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RAUB/1205: CO2 - Mobilitätsprivilegien ... (SB)



Mit knapp 5 Prozent Wachstum liegt die deutsche Luftfahrtindustrie auf der Höhe langfristig prognostizierter Wachstumsraten. Daran soll sich trotz großer ökologischer Bedenken nichts ändern. Auf dem Mitte August in Leipzig abgehaltenen 1. Nationalen Luftfahrtkongress wurde behauptet, "CO2-neutrales" Fliegen ließe sich mit Hilfe von Emissionszertifikaten und synthetisch erzeugtem Kerosin erreichen. Was immer mit diesem Euphemismus gemeint sein mag, der Verbrauch natürlicher Ressourcen wird bei Passagier- und Luftfrachtmaschinen immer höher sein als bei anderen Mobilitätsformen. Letztlich geht es darum, einer kleinen Minderheit nicht die Möglichkeit zu nehmen, in kurzer Zeit und vor allem sicher die Distanz zwischen Städten, Ländern und Kontinenten zu überwinden, was in Zeiten der Klimakatastrophe aus politischen Gründen am Boden immer schwieriger zu bewältigen sein wird.

Die Passagierluftfahrt war stets privilegierten Menschen vorbehalten, auch wenn der Boom des Massentourismus auf Billigfluglinien etwas anderes suggeriert. Würden die beim Fliegen externalisierten Kosten auch nur annähernd eingepreist, wären der kostengünstige Pauschaltourismus in die Urlaubsorte am Mittelmeer und der Wochendkurztrip nach Malle schnell Geschichte. Anstatt eine Mobilitätsform, an deren Nutzung bisher höchstens 5 Prozent der Weltbevölkerung teilhaben, auslaufen zu lassen und damit der Suggestion, die Verkürzung der Zeit in der Raumüberwindung sei mit Lebensqualität synonym zu setzen, auf sozialökologisch wertvolle Weise entgegenzutreten [1], propagiert die Bundesregierung ein grün angestrichenes Weiter-so-wie-bisher.

So wurden in Leipzig neben der bisher zentralen Maßnahme des Offsetting von Flugreisen, also des Kompensierens der dabei freigesetzten Treibhausgase und angerichteten Zerstörung der oberen Luftschichten durch den Kauf eines Emissionszertifikates, vor allem alternative Antriebsenergien propagiert. Deren Entwicklung befindet sich noch in den Kinderschuhen und hätte auf den relevanten Zeitraum weniger Jahre, in denen eine massive Erwärmung des Planeten auf über 3 oder 4 Grad noch auf ihrerseits bereits folgenreiche 1,5 bis 2 Grad eingeschränkt werden könnte, keinerlei Auswirkungen. Darüber hinaus handelt es sich in jedem Fall um energieintensive Prozesse, die auch bei der Nutzung erneuerbarer Brennstoffe kontraproduktiv sind, da sie an anderer Stelle Energiemangel erzeugen. Die Legitimation des weiteren Wachstums fossil betriebener Luftfahrt scheint der Hauptzweck politischer Schaufensterdebatten um die zivile Luftfahrt zu sein, wurden doch weder auf nationaler Ebene noch mit der internationalen Einigung auf das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) Maßnahmen beschlossen, die ernsthaft zur Verhinderung der Klimakatastrophe beitrügen.

Jakob Graichen vom Öko-Institut e.V. hat eine Überschlagsrechnung angestellt, laut der für die Versorgung des deutschen Luftverkehrs mit erneuerbarer Energie, die auch für die Herstellung synthetischen Kerosins verwendet würde, die gesamte Stromerzeugung aus dem derzeitigen Bestand an erneuerbarer Energieproduktion allein für den Luftverkehr aufgewendet werden müßte [2]. Es ist nicht erstaunlich zu erfahren, daß es etwa zwei Kilowattstunden Strom bedarf, um eine Kilowattstunde synthetischen Kraftstoff herzustellen, dessen Ausnutzung wiederum dem Wirkungsgrad der jeweiligen Antriebsaggregate entsprechend geringer ist. Wäre es anders, dann wäre diese Technologie längst auf breiter Basis eingeführt worden und würde nicht nur aus Klimaschutzgründen propagiert, als wisse man erst seit kurzem um die Möglichkeit, synthetisches Kerosin herzustellen.

Graichen bestätigt auch, daß der Flugverkehr zerstörerische Auswirkungen hat, die nicht nur seinen CO2-Emissionen geschuldet sind. So beeinflußt die Verbrennung des Treibstoffes in größeren Höhen die Wolkenbildung, den Auf- und Abbau von Ozon und andere atmosphärische Prozesse, so daß der klimawirksame Effekt des Flugverkehrs drei- bis viermal so groß sei wie der der dabei freigesetzten CO2-Emissionen [3]. Würde dieser Effekt durch die Verwendung synthetischer Kraftstoffe ein wenig geringer ausfallen, dann wäre das in Anbetracht des Aufwandes ihrer Erzeugung ein überaus schwacher Trost.

Der Begriff des "C2-neutralen Fliegens" ist eine Blendgranate wie etwa der Euphemismus "Clean Coal" oder anderer Wortschöpfung aus den Sprachwerkstätten einer Beschwichtigungsindustrie, die vergessen machen soll, daß schon heute Millionen Menschen den unmittelbaren Folgen der Klimakatastrophe mit zum Teil tödlichem Ausgang ausgesetzt sind. Wenn die Mauern und Zäune der Wohlstandszentren in den klimatisch gemäßigten Zonen einmal so hoch sind, daß sie ohne offizielle Erlaubnis kaum mehr zu überwinden sein werden, dann kommt insbesondere der Passagierluftfahrt die Aufgabe zu, den Personenverkehr zwischen diesen Inseln privilegierter Lebenschancen aufrechtzuerhalten. Auf keinen Fall sollen Menschen diese Verkehrsachsen benutzen können, um ihren von Wüstenbildung verödeten und ansteigendem Meeresspiegel wie Extremwettern überschwemmten Gebieten zu entkommen. Sie reisen nicht umsonst zu Fuß und riskieren, bei der Überwindung des Mittelmeeres zu ertrinken.

Der große Aufwand, mit dem das auf Jahre hinaus weltweit um 5 Prozent prognostizierte Wachstum dieser Mobilitätsform gegen jede noch so relevante sozialökologische Kritik immun gemacht werden soll, ist nicht zuletzt der Absicht der herrschende Klasse gewidmet, auf keinen Fall zu denjenigen Menschen zu gehören, denen nicht einmal mehr die Füße bleiben, um lebensbedrohlicher Not und schmerzhaftem Mangel zu entkommen. Auch deshalb ist die symbolpolitische Bedeutung der Schiffsreise Greta Thunbergs in die USA weit wichtiger, als es die Einwände an dem dabei entstandenen Aufwand je sein könnten.

Selbst um die Ozeane zwischen Kontinenten zu überwinden bedarf es keiner Passagierflugzeuge und keiner hochtoxische Treibstoffe verfeuernder Ozeanriesen. Wie Jahrhunderte zuvor bläht der Wind auch in Zukunft die Segel von Passagier- und Frachtschiffen, mit denen ein die Kontinente überspannender Verkehr gewährleistet werden kann, der nach dem Ende einer Handelsschiffahrt, die vor allem der Bewirtschaftung des Gefälles zwischen Produktion und Absatz gewidmet ist, und der ebensogut an Land möglichen Lustbarkeit der Kreuzfahrtindustrie [4] auf ein für alle Betroffenen verträgliches Maß reduziert wäre.


Fußnote:

[1] RAUB/1159: Luftverkehr - der blinde Fleck ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1159.html

[2] https://www.deutschlandfunk.de/fliegen-ohne-co2-ausstoss-synthetische-kraftstoffe-sind.697.de.html?dram:article_id=456884

[3] a.a.O.

[4] BERICHT/130: Kreuzfahrtschiffe - Dekadenz auf Schrauben ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0130.html

29. August 2019


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