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RAUB/1163: Emissionszertifizierung - Kostenumwälzung ... (SB)



The markets in uncertainty and carbon developed during the last decades of the 20th century created rich new possibilities for accumulation against a background of growing worldwide inequality and disappointing returns on traditional investment. Formulating new practices elaborating an ideology of universal calculability exemplified by the efficient markets hypothesis and by linear views of the relationship among atmospheric change, geochemical cycles and social systems, the markets´ architects, although facing different pressures, sought to enhance the cost-effectiveness of both finance and climate action through intensive efforts to commodify two of the furthest, least tangible and most recalcitrant reaches of the infrastructure of human existence.
Larry Lohmann - When Markets Are Poison [1]

Mit der Handelbarkeit von Verschmutzungsrechten soll es den Unternehmen überlassen bleiben zu entscheiden, ob sie den Anspruch auf weitere Klimaschädigung am Markt für Emissionszertifikate erstehen oder auf kostengünstigere Alternativen ausweichen. Nachdem die großen Stromerzeuger und energieintensiven Unternehmen ihre Bestände an Verschmutzungsrechten zusätzlich zum Erhalt kostenloser Zertifikate für wenig Geld aufstocken konnten, sind die Preise für diese Zertifikate durch ihre systematische Verknappung innerhalb eines Jahres um fast das Dreifache in die Höhe geschossen. 13 Jahre lang seit seiner Einführung 2005 hat das zentrale Instrument der Europäischen Union zur Minderung der Freisetzung von Treibhausgasen die angekündigten Reduktionen verfehlt, zudem bescherte das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (European Union Emission Trading Scheme - EU ETS) den 11.000 von ihm regulierten Unternehmen durch kostenlos zur Verfügung gestellte Zertifikate zusätzliche Einkünfte in Milliardenhöhe. Nun meinen seine BefürworterInnen, daß die höheren Preise für die Emissionsrechte endlich die unterstellte Lenkungswirkung eines marktförmigen Regulativs entfalteten.

Obwohl die EU-Kommission im Januar 2008 angekündigt hat, die kostenlose Ausgabe der Emissionszertifikate bis 2020 einzustellen, wurde für die Reform des ETS im Rahmen des 2030 Climate and Energy Framework beschlossen, den Unternehmen von 2021 bis 2030 weiterhin 43 Prozent der Emissionszertifikate kostenlos auszuhändigen, was ihnen geschätzte Einkünfte in Höhe von 160 Milliarden Euro bescheren wird [2]. Diese industriepolitische Subventionsmaßnahme ist nur ein Beispiel dafür, daß das ETS auch weiterhin vor allem ein politisch bestimmtes Mittel der Wirtschaftsförderung ist. Der Anspruch, damit den Klimawandel zu begrenzen, ist wie bei allen marktförmigen Strategien bestenfalls Nebenprodukt einer optimierten Kapitalallokation, also der im unternehmerischen Sinne angeblich besten Investitionsentscheidung. Dabei besteht keinerlei Rechenschaftspflicht für die unterstellte klimapolitische Effizienz der Bepreisung des Ausstoßes von CO2-Äquivalenten.

Das ETS wird anderen Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen nicht nur alternativ zur Seite gestellt, sondern von den Stromkonzernen und den energieintensiven Industrien aktiv gegen diese gerichtet. Sie fordern, andere Maßnahmen zur Emissionsreduktion wie die Steigerung der Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien den durch das ETS anfallenden Kosten gemäß zu reduzieren [3]. Auch wenn diese Intervention nur teilweise von Erfolg gekrönt ist, ändert das nichts an der Crux marktförmiger Regulative, daß der Einfluß partikulärer Interessen der Unternehmen und Finanzmarktakteure auf die politischen Entscheidungsgremien der EU weit größer ist als derjenige der Bevölkerungen, die mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen die Zukunft kommender Generationen sichern wollen.

Laut dem Entwurf des Bundesumweltministeriums (BMU) zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) für die Handelsperiode von 2021 bis 2030 sollen die Emissionszertifikate der abgelaufenen Handelsperiode ihre Gültigkeit behalten, anstatt bei der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) in neue, für die anbrechende Handelsperiode gültige Zertifikate umgetauscht zu werden [4]. Wenn nicht in Anspruch genommene Verschmutzungsrechte am Ende einer Handelsperiode ihre Gültigkeit verlieren, konnten sie bisher in Emissionszertifikate umgetauscht werden, die auf die künftige Handelsperiode angerechnet werden. Da dem Gesetzesentwurf zufolge ungenutzte Zertifikate ihre Gültigkeit behalten sollen, bleiben damit Verschmutzungspotentiale in Kraft, die zugunsten des Klimas hätten abgeschrieben werden sollen, anstatt auf das Budget der nächsten Handelsperiode aufgeschlagen zu werden.

Wie folgenreich solche bürokratischen Details für den Klimaschutz sein können, zeigt das Beispiel RWE. Der Energiekonzern hat sich zu einer Zeit, als der Preis für die Emissionszertifikate quasi am Boden lag, so reichlich mit dem geldförmigen Rechtsanspruch auf Luftverschmutzung in Form von Derivaten versorgt, daß die Kohleverstromung bis 2022 ohne zusätzliche Kosten gesichert ist [5]. Auf diese Weise wurde nicht nur die angeblich klimafreundliche Lenkungswirkung des Marktes für Emissionszertifikate ausmanövriert, die auf der Höhe des aktuellen Preises für Verschmutzungsrechte beruhen soll. Es wurden zudem Finanzmarktrisiken freigesetzt, die den Klimaschutz gefährden und für steigende Strompreise sorgen könnten.

Mit dem finanzmarkttechnischen Manöver des Hedging bei der Kohleverstromung wird eine Produktionsweise gesichert, deren schädliche Auswirkungen durch das ETS begrenzt werden sollen, was nach herrschender Marktlogik gegebenenfalls das Scheitern ganzer Industrien wie der Betreiber von Braunkohleminen impliziert. Was RWE - und sicherlich auch andere Energiekonzerne - mit dieser spekulativen Preispolitik tun, ist in der Logik der Kommodifizierung von Zerstörung so legitim wie jede andere marktwirtschaftliche Aktivität auch. Zugleich handelt es sich um alles andere als ein Marktgeschehen, geht der Möglichkeit, Schadstoffemissionen in Objekte der Geldvermehrung zu verwandeln, doch ein politischer Gründungsakt voraus. Der damit anerkannten Gültigkeit der herrschenden Regel, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, sind die real auflaufenden Kosten zerstörten Lebens und schwindender Lebensqualität von der Gesamtheit der Bevölkerung zu tragen, während mögliche Gewinne in die Taschen der Aktionäre als Eigentümer des Konzerns fließen.

Beim Kauf von Derivaten zum sogenannten Hedging, also dem Ausschluß möglicher Preisrisiken wie im Falle der rasant verteuerten Emissionszertifikate, wird sich eines Finanzmarktinstrumentes bedient, dessen massenhafte Nutzung für spekulative Geldgeschäfte ein zentraler Faktor der Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2008 war. Die damals erfolgte Vervielfältigung des Geschäftes mit zukünftigen Preisentwicklungen und der dadurch angestrebten Risikobegrenzung für Kapitalinvestoren setzte durch große Summen verbriefter Kreditansprüche, die wie Aktiva bilanziert wurden, obwohl es sich um Ansprüche auf Schuldenbegleichung handelte, von denen niemand wußte, ob sie durch irgendeinen konkreten Gegenwert einlösbar sein würden, erhebliche Risiken für die Finanzmärkte frei. Das Geschäft mit hochabstrakten Finanzprodukten war bereits Bestandteil des kapitalistischen Krisenmanagements, bevor es zum dadurch immer wahrscheinlicher gewordenen Bankencrash kam.

Gleiches läßt sich für die Reduzierung von CO2-Äquivalenten über einen Marktpreis von Kohlenstoff und die Ausgabe von Emissionszertifikaten sagen. Anstatt mit konkreten Reduktionszielen für Wirtschaft und Gesellschaft überprüfbare Fortschritte zu erzielen, werden mit der Abstraktion, aus der konkreten Zerstörung natürlicher Systeme eine handelbare und akkumulationsfähige Ware zu machen, alle Optionen offengehalten, mit der Schädigung des Klimas fortzufahren. Eine globalen Allmende, von der das Leben aller Menschen, Tiere und Pflanzen abhängt, der privaten Aneignung zu überantworten, um in diesem Interesse zu Lasten aller vernutzt zu werden, kann als zeitgemäße Fortsetzung der ursprünglichen Akkumulation, der Aneignung des Landes und der Vertreibung seiner NutzerInnen in Fabriken zwecks Ausbeutung durch lohnabhängige Arbeit, verstanden werden. Dieser Prozeß ist nun in sein finales Stadium getreten, daran ändert die Suggestion prinzipiell unendlicher Kapitalakkumulation durch die Bepreisung des Niederganges nichts.


Fußnoten:

[1] entnommen aus: When Markets Are Poison
Learning about Climate Policy from the Financial Crisis
by Larry Lohmann, 18. September 2009
http://www.thecornerhouse.org.uk/resource/when-markets-are-poison

(in eigener Übersetzung):
Die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstandenen Märkte für (geschäftliche) Ungewißheit und Karbon haben vor dem Hintergrund weltweit zunehmender Ungleichheit und enttäuschender Resultate traditioneller Investitionstätigkeit zahlreiche neue Möglichkeiten der Akkumulation hervorgebracht. Die Architekten dieser Märkte konzipierten neue Vorgehensweisen und erarbeiteten eine Ideologie universaler Kalkulierbarkeit, der die Hypothese effizienter Märkte und lineare Auffassungen von der Beziehung zwischen atmosphärischem Wandel, geochemischen Kreisläufen und sozialen Systemen im Angesicht ganz unterschiedlicher Einflüsse auf exemplarische Weise zugrunde lagen, um zu versuchen, die Kosteneffizienz der Finanzmärkte und der Klimapolitik durch intensive Bemühungen zu steigern, zwei der entlegensten, ungreifbarsten und am meisten resistenten Bereiche der Infrastruktur menschlicher Existenz zur Ware zu machen.

[2] https://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/ets-commentary-commissionproposal-ceo.pdf

[3] https://corporateeurope.org/climate-and-energy/2016/12/carbon-welfare

[4] http://www.derenergieblog.de/alle-themen/emissionshandel/die-bundesregierung-macht-das-treibhausgas-emissionshandelsgesetz-fit-fuer-die-4-handelsperiode/

[5] https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-08-14/how-europe-s-biggest-polluter-escaped-a-tripling-of-carbon-price

16. Oktober 2018


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