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RAUB/1239: Neustart - Wirtschaft gegen Klimaschutz ... (SB)



Die beim Autogipfel in Aussicht gestellten Kaufprämien werden zu Recht von Fridays for Future und anderen KlimaaktivistInnen scharf kritisiert. Allerdings reicht es nicht aus, die Entscheidung für die weitere Subventionierung des motorisierten Individualverkehrs aus ökologischen Gründen abzulehnen. Auch die EigentümerInnen und ManagerInnen von BMW, Daimler und Volkswagen sind ganz und gar dafür, ihre Villen auch in Zukunft in idyllischen Naturräumen bauen zu können, wo sie und ihre Kinder gute Luft atmen, anstatt sich die Lungen von Stickoxiden verätzen zu lassen, die auch noch die Chancen für einen schweren Krankheitsverlauf bei Ansteckung mit Corona erhöhen.

Kurz gesagt, die Natur zu schützen und den Klimawandel zu begrenzen ist breiter, alle Klassengrenzen überschreitender Konsens. Wieso also sind sich die Damen und Herren, die an der Videokonferenz mit Kanzlerin, mehreren Bundesministerien, Autounternehmen und IG Metall teilgenommen haben, einig darin, daß der Staat nicht nur Kaufanreize für E-Mobile, sondern auch Autos mit Verbrennungsmotoren in Höhe von mehreren tausend Euro freisetzen sollte? Ganz sicher auch deshalb, weil die Autoindustrie zentraler Motor einer nationalen Reichtumsproduktion ist, wie die 25 Milliarden Euro Profit belegen, die Daimler, Volkswagen und BMW letztes Jahr zur Freude ihrer Aktionäre erwirtschaftet haben.

Bei der Förderung dieser Industrie stehen nicht, wie suggeriert, sichere Einkommen für ArbeiterInnen im Vordergrund. Diese ließen sich mit der Vergesellschaftung ihrer Produktionsmittel und einer Konversion zur Herstellung dringend benötigter und nachhaltiger Güter wirksamer und langfristiger garantieren. Wer an die Stabilisierung einer Klassengesellschaft denkt, der Lohnabhängige Mittel zum Zweck einer Kapitalakkumulation sind, die sich im Falle der Autokonzerne mit Gewinnrücklagen in Höhe von fast 180 Milliarden Euro beziffern läßt [1], dürfte mit dieser Vermutung näher am materialistischen Fundament ihres Existenzzweckes als Branche liegen.

Warum ist die aus sozialökologischen Gründen erforderliche Mobilitätswende mit Widerständen konfrontiert, die sich trotz der offenkundigen, schon vor der Coronapandemie existierenden Absatzkrise so unsichtbar wie unüberwindlich in den Weg stellen? Weil am Erhalt der automobilgerechten Gesellschaft mehr hängt als die Sicherung des Reichtums einer kleinen Minderheit, die sich mit dem neoliberalen Glaubenssatz zu legitimieren versucht, daß alle Menschen vom Wirtschaftswachstum profitieren, also auch diejenigen, die von den Resten leben müssen, die vom gutgedeckten Tisch herunterfallen. Es geht um die Aufrechterhaltung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung als zentraler Organisationsform dieser Gesellschaft und der als alternativlos dargestellten Logik einer Kapitalverwertung, die keinem anderen Zweck außer der Vermehrung von Geld genügen muß.

Einzugestehen, daß es niemals eine bessere Gelegenheit als im tiefen Tal der Coronakrise gegeben hat, die soziale Reproduktion auf weit weniger verbrauchsintensive und zugleich sozial gerechtere Füße zu stellen, käme jenem revolutionären Bruch mit den herrschenden Verhältnissen gleich, den zu verhindern mit der Dämonisierung jeder vorstellbaren Form von Sozialismus zu den vorrangigen Zwecken der Staatsräson gehört. Gerade weil alle Welt weiß, daß nicht nur die fossilistische Produktionsweise, sondern die kapitalistische Industriegesellschaft Lebensverhältnisse von abnehmender Qualität und anwachsender Zerstörungsgewalt erzeugt, muß den Anfängen gewehrt werden.

Es ist Fridays for Future allemal zugute zu halten, daß ihre AktivistInnen nicht auf den Hype um E-Autos und Hybride hereinfallen, sondern sich gänzlich gegen die Produktion neuer Autos aussprechen. Auch daß sie die soziale Frage zum Thema machen, indem sie klarstellen, daß Milliarden für die Autoindustrie schlichtweg ungerecht sind, läßt ein Potential für systemische Grundsatzfragen in ihren Reihen erkennen - "Die Pflegekräfte, die Gastronomie, Erntehelfer:innen, Lehrkräfte, Einzelhändler:innen und viele andere stemmen Corona und werden nicht gehört" [2]. Eine Veränderung des herrschenden Akkumulationsregimes, die Klimakrise, Naturzerstörung, Artensterben, Krieg, Hunger und Elend dauerhaft bewältigte, müßte so tiefgreifend sein, daß die Einsicht, ohne Überwindung des herrschenden Akkumulationsregimes etwa in Richtung auf eine ökosozialistische Gesellschaftsordnung gehe es nicht, wie von selbst um sich griffe.

Der insbesondere durch die verlangte staatliche Subventionierung der Autoindustrie, der Luftfahrtbranche, der Tourismus- und Kreuzfahrtindustrie hervortretende Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Neustart und notwendigem Klimaschutz macht deutlich, wie schlecht es um die Bereitschaft einflußreicher Kreise in der Bundesrepublik bestellt ist, ökologischen Reformen zuzustimmen, die auch nur ein wenig über den Horizont grünkapitalistischen Wachstums hinausweisen. Ans Eingemachte sozialer Widersprüche zu gehen und damit die zentrale Achse kapitalistischer Herrschaft anzugreifen wäre der logische Schritt jeder ernstzunehmenden sozialökologischen Veränderung, ohne die sich weder ein den Bedürfnissen der Menschen gerecht werdendes Gesundheitssystem noch elementare Funktionen der Daseinsvorsorge wie Ernährungssouveränität und sichere Versorgung im Alter und vor allem kein selbstbestimmtes nichtentfremdetes Arbeiten verwirklichen lassen werden.

Der den gesellschaftlichen Diskurs beherrschende Sachzwang, anders als zuvor könne die Zukunft nicht aussehen, was zwingend erforderlich mache, die Schornsteine endlich wieder rauchen zu lassen, ist von erheblicher suggestiver Kraft und bedarf weit mehr als das Streben nach Teillösungen, mit denen immerhin schon etwas erreicht wäre. Es bleibt dabei - ohne die Eigentumsfrage zu stellen bleibt die Machtfrage unangetastet, was eine basisdemokratische und selbstbestimmte Zukunft außerhalb jeder Reichweite rückte. Wenn der Übergang zur postpandemischen Zukunft nicht in einen Alptraum an autoritärer Sozialkontrolle, biopolitischen Grenzziehungen und systematisch erzeugten Spaltungen auch kleinster Kollektive münden soll, müssen der Kampf um den Erhalt der natürlichen Lebensvoraussetzungen und der Streit um soziale Gleichheit zusammen geführt werden. Das setzt die Entwicklung antipatriarchaler, antirassistischer und antifaschistischer Kritikfähigkeit selbstverständlich voraus, was sich als unverhofftes Bindeglied zwischen den Generationen, Geschlechtern und Herkünften erweisen könnte.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/beilage/art/377257

[2] https://fridaysforfuture.de/autogipfel/?fbclid=IwAR1x_LMBD00zBViwxUH9xETelg9s05q_xDSsiOz49ySYUPSr6EOBbN-2CmI

5. Mai 2020


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