenannte Schlüsselindustrien quersubventioniert werden, wird auch der Entwicklungspfad, den sie repräsentieren, gegen alle möglichen Alternativen durchgesetzt, sprich die wachstums- und wettbewerbsorientierte Kapitalverwertung erhält zusätzliche Legitimation.

So sinnvoll die marktförmige Regulation klima- und umweltschädlicher Emissionen auf den ersten Blick erscheinen mag, bürdet sie doch Industrien mit besonders negativer CO2-Bilanz zusätzliche Kosten durch den Kauf von Emissionszertifikaten oder die Umstellung auf weniger klimaschädliche Produktionsverfahren auf, so sehr verfehlt sie den Zweck, besonders zerstörerische Produktionsweisen im ersten Schritt einzustellen. So bieten sich für die Bundesrepublik, wie der Studie zu entnehmen ist, neben dem Kauf von Emissionszertifikaten auch andere Formen des Neutralisierens der Luftbelastung an, die über die Ziele der vereinbarten Emissionsreduktion hinausgehen. Politische Tauschgeschäfte, mit denen sich eine Haushaltsbelastung durch den Kauf von Emissionszertifikaten umschiffen ließe, scheinen ebenso möglich zu sein wie das Verschieben von Nicht-ETS-Sektoren in den ETS-Bereich oder andere Formen der Verlagerung bereits vollzogener Formen der Zerstörung in weniger belastete Bereiche.

Die Treibhausgase werden über die Grundeinheit der CO2-Äquivalenz tauschförmig gemacht und können als eine Ware wie jede andere bepreist und auf dem Finanzmarkt verwertet werden. Die Frage, ob der jeweilige Handelsvorgang überhaupt noch mit dem Ziel des Klimaschutzes verknüpft ist, stellt sich für die Akteure am Finanzmarkt und die Kapitalinvestoren, die ihr Geld gewinnbringend anlegen wollen, nicht - sie betreiben mit diesen Papieren ein Geschäft wie jedes andere. Ohne die Frage, womit bei Emissionszertifikaten überhaupt gehandelt wird, beanworten zu müssen und als Geldware ort- und zeitlos geworden, steht dem operativen Geschäft mit ökologischen Schulden nichts mehr im Wege. So wäre, was in der Studie nicht erwähnt wird, auch die Möglichkeit des sogenannten Offsettings von Emissionen durch den Kauf entsprechender Zertifikate im Globalen Süden vorstellbar. Wenn dort ein Wasserkraftwerk errichtet, ein Plantagenwald gepflanzt oder eine vom Aussterben bedrohte Tierart geschützt wird, dann ist weder sichergestellt, daß diese Maßnahmen für die dort lebenden Bevölkerungen verträglich sind, noch geht aus den daraus entstandenen Finanztiteln hervor, ob ihr Gegenstand tatsächlich ökologisch nachhaltig ist. Selbst wenn sie es wären, dann ändert der Kauf eines sogenannten Verschmutzungsrechtes, das aus solchen Maßnahmen geschöpft wird, nichts an der Umweltzerstörung, die dadurch kompensiert werden soll.

Die von Agora Energiewende und Agora Verkehrswende veröffentlichte Studie läßt genau dies erkennen - die staatliche Regulation durch sogenannte marktbasierte Mechanismen macht Zerstörungspraktiken und Destruktivpotentiale auf vielerlei Weise fungibel, so daß den ökologischen Zerstörungsprozessen vielleicht Einhalt geboten wird, vielleicht aber auch nicht. Mit diesen Finanzinstrumenten wird ein nationales Wachstum ermöglicht, dessen ökologische Kosten im Zweifelsfall über das Produktivitätsgefälle zwischen den hochentwickelten Industriestaaten des Nordens und den Ländern mit nachholender Entwicklung im Globalen Süden externalisiert werden. Im Endeffekt resultiert der zentrale Zweck des Emissionshandels, die marktbasierte Lenkungswirkung bei der Ressourcennutzung, in der Umlenkung destruktiver Prozesse an Orte und in Aggregate, die noch nicht so belastet sind wie andere, ohne daß etwas für alle gewonnen wäre.

Es ist, wie stets im Kapitalismus, ein Geschäft partikulärer Interessen. Die käuflich erwerbbare Berechtigung zur Verschmutzung der gasförmigen Atmosphäre des Planeten ist eine besonders abstrakte Form der Ausbeutung von Natur und Mensch. Der rechtsförmige Charakter dieses Geschäfts wurzelt in der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung, die materiell privilegierte wie politische protegierte Gruppen und Personen gegenüber denjenigen, die in ihrer Lebenswelt von der Zerstörung des Klimas wie Maßnahmen zur Kompensation derselben betroffen werden, bevorzugt. Das sozial Verträglichste wäre auch in dieser Hinsicht, die Belastung von Natur und Klima gar nicht erst entstehen zu lassen und wenn doch, dann so orts- wie zeitnah zu beseitigen.


Fußnoten:

[1] https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/die-kosten-von-unterlassenem-klimaschutz-fuer-den-bundeshaushalt/

14. Oktober 2018


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