Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


RAUB/1171: Amazon - Wachstumsprofite ... (SB)



Es kommt also entscheidend darauf an, in wie weit die ins Soziale übersetzten Imperative der Kapitalakkumulation die gesellschaftliche Wirklichkeit unterwerfen und bestimmen können. Wesentliche Momente dieser Unterwerfungsstrategien finden sich im Netzwerkcharakter der regionalen Transformationsprozesse, die die Innovationsfähigkeit der Region herzustellen und abzusichern haben. Erst auf dieser Basis lassen sich Wertschöpfungsprozesse beschleunigen und vertiefen.
Gerald Geppert - Global Player und clusterorientierte Regionalisierung [1]

Als der City Council von Seattle versuchte, die zahlreichen dort angesiedelten Großunternehmen mit einer Steuer zur Kasse zu bitten, die den rund 12.500 Obdachlosen der Metropolregion im Nordwesten der USA zugute gekommen wäre, biß er bei dem dort 1994 gegründeten E-Commerce-Konzern Amazon auf Granit. Unternehmen mit einem Einkommen von mindestens 20 Millionen Dollar jährlich sollten in die fiskalische Pflicht genommen werden, um 50 Millionen Dollar für Maßnahmen zur Unterbringung von Wohnungs- und Obdachlosen zu erbringen. Das mit 800 Milliarden Dollar Marktwert zweitteuerste Unternehmen der USA übte mit der Ankündigung, ein für Seattle wichtiges Bauprojekt einzustellen und den Weiterbau von der Entscheidung des Stadtrates zur Verabschiedung der Steuer abhängig zu machen, soviel Druck aus, daß der Plan zurückgezogen wurde.

Die hohe Zahl von Obdachlosen in der Metropolregion Seattle ist wie in anderen Städten insbesondere an der Westküste der USA, wo viele große IT-Unternehmen angesiedelt sind, eine direkte Folge der durch die Zuwanderung gut bezahlter Angestellter explodierenden Mieten und Grundstückspreise. Widerstand gegen derartige Unternehmensansiedlungen zu leisten, wie in der Bundesrepublik beim geplanten Google Campus in Berlin-Kreuzberg oder dem Projekt Cyber Valley in Tübingen, ist eine Form sozialer Selbstverteidigung gegen eine Politik der Gentrifizierung, die mit der Verdrängung der bisherigen Wohnbevölkerung durch die zahlungsfähigere Klientel einer hippen Bourgeoisie einhergeht. Üblicherweise stehen die Stadtverwaltungen und Regionalregierungen auf der Seite der Konzerne, versprechen diese doch neues Wachstum mit dementsprechenden Steuereinnahmen, die Ansiedlung weiterer Unternehmen und die Entstehung einer Dienstleistungsperipherie mit den für Serviceleistungen üblichen, meist prekären Jobs.

Die Argumente der Arbeitsplätze wie der Steuereinnahmen sind jedoch weit weniger stichhaltig, als die politischen UnterstützerInnen derartiger Unternehmensansiedlungen glauben machen. Mit der Ankündigung, nach einem Standort für eine zweite Unternehmenszentrale zu suchen, hat Amazon dieses Jahr einen Wettkampf zwischen 230 US-amerikanischen Städten ausgelöst, bei dem es darum ging, dem Konzern die Wahl des Ortes durch die besten Konditionen schmackhaft zu machen. So bot New Jersey 7 Milliarden Dollar für die Wahl des Ortes Newark, und Maryland wollte 8,5 Milliarden an Subventionen lockermachen, um Amazon anzulocken. Entschieden hat sich Amazon schließlich für Queens, einen Stadtteil von New York City, und Alexandra im Staat Virginia. Die an beiden Standorten zusammen für Amazon freigesetzten Gelder belaufen sich auf 3,7 Milliarden Dollar in Form unterschiedlicher Subventionen. Hinzu kommen langfristige Steuervergünstigungen, die auch bei einem Unternehmensgewinn von 7 Milliarden Dollar in den ersten drei Quartalen 2018 so sehr zu Buche schlagen dürften, daß von den versprochenen Steuereinkommen für die Gemeinden wenig übrigbleibt.

Es mag kleinlich erscheinen, dem mit 80 Millionen Firmenanteilen an Amazon offiziell reichsten Mann der Welt, dem Unternehmensgründer Jeff Bezos, vorzurechnen, daß er mit einem Jahreseinkommen von 35 Milliarden Dollar, was bei einem Achtstundentag auf einen Stundenlohn von etwa 12 Millionen Dollar hinausläuft, eigentlich nicht nötig hätte, sich die Wahl eines weiteren Unternehmensstandortes durch öffentliche Leistungen und Vergünstigungen aller Art versüßen zu lassen. Doch basiert der hohe Unternehmenswert von Amazon gerade darauf, so kleinlich wie möglich zu rechnen, wenn es um das Verhältnis von Aus- und Einnahmen geht. Der Handelskonzern ist bekannt dafür, seine Belegschaften unter ein Zeitregime zu stellen, das kaum Luft zum Atmen läßt, wenn die Picker im Warenlager die Bestellungen der Kunden zusammenstellen.

So bezahlen die BürgerInnen von New York und Virginia mit einem Teil ihres Erwerbseinkommens Amazon dafür, daß Jobs geschaffen werden, bei denen den Lohnabhängigen so wenig Rechte und Privilegien zugestanden werden wie gerade noch vertretbar. Die besseren Arbeitsplätze im mittleren und gehobenen Managment gehen vor allem an BewerberInnen, die eher selten am neuen Standort leben, sondern von überallher stammen. Ihren hohen Ansprüchen sind denn auch die steigenden Lebenshaltungskosten geschuldet, die der lokalen Ökonomie zwar einen Zuwachs an Dienstleistungsbetrieben bescheren, aber dem Gros der Menschen das Leben schwerer machen.

Die in den ganzen Vereinigten Staaten Amazon unterbreiteten Angebote hätten allesamt perspektivisch zur Folge gehabt, daß Klassenwidersprüche vertieft und gesellschaftliche Bruchlinien fragiler geworden wären. Die im Umfeld der neuen Verwaltungszentralen steigenden Preise für Mieten und Konsum zehren nicht nur von dem wenigen derjenigen, die keinen Job bei Amazon bekommen und auch noch das verlieren, was vorher vielleicht noch übrig gewesen wäre, um sich am Monatsende nicht zwischen Miete und Essen entscheiden zu müssen. Sie verändern die Klassenzusammensetzung in Stadt und Region durch die Vertreibung alteingesessener Bevölkerungen in billigere Gebiete hin zu einer leistungsfähigeren wie konformistischeren Schicht von Angestellten, die das soziale Umfeld für die innovativen und transformativen Ansprüche eines Unternehmens wie Amazon an die Gesellschaft verbessern.

Was verschärfend hinzukommt ist die Tatsache, daß Amazon für Rationalisierungsstrategien bekannt ist, die schon in wenigen Jahren Arbeitsplatzverluste sechsstelliger Art allein in den USA zur Folge haben werden. So sollen die Bestellungen an den Online-Händler in absehbarer Zeit vollständig automatisiert zusammengstellt werden, und auch die Logistik des Versandes, für den jetzt noch zahlreiche Menschen als Boten und Fahrer tätig sind, wird mittelfristig von autonom opererierenden Drohnen und Fahrzeugen gestellt werden. Was immer die Stadtoberen ihren Bevölkerungen an Chancen auf Arbeit und Wohlstand versprochen haben, um ihre Angebote an Amazon zu legitimieren, mündet dann erst recht in ein böses Erwachen voller Armut und Entbehrungen für große Teile von ihnen.

Dennoch geht es bei derartigen Unternehmensstrategien nicht nur um die Verbesserung der Bilanzen, sondern um umfassende Transformationsprozesse, die den ganzen Menschen in den Griff nehmen. Wie am Beispiel Silicone Valley vorexerziert, beeinflußen die Konzerne auch die sozialräumlichen Strukturen ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie schaffen sich einen ihnen zuarbeitenden Kreis professioneller Ver- und Entsorgung, der wie eine neofeudale Welt unsichtbarer DienerInnen funktioniert, sichern sich die ökologisch verträglichsten und vor Krisen am besten geschützten Ressourcen an Luft, Wasser, Energie und Mobilität, legen Wert auf ein anspruchsvolles kulturelles Umfeld zur Entspannung und Ablenkung für die höheren Angestellten, und erproben innovative Techniken in der eigenen Lebenswirklichkeit, um sie massenwirksam zu vervielfältigen. Politisch gilt die Maxime marktradikaler Selbstorganisation, also der Durchsetzung der kapitalkräftigsten Akteure gegen gewählte Administrationen und öffentliche Behörden nach dem Ideal, daß der Staat selbst am besten funktionierte, wenn er wie ein Unternehmen organisiert wäre.

Die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit werden neu organisiert nicht nur zugunsten des Abschöpfens höherer Mehrwertraten, sondern auch zur Sicherung des Ablaufes vor Störungen aller aus Akten sozialen Widerstandes resultierender Erschütterungen. Insofern sind Unternehmensagglomerationen wie Amazon, Alphabet oder Microsoft auch als PriesterInnen einer neuen Welt tätig, in der zum Beispiel die enge Zusammenarbeit mit dem US-Verteidigungsministerium ebenso zum guten Ton gehört wie die betont unideologische Praxis, auch mit besonders autoritären Regimes Geschäfte zu machen. Die sich aus der Vernichtung konventioneller Jobs ergebenden Fragen an die Organisation von Gesellschaften, in denen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung produktive Lohnarbeit verrichtet, bedürfen gründlicher Analysen und weit vorausschauender Planung, wie sich in der Bundesrepublik an der Debatte um verschiedene Modelle eines Bürgergeldes oder Grundeinkommens zeigt. Auch diese sind alles andere als altruistisch gemeint. Sie sind der Sorge geschuldet, nicht eines Tages vor den Trümmern einer Eigentumsordnung stehen zu müssen, in denen der Unterschied zwischen einem weichen Sessel im obersten Stockwerk des Unternehmens und dem harten Straßenpflaster ganz unten auf einen Schlag eingeebnet wurde.


Fußnoten:

[1] entnommen aus: Detlef Hartmann, Gerald Geppert: Cluster - Die neue Etappe des Kapitalismus, Berlin/Hamburg 2008, S. 171

23. November


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang