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RAUB/1197: CO2 - Begünstigung der Reichen ... (SB)



Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer lehnt eine CO2-Steuer, wie am Beispiel einer höheren Mineralölsteuer diskutiert, im Einvernehmen mit dem Parteivorstand ab und propagiert statt dessen den Handel mit Verschmutzungsrechten, also Emissionsgutschriften und Biodiversitätszertifikaten. Angeblich würde dadurch eine bessere Lenkungswirkung für die Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen erreicht. Das Problem, daß damit kein direkter Einfluß auf die Produktion klimaschädlicher Güter genommen wird, um einkommensstarken KundInnen weiterhin zu ermöglichen, einen verbrauchsintensiven Lebensstil zu pflegen, ist ein starkes Gegenargument gegen die Einführung einer CO2-Steuer, zu dem die CDU-Vorsitzende allerdings nicht greift. Sie kritisiert auch nicht die fiskalische Bevorzugung bestimmter Sektoren wie denen des Schiff- und Flugzeugverkehrs oder die steuerliche Förderung des Autoabsatzes durch das Dienstwagenprivileg [1]. Erst recht nichts einzuwenden hat sie gegen das grundsätzliche Prinzip, die Emission von Treibhausgasen über den Preis zu regulieren, indem diese als CO2-Äquivalente kommodifiziert und als abstrakte Ware fiskalisch verrechenbar wie marktwirtschaftlich handelbar gemacht werden [2].

Obwohl mit einigem Nachdruck von Deutschlandfunk-Moderator Philipp May [3] befragt, bleibt die CDU-Chefin eine konkrete Aussage dazu, warum die Einführung einer solchen Verbrauchssteuer nicht erste Wahl darstellen soll, schuldig. Besonders bemüht weicht sie der Anmerkung Mays aus, daß es doch sehr sinnvoll erscheine, wenn die CO2-Steuer zu gleichen Teilen an alle Steuerzahlenden zurückgegeben werden soll, so daß Menschen mit kleinem CO2-Fußabdruck zusätzlich Geld erhalten, während diejenigen, die viel Kohlendioxid ausstoßen, draufzahlen müssen. Dieser von PolitikerInnen, die das Erreichen der nationalen Klimaziele sozialverträglich gestalten wollen, vorgesehene Umverteilungseffekt dürfte wohl den markantesten Unterschied zwischen einem fiskalischen Lenkungseffekt oder der Vergabe und Ersteigerung von Verschmutzungsrechten durch die güterproduzierende Industrie und die Dienstleistungsunternehmen sein.

Für die von Kramp-Karrenbauer und dem CDU-Vorstand vertretene Behauptung, die Steuerungs- und Hebelwirkung sei durch Zertifikate- und Emissionshandel sehr viel besser zu erreichen als mit einer CO2-Steuer, gibt es eigentlich nur einen Grund. So hat das größte Emissionshandelssystem der Welt, das European Union Emissions Trading System (EU ETS) seit seinem Inkrafttreten 2005 bewiesen, daß es in Hinsicht auf das zu erreichende Ziel ausgesprochen ineffizient ist. Wie auch das ebenfalls zu dieser Zeit in Kraft getretene Kyoto-Protokoll zeigt, wurde mit der Schaffung von Verschmutzungsrechten bewirkt, daß, von allen bedrohlichen Prognosen zur Entwicklung des Klimawandels unbeeinträchtigt, weiter wie bisher gemacht werden konnte. Die von den VerfechterInnen dieses Instruments geltend gemachte Behauptung, es handle sich dabei um eine Art von Marktversagen aufgrund der zu geringen Preise für die Emissionszertifikate, umschifft die vielen strukturellen Probleme des Ansatzes, an einem Ort Grenzwerte legal überschreiten zu können, indem an einem anderen Ort tatsächliche oder fiktive CO2-Senken erstanden werden.

Die globale Summe der Naturzerstörung anhand nationaler Entitäten und sektoraler Industrien in Einzelteile zu dividieren, um sie gegeneinander vergleichbar und handelbar zu machen, fügt sich bestens in die konkurrenzgetriebene Doktrin des neoliberalen Kapitalismus ein. Kein Wunder, daß sich Verschmutzungsrechte immer mehr als Geschäftsmodell einer Zukunft entpuppen, in der viel Arbeit und Energie darauf verwendet wird, in ihrer lokalen Transparenz wie globalen Effizienz einsichtige und überschaubare Reduktionsmaßnahmen mit hochkomplexen Finanzinstrumenten zu verhindern. Dies geht nur im regulatorischen Rahmen staatlicher Aufsicht, müssen die Parameter und Berechnungsmethoden des Handelsgutes Karbon doch auf eine Weise gesellschaftlich vermittelbar sein, daß nicht von vornherein sichtbar wird, wie sehr dieses Konzept auf die Partikularinteressen der Staatsbürokratie, des Finanzwesens und der Industrie zugeschnitten ist.

Entscheidend für seine hohe Attraktivität ist die Einbettung des Emissionshandels in ein Akkumulationsregime, für das reale Verluste an natürlichen Lebensvoraussetzungen in abstrakte Wertäquivalente verwandelt werden, die an der Börse handelbar sind und neue Investitionen befeuern. Um fiktive Ereignisse wie das Nichtabholzen eines Waldes oder das unterbleibende Trockenlegen eines Moores als Gegenwert für industrielle Abgase andernorts in Wert zu setzen, bedarf es eines aufwendigen, auf vielerlei Weise manipulierbaren Evaluierungsprozesses. Hinzu kommt das Problem des Nachweises, daß die behauptete Einsparung von Treibhausgasen nicht ohnehin stattgefunden hätte, sondern tatsächlich einen zusätzlichen Gewinn an Klimaschutz darstellt. Auch die Doppeltberechnung bereits im Emissionshandel verwerteter Flächen oder Ökosystemleistungen kommt immer wieder vor. Mitunter werden Zerstörungsprozesse ad hoc unterstellt oder prognostiziert, um daraus geldwerten Nutzen schöpfen zu können.

So resultiert die Umwidmung von CO2-Äquivalenten in eine Handelsware bestenfalls in einem Ausgleich, der als Netto-Null ansonsten anfallender Emissionen dargestellt wird. Wer nachfragt, wenn als Ziel der Dekarbonisierung Netto-Null - analog dazu die Netto-Null bei Biodiversitätsverlusten, die durch entsprechende Zertifikate kompensiert werden sollen - angegeben wird, stößt auf Gleichungsoperationen, denen sogar eine Zunahme an Emissionen oder Verlusten im Gesamtsystem zugrundeliegen kann. Nicht die Evaluation natürlicher Prozesse oder menschlicher Eingriffe steuert die Entwicklung, sondern von dieser wird durch die Quantifizierung qualitativer Prozesse, die über lange Zeiträume gewachsene und von vielen Lebewesen beeinflußte Verbindungen aufweisen, die sich jeder monetären Abbildung entziehen, auf finanzmathematische Weise abstrahiert. Wenn Kramp-Karrenbauer darin eine Steuer- und Hebelwirkung verortet, dann verkennt sie die umfassende Determination ihrer selbst durch gesellschaftliche Naturverhältnisse, denen wieder auf archaische Weise ausgeliefert zu sein das wahrscheinlichste Zukunftsszenario zivilisatorischer Selbstüberschätzung ist.

Wie abwegig im unterstellten Sinne eines wirksamen Klimaschutzes dieses Vorgehen ist, zeigt auch die Unterschlagung der zentralen Forderung aller KlimaaktivistInnen, die fossilen Brennstoffe in der Erde zu lassen. Es werden keine traditionellen, über Jahrtausende im Kontakt von Mensch und Natur herausgebildete Lebens- und Wirtschaftsformen gefördert, die mit einem Minimum an Energie und Ressourcenverbrauch auskommen. Ganz im Gegenteil, Emissionshandel und Biodiversivitätszertifikate fügen sich optimal in die Marktmechanismen und Aneignungsinteressen des neoliberalen Kapitalismus ein. Mit ihnen lassen sich Emissionsbegrenzungen für Industrie und Verkehr bestens überschreiten, und das auf neokolonialistische Art und Weise, indem der Globale Süden praktisch in eine Kohlenstoffsenke verwandelt wird, die die Fortsetzung des Wirtschaftswachstums im Globalen Norden legitimiert. Die am globalen Nord-Süd-Produktivitätsgefälle erzielten Fortschritte bei der technologischen Durchsetzung und sozialen Vermittlung des Metropolenkapitalismus werden vertieft, anstatt nachhaltige Wirtschaftsformen indigener und kleinbäuerlicher Art zu fördern. Diese sind zwar nicht so produktiv wie die industrielle Wirtschaftsweise des Nordens, können aber die natürlichen Lebensvoraussetzungen nachgewiesenerweise am meisten schützen [4].

Was für die Bevölkerungen des Globalen Südens seit langem bittere Realität ist, wird sich aller Voraussicht nach in den Klassenverhältnissen der postfossilen Industriegesellschaften Westeuropas und Nordamerikas adäquat abbilden. Klimaschutz wird sozialisiert, indem einkommensarme Menschen auf teurer gewordene Konsumgüter verzichten müssen, so daß sie noch weniger als bisher wissen, wie sie die Kosten des täglichen Bedarfes stemmen sollen. Die Benachteiligung der einkommensärmsten Bevölkerung würde durch die vorgeschlagene fiskalische Umverteilung bestenfalls relativiert werden, weil das gesellschaftliche Gesamtprodukt mit einer marktwirtschaftlichen Dekarbonisierung nicht aufrechtzuerhalten wäre. Da eine systematisch an den Herausforderungen des Klimawandels und der Naturzerstörung ausgerichtete, durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Kollektivierung zentraler Versorgungsbereiche sozial gerecht gestaltete Postwachstumsgesellschaft wie der Teufel höchstpersönlich gefürchtet wird, strebt das herrschende Akkumulationsregime sehenden Auges in die Sackgasse einer in ihrem Niedergang nicht aufzuhaltenden Profitrate.

Die vielbeschworene Effizienzrevolution wird die Treibhausgasreduktionen, die durch weiteres Wachstum anfallen, nicht kompensieren können. Die vielzitierten Grenzen des Wachstums wurden durch die angehäuften industriellen Erblasten längst weit überschritten, so daß deren Beseitigung zum großen Problem der materiellen Versorgung aller Menschen erschwerend hinzukommt. Das Interesse der Vermögenden, sich klimapolitisch freizukaufen und das Gemeingut der atembaren Atmosphäre weiterhin als höchstpersönliche Entsorgungsdeponie zu mißbrauchen, wird die soziale Polarisierung zweifellos verschärfen. Wo die sozialökologische Revolution ausbleibt, könnte ein nicht mehr braun, sondern grün illuminierter Faschismus die Antwort auf das Problem darstellen, daß der postfossilen Wachstumgsgesellschaft die Mittel ausgehen, mit denen die überflüssig gemachte Bevölkerung ruhig gehalten wird. Um dem entgegenzutreten, ist unter anderem erforderlich, auf breiter Ebene sozialer Bewegungen eine Kritik der Politischen Ökonomie des Klimawandels zu entwickeln, die an die Kritik des Kapitalismus im Marxschen Sinne wie darüberhinaus anknüpft.


Fußnoten:

[1] https://www.unsere-zeit.de/de/5116/positionen/11063/Noch-eine-Steuer.htm

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1194.html

[3] https://www.deutschlandfunk.de/annegret-kramp-karrenbauer-es-gibt-kluegere-methoden-als.694.de.html?dram:article_id=447953

[4] Larry Lohmann: Financialization, Commodification and Carbon: The Contradictions of Neoliberal Climate Policy, Socialist Register 2012
http://www.thecornerhouse.org.uk/sites/thecornerhouse.org.uk/files/Socialist%20Register%20Neoliberal%20Climate%20Policy%20Contradictions.pdf

7. Mai 2019


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