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RAUB/1170: EuroTier - Tierrechtler provozieren integrativen Protest ... (SB)



Die tierethische Frage "Können sie leiden?" weicht hier einem anderen Interesse: Wo und wie leisten und leisteten Tiere Widerstand, und wo gibt und gab es Kampfgefährt*innenschaften zwischen Menschen und Tieren? Daraus kann Solidarität entstehen statt bloß paternalistischem Mitleid.
Fahim Amir - Schwein und Zeit [1]

Fast 2600 Aussteller und 155.000 BesucherInnen haben auch dieses Jahr den Ruf der EuroTier als weltgrößte Fachausstellung für Tierhaltung gefestigt. Vom 13. bis 16. November konnte das vor allem aus LandwirtInnen bestehende Publikum in Hannover sich über den Stand der Technik in allen Belangen der Tierverwertung kundig machen. Insbesondere die in Sachen Rinder- und Schweinehaltung tätigen Unternehmen haben anhand des Leitthemas der alle zwei Jahre stattfindenden Messe gezeigt, daß das Erzielen optimaler Ergebnisse im Stall und in der Weiterverarbeitung der Tierprodukte heute eines mit wissenschaftlichen Mitteln auf Effizienz getrimmten Tiermanagements bedarf. "Digital Animal Farming" unterwirft den Produktionsfaktor Tier einer kostenorientierten Rationalisierung, bei der immer weniger dem Zufall, sprich der Individualität des jeweils betroffenen Lebewesens überlassen wird.

Als Fortschritt in Sachen "Tierwohl" annoncierte Innovationen wie die permanente Überwachung physiologischer Werte und eine dementsprechend schnelle Behandlung etwaiger Erkrankungen sind Elemente einer Produktivitätssteigerung, die die preislichen Anforderungen der zusehends entgrenzten, letzthin auf den Weltmarkt orientierten Tierverwertung reflektieren. So wird die Biologie der "Nutztiere" in den Griff einer technologischen Optimierung genommen, der die Subjektivität des tierlichen Interesses an Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung, an Bewegungsfreiheit und Abwechslung ein notgedrungen zu berücksichtigender Störfaktor ist. Die Bewirtschaftung der Tiere liegt im Interesse der NutzerInnen des daraus gezogenen Ertrages, das gilt auch für ihre physiologische Funktionstüchtigkeit. Sie ist mit einem konventionellen Verständnis von Gesundheit insofern nicht zu verwechseln, als die Ergebnisse züchterischer Interventionen in Leistungsmerkmalen und nicht dem Wohlbefinden sogenannter Nutztiere bemessen werden, soviel sollte der angeblichen Tierfreundlichkeit im Mastbetrieb und Schlachthof schon entgegengehalten werden.

Eine Kuh wird in einem technischen Besamungsprozeß geschwängert, ob sie will oder nicht - was im übertragenen Sinne auf ihre Vergewaltigung hinausläuft -, um Milch zu produzieren, die nicht ihrem Kalb gegeben, sondern in der Melkstation für den menschlichen Konsum abgepumpt wird. Da ihr Nachwuchs für die MilchproduzentInnen vor allem ein Kostenfaktor ist, stellt er über die begrenzt mögliche Weiterverwertung in der Aufzucht zur Milchkuh oder zum Fleischrind ein Entsorgungsproblem dar, das in der massenhaften Tötung von Kälbern nur wenige Tage nach ihrer Geburt resultiert. Ob eine Zukunft in der Kälbermast, die laut EU-Norm nicht länger als acht Monate bis zur Schlachtung dauern darf und in der Regel zwischen dem fünften und sechsten Lebensmonat endet, als Mastrind mit einer Lebenserwartung von etwa 20 Monaten oder als auf Hochleistung getrimmte Milchkuh, die meist nach fünf Laktationszyklen geschlachtet wird, wenn sie überhaupt so lange durchhält, für Rinder mit einer Lebenserwartung von bis zu 20 Jahren soviel erstrebenswerter ist, ist für die Tierindustrie aus naheliegenden Gründen kein Thema. Verboten ist immerhin, im wortwörtlichen Sinne ausgesaugte, mithin kranke und verletzte Milchkühe in einen Schlachthof anstatt in die Tierkörperbeseitigungsanstalt zu transportieren, um mit ihrem Fleisch noch einmal Kasse zu machen. Dieser illegale Vorgang wird immer wieder zum Gegenstand von Schlachthofskandalen.


Mit moralischen Werturteilen ist manches Geschäft zu machen

Dieses Geschäft ist so brutal und grausam, wie in den vielen Berichten über die verschiedenen Formen von Tierausbeutung dargestellt. Es bedarf nicht des Anschauens eines Videos [2] wie desjenigen des Vereins Deutsches Tierschutzbüro, der vor kurzem die in Undercover-Recherchen dokumentierten Praktiken eines Schlachthofes in Oldenburg publik gemacht hat, um dies zu wissen. Im Sinne unerschrockener Selbsterkenntnis kann es aber auch nicht schaden, sich vor Augen zu führen, wie sehr die eigene Existenz von dem Blut anderer, nicht minder zu Schmerzempfinden und Empathie befähigter Lebewesen zehrt. Selbstverständlich gilt das in erweiterter Form auch für Produktionsweisen, die keine Tierverwertung betreiben, aber auf landwirtschaftliche Bearbeitungsformen, von denen Tiere betroffen sind, sei es durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, die Vergiftung ihrer Umwelt oder die maschinelle Bearbeitung der Felder, und die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft angewiesen sind. Die Expansion großer Schlachthöfe und Molkereibetriebe in das vegane Segment durch die Erweiterung ihrer Produktpalette mit pflanzlichen Simulationen von Wurst und Käse wie die Etablierung einer veganen Lifestyle-Industrie, die sich bestens mit den zerstörerischen Praktiken staatlicher und wirtschaftlicher Akteure verträgt, belegt, daß das Problem der Tierausbeutung von den Strukturen kapitalistischer Wertproduktion nicht zu lösen ist.

Einen moralischen Freispruch durch die vegane Lebensweise anzustreben führt auch insofern in die Irre, als die Moral, sich in irgendeiner Form als besserer Mensch zu inszenieren, des schlechteren Menschen zwingend bedarf. Diesen Vorwurf zum negativen Wert eigener Erhöhung zu erheben ist ein Tauschgeschäft, das, indem es eine politische Ökonomie des Vergleichs und der Unterscheidung hervorbringt, den Kern der Schmerzen zielgerichtet umschifft. Die eigene Teilhaberschaft am Geschäft des Blutvergießens aufzukündigen bedarf mehr als einer Moral, die Werte reproduziert, die die soziale Konkurrenz lange vor ihrer neoliberalen Verallgemeinerung als zentrale Achse gesellschaftlicher Organisation etabliert haben. Sich um eine nichtausbeuterische Lebensweise auch unter Umständen relativer Armut zu bemühen ist das eine, das Label Veganismus im Ballsaal gesellschaftlicher Eitelkeiten auszuführen das ganz andere.

Dabei ist es kein Zufall, sondern spricht für das zivilisatorische, Standesordnungen und Tauschwertverhältnisse hervorbringende Potential der Tierausbeutung, daß das Tieropfer in der Genese monotheistischer Religionen eine zentrale Stellung einnimmt, symbolisch dargestellt in der Gottgefälligkeit des Tieropfers des Hirten Abel und der Ablehnung des Pflanzenopfers des Ackerbauers Kain durch den damit angerufenen Gott. Von den Frühformen der Domestizierung wildlebender Tiere zu einer Form der lebendigen Vorratshaltung vor etwa 10.000 Jahren bis zur industriellen Massentierhaltung heute hat die Zurichtung nichtmenschlicher Lebewesen zu Produktionsfaktoren, ihre Versklavung durch physische Arbeit, ihre Folterung im wissenschaftlichen Experiment, ihre Einbindung in die technischen Strukturen automatisierter Ver- und Entsorgung zur Herstellung zum menschlichen Verzehr geeigneter Sekrete und Gewebe wie vollständig in die Endnutzung ihrer Körpersubstanzen eingespeistes Schlachtvieh zu einem stetig anwachsenden Grad von Objektivierung und Entindividualisierung geführt.


Widerstand gegen die totale Zurichtung zum Produktionsfaktor

Obwohl die Milch-, Fleisch- und Eierproduktion in den Fabrikhallen der Massentierhaltung von einem güterproduzierenden Industriebetrieb immer ununterscheidbarer wird, obwohl das einzelne Tier hinter dem genetischen Konstrukt seiner Leistungsmerkmale zurücktritt und kaum mehr als eine Kennziffer im Zentralrechner des Verwertungsbetriebes ist, zeugen die Apparaturen tierlicher Unterwerfung, die Weidezäune, Stallboxen, Käfige, Gatter, Injektionskanülen und Bolzenschußgeräte davon, daß der Lebenswille und die Kampfbereitschaft zum "Nutzvieh" degradierter Lebewesen unverändert im Widerspruch zu ihrem Dasein als Produktionsfaktor stehen.

Und so geht es auf der EuroTier 2018 wie bei ähnlichen Zurschausstellungen tierindustrieller Gerätschaften und Techniken stets darum, das vermeintlich im Mittelpunkt stehende Tier ganz und gar zu negieren. Auch wenn es in Form preisgekrönter LeistungsträgerInnen der Fleisch-, Samen-, Milch- und Eierproduktion physisch anwesend ist, beeindruckt es als Ergebnis züchterischer Anstrengungen und menschlichen Erfindergeistes. Nichts anderes gilt für den Werbefaktor "Tierwohl" - es handelt sich bestenfalls um eine Form der Schadensbegrenzung ihrer Eigenständigkeit und Selbstbestimmung beraubter Körper, die in Euro und Cent gerechnet dementsprechend mehr Ertrag bringen, als das Ausmaß der Schmerzen um einige Grade auf der Skala ihrer Unbemeßbarkeit vermeintlich gemindert wird.


Störfaktor im Zentrum technologischer Herrschaft über Tiere

Solidarisch mit nichtmenschlichen Tieren zu sein jenseits der Dichotomie von "Haus-" und "Nutztier", die desto weiter auseinanderklafft, als die Schreie in den Schlachthöfen so ungehört verhallen wie die Äußerungen tierlicher FreundInnen mit aller Aufmerksamkeit registriert werden, heißt für die AktivistInnen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung denn auch, sich in aller Öffentlichkeit als GegnerInnen jeder Form von Tierausbeutung zu positionieren. Würden Rinder, Schweine und Hühner selbst gegen die EuroTier protestieren, auf der schließlich die avanciertesten Methoden und Techniken ihrer Unterdrückung und Ausbeutung vorgeführt werden, brächten sie sich in Anbetracht des hohen Anteils an Menschen, zu deren täglichen Verrichtungen das Töten von Tieren bei der Jagd oder im Schlachthof gehört, in akute Lebensgefahr. Es bleibt denjenigen Menschen überlassen, ihre Stelle einzunehmen, die die Grausamkeit der eigenen Reproduktion nicht kalt läßt und die sie in den Kontext von Zerstörungsfolgen wie der des Klimawandels und Herrschaftspraktiken wie der der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft stellen.

Die Climate & Justice Games, so der Titel der die EuroTier begleitenden Protestaktionen und der abschließenden Demonstration, wurde nicht nur von Gruppen der Tierrechts-, sondern auch der Klimagerechtigkeitsbewegung organisiert. Damit wurde ein Zusammentreffen verschiedener Kämpfe initiiert, der im Aufruf [3] zur samstäglichen Demo Rechnung getragen wurde. Auch wenn nicht von einer Massenmobilisierung gesprochen werden kann, so ließ das Zusammentreffen mit zwei weiteren Demonstrationen in Hannover [4] das Potential für Bündnisse erkennen, in denen das Anliegen der Tierbefreiung mit den emanzipatorischen Zielen migrantischer und antifaschistischer Organisationen in eins fallen könnte.

Das ist bei aller Kritik, mit der der Kampf für die Tiere von Teilen der radikalen Linken quittiert wird, nicht so abwegig, wie es angesichts des nach wie vor marginalen Charakters genuiner Tierbefreiung selbst innerhalb der stark geschrumpften Linken erscheinen mag. Die Ablehnung jeglicher Form von Herrschaftsausübung ist als verbindendes Element allemal dazu geeignet, die Beendigung der Tierausbeutung als integralen Bestandteil des Kampfes gegen Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und Faschismus zu verstehen. Andersherum ist unschwer zu erkennen, daß die Forderung nach Tierschutz und Tierrechten ohne fundierte Kapitalismuskritik zahnlos bleiben muß. Naturzerstörung, Landraub, Nahrungsmittelproduktion, Welthandel und Finanzwirtschaft sind aufs innigste miteinander verknüpft, wird jeder Mensch feststellen, der die Empirie bloßer Erscheinungsformen analytisch und kritisch durchdringt.


Sozialökologische Kämpfe zusammendenken und zusammenführen

Wie der Kampf gegen die Braunkohleverstromung im Rheinischen Braunkohlerevier gezeigt hat, lassen sich auch im Kleinen Entwicklungen anschieben, die langfristig zu Massenmobilisierungen und dementsprechendem Einfluß auf die gesellschaftlichen Diskurse führen können. Es ist kein Zufall, sondern Ergebnis grundsätzlicher Überlegungen, daß viele AktivistInnen, die den Hambacher Forst seit 2012 gegen seine Zerstörung verteidigen, ihrerseits den Verbrauch von Tierprodukten ablehnen. Das nicht nur, weil Tierproduktion und Klimawandel direkt zusammenhängen, sondern weil die Respektierung anderer Lebewesen nicht beim Baum anfängt und nicht beim Schwein aufhört. Auch wenn Tierbefreiung im Rahmen des Antikohlewiderstandes nicht thematisiert wird, ist es unter der Oberfläche so virulent wie auf allen anderen Feldern, wo entscheidende Schritte zur Emanzipation von modernen wie jahrhundertealten Formen der Unterdrückung anstehen.

Auf unkonventionelle, die kategorische Grenzziehung zwischen Mensch und Tier, zwischen animalischen und humanen Zuschreibungen überwindende Weise über menschliche wie nichtmenschliche Lebewesen nachzudenken kann von ungeheurem Erkenntniswert sein. Schließlich transportieren diese Kategorien über Tausende von Jahren ausgebildete Identitätsformen und Anschauungsweisen, die nicht nur die unterstellte Zugehörigkeit zu einer Spezies, sondern auch einem Geschlecht betrifft. Allein die eigene Sprache daraufhin zu untersuchen, wie mit menschlichen und tierlichen Belangen im Kontext normativer Bewertungen umgegangen wird, kann ein Bewußtsein für den Umgang mit anderen Lebewesen schaffen, der von der Würdigung und Achtung ihrer Eigenständigkeit geprägt ist.

Es zählt allemal zu den Errungenschaften der heutigen Linken, dem Arsenal traditioneller Aktionsfelder sozialökologische und tierrechtliche Forderungen hinzugefügt zu haben. So wenig Identitätspolitik und Klassenkampf zueinander im Widerspruch stehen müssen, so wenig gilt dies für darüber hinausgehende Kämpfe. Dies läßt sich nicht nur nach vorne gewandt als Ergebnis konsequenter Herrschaftskritik deuten, sondern kann unter Verweis auf die Traditionen der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Zwangsformen, die die menschliche Existenz bedingen und hervorbringen, als Konstante der Universalität emanzipatorischen Handelns verstanden werden. Wo immer mehr Menschen erkennen , daß das Wohl individueller Existenz von der Allmende globaler Verantwortung nicht zu trennen ist, können auch kleine Schritte große Wirkungen zeitigen.


Fußnoten:

[1] Fahim Amir: Schwein und Zeit - Tiere, Politik, Revolte, Hamburg 2018, S. 17

[2] https://www.tierschutzbuero.de/realitaet-schlachthof/

[3] https://www.climate-and-justice.games/?page=7

[4] https://www.climate-and-justice.games/200-teilnehmerinnen-der-abschlussdemo-der-climate-justice-games/

20. November 2018


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