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RAUB/1175: Steinkohle - vom Regen in die Traufe ... (SB)



Der endgültige Ausstieg aus der Steinkohleförderung in der Bundesrepublik bringt einen Mythos hervor, der die blutige und destruktive Geschichte fossiler Energieerzeugung nach Kräften ausblendet. Sicherlich hat die Arbeiterkultur im Ruhrbergbau auch einige soziale Qualitäten aufgewiesen, derer zu gedenken ist. Hervorgehoben wird die gegenseitige Unterstützung, mit denen die Kumpel sich unter Tage vor Gefahren geschützt haben, die große Identifikation mit ihrem Beruf und die Traditionspflege der Bergarbeitervereine. Wird diese Form der Solidarisierung jedoch für Arbeitskämpfe geltend gemacht, ist eher mit massiven Bezichtigungen denn freundlichen Worten zu rechnen. So findet der Aufstand der Roten Ruhrarmee 1920, die zu den größten revolutionären Erhebungen in der Folge des Novembers 1918 in Deutschland zählte, in den vollmundigen Gedenkreden keine lobende Erwähnung. Ging die gegenseitige Unterstützung der Kumpel konform mit den Produktionszielen, war sie willkommen, leisteten die Bergarbeiter jedoch Widerstand gegen die Schlotbarone und verlangten nach einer Vergesellschaftung des Kohleabbaus, war ihnen eine blutige Abrechnung sicher.

Was immer an subjektiven Verlusten für die letzten Kumpel zu betrauern ist, kann die 200jährige Geschichte der Ausbeutung unter Tage in keiner Weise aufwiegen. Für die Förderung des zentralen Treibstoffes der Industrialisierung wurden die Bergarbeiter noch bis in die 1950er Jahre hinein regelrecht verheizt. Meist schon mit Mitte 40 durch schlecht bezahlte Arbeit ausgelaugt und einen frühen Tod durch die Staublunge oder andere kohlebedingte Erkrankungen vor Augen repräsentierten sie vor allem die Notwendigkeit der proletarischen Revolution. Daß diese von den Bergarbeitergewerkschaften meist nicht einmal zum Ziel erhoben wurde, relativiert die durch sie erkämpften Fortschritte bei Entlohnung, Arbeitssicherheit und Sozialleistungen. Obwohl die Kumpel die vielen Jahre, in denen ohne Steinkohle keine Fabrik arbeiteten und kein Krieg geführt werden konnte, an einer zentralen Schaltstelle der gesellschaftlichen Produktion saßen, ließen sie sich im Zweifelsfalle für nationale Ziele gewinnen, wie auf fatale Weise im Ersten wie Zweiten Weltkrieg geschehen.

Doch auch unter den Bergarbeitern selbst ging es nicht in jeder Hinsicht solidarisch zu. Das ließ die innerbetriebliche Hierarchie nicht zu, mußten die Steiger doch die Interessen der Unternehmer auch gegen die Kumpel im Schacht durchsetzen. Die Arbeitsmigration aus Osteuropa legte weitere Bruchlinien in der Klasse offen, wurden die zahlreichen polnischen Migranten von den einheimischen Kumpeln doch häufig als mißliebige Konkurrenz begriffen und ausgegrenzt. Gleiches gilt für die Arbeitsmigration aus Südeuropa und der Türkei in den 1960er Jahren. Zudem wurden im NS-Faschismus rund 350.000 meist sowjetische Zwangsarbeiter in der Kohleförderung und der Stahlindustrie eingesetzt. Während viele deutsche Kumpel zu Aufsichtspersonen und Vorgesetzten aufstiegen, wurden Zehntausende der russischen Kriegsgefangenen durch Zwangsarbeit bei schlechter Versorgung regelrecht vernichtet.

Bis in die 1980er Jahre hinein mußte die Bevölkerung des Ruhrgebiets einen hohen Preis für Kohleproduktion und Schwerindustrie entrichten. Der permanente Ausstoß giftiger Gase und feiner Rußpartikel verdüsterte den Tag, überzogen alles, was nicht durch die Wände und Fenster der Wohnung geschützt war, mit fettigem Dreck, und bedrohte die Gesundheit der Menschen durch die Kontamination der Atemluft. Wird in den Gedenkreden zum Ende der Steinkohleförderung immer wieder betont, daß das sogenannte Wirtschaftswunder und der allgemein Wohlstand in der Bundesrepublik ohne diesen industriellen Treibstoff ausgeblieben wären, so ist zu ergänzen, daß die Verbrennung fossiler Energie am Ende vielleicht Schlimmeres hervorbringt als ein Geschichtsverlauf, der Westeuropa nicht zum industriellen Vorreiter globaler Entwicklung geführt hätte. Zu erwähnen, daß es vielleicht ein Fehler war, der Erde jahrtausendealten Brennstoff zu entreißen, um einen Fortschritt zu beschleunigen, der der Welt Dürren, Überflutungen und allgemeines Chaos beschert, wäre nicht nur ein Gebot der Vollständigkeit gewesen.

Das dicke, in den vielen Elogen und Kommentaren zur Einstellung der deutschen Steinkohleförderung so gut wie unerwähnt gebliebene Ende der Geschichte besteht darin, daß die fossile Rohstoffproduktion nicht aus ökologischen Gründen eingestellt wurde, sondern schlichtweg der Kostenrationalisierung zum Opfer fiel. Im Vergleich zur Kohleförderung in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten rentiert sich dieser Wirtschaftszweig hierzulande nicht mehr. Also werden weiterhin 60 Millionen Tonnen Steinkohle im Jahr unter zusätzlichem Transportaufwand importiert, während die sozialökologischen Kosten der Förderung ausgelagert werden. In Kolumbien etwa wird die nach Deutschland exportierte Kohle unter massiver Unterdrückung des Überlebens indigener Bevölkerungen gefördert. Wer sich gegen die extraktivistische Landnahme wehrt, lebt gefährlich - allein in diesem Land wurden seit 2016 bis zu 335 Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten ermordet.

In der Bundesrepublik wird, vom Klimawandel und den ökologischen Gefahren ungerührt, nicht nur auf Jahre hinaus weiterhin Braunkohle verstromt, auch die Steinkohleverstromung ist alles andere als ausgezählt. So sollen neue Kohlekraftwerke, etwa im niedersächsischen Stade, gebaut werden, während zugleich behauptet wird, effiziente Maßnahmen zur Beschränkung der weiteren Erhitzung der Erdatmosphäre durch die CO2-Emissionen des fossilen Brandes ergreifen zu wollen. Dem wird durch die Romantisierung des Ruhrbergbaus gezielt zugearbeitet. Da Steinkohle weiterhin in Deutschland verheizt wird, kann die Beendigung des Steinkohleabbaus nicht als Errungenschaft einer weniger zerstörerischen Energieerzeugung gefeiert werden. Also behilft man sich mit einem von jeglicher klassenkämpferischer Schärfe bereinigten Arbeitermythos, der der Braunkohleindustrie in NRW hochwillkommen ist. Andernfalls könnte die Einstellung der Steinkohleförderung als Beleg dafür genutzt werden, daß ein schneller Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf sozial verträgliche Weise durchaus machbar wäre.

23. Dezember 2018


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