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RAUB/1245: Istanbul - ein Baudenkmal für den Präsidenten ... (SB)



Ob es denen gefällt oder nicht, Kanal Istanbul wird gebaut. Wir werden nicht zulassen, dass Menschen ohne Visionen, die keine Ziele, keine Liebe und Hoffnung für unser Land haben, uns davon abbringen. Wir werden uns niemals mit der bösartigen Agenda der Opposition befassen, weil wir keine einzige Sekunde verschwenden wollen.
Recep Tayyip Erdogan [1]

Unter all den gigantomanischen Megabauwerken Recep Tayyip Erdogans ist dieses Prestigeprojekt sein erklärter "Traum", den selbst er als "verrückt" bezeichnet. Was könnte die Allmachtsphantasien des Despoten im türkischen Präsidentenpalast treffender widerspiegeln als der Kanal Istanbul, die Erschaffung eines zweiten Bosporus, der sich mitten durch die 16-Millionen-Metropole schlängelt. Der oppositionelle Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu spricht hingegen von einem "Desaster", einem "Verrat" und "Mord" an der größten Stadt des Landes. Er will den Bau unbedingt verhindern. Experten warnen vor den immensen Kosten des Vorhabens, irreparablen Schäden am Ökosystem und einer Gefährdung der Trinkwasserressourcen. Kritiker werfen der Regierung zudem vor, die Arbeit an den Brücken, die über den Kanal führen sollen, inmitten der Corona-Krise ausgeschrieben zu haben. Ankara treibe das Projekt voran, obwohl die Pandemie negative Folgen für die ohnehin schon schwer angeschlagene Wirtschaft haben werde. [2]

Mit der Zauberformel "Türkiye büyüktür" (Die Türkei ist groß) und kraft seines autokratischen Präsidialregimes hofft Erdogan, sich mit überdimensionierten Infrastrukturprojekten als Monumenten seiner Macht zu verewigen, seine Landsleute auf nationalistischen Größenwahn einzuschwören und die Türkei bis 2023, hundert Jahre seit Gründung der Republik, in die Liga der weltweit zehn größten Wirtschaftsmächte zu katapultieren. In der Errichtung imposantester Bauwerke sieht er einen unabweislichen Schlüssel, die Ökonomie vom Feldherrnhügel aus zu befehligen, alle Widerstände mit harter Hand niederzuwerfen, gewachsene Urbanität im Dienst brachialster Modernisierung zu schleifen und eine Infrastruktur der Superlative zu erschaffen. Daß er Milliarden an Steuergeldern in ein Wachstum auf tönernen Füßen pumpt, mafiöse Verfilzungen von Staat und Sektoren der Baubranche alimentiert, nebenbei seinen Familienclan bereichert, massive Umweltzerstörungen herbeiführt, sklavenähnliche Arbeitsbedingungen erzwingt und auch dabei über Leichen geht, liegt auf der Strecke.

Anfangsglied in der Kette höchst waghalsiger Bauvorhaben Erdogans war der erste transkontinentale Tunnel der Welt, der 2013 und damit rechtzeitig zum 90. Geburtstag der Republik eröffnet wurde. Der Bahntunnel verläuft als 14 Kilometer lange Röhre unter Bosporus, Schwarzem Meer und Marmarameer, die S-Bahnen können stündlich bis zu 75.000 Menschen transportieren. Technisch war der Bau enorm aufwendig, was sich in Kosten von mehr als 2,5 Milliarden Euro niederschlug. Da sich in nur 20 Kilometer Entfernung die berüchtigte Nordanatolische Verwerfungszone befindet, wird befürchtet, daß der Tunnel nicht gegen die zahlreichen Erdbeben in der Region gewappnet sei.

Der Präsidentenpalast in Ankara wurde 2014 fertiggestellt und von Erdogan an seinem Geburtstag eingeweiht. Natürlich ist Ak Saray - der "Weiße Palast" - größer als der Buckingham Palace, der Élysée in Paris oder das Weiße Haus. Die steingewordene Machtdemonstration verfügt auf etwa 40.000 Quadratmetern über rund 1000 Zimmer. Es soll einen unterirdischen Fluchtweg geben, einen abhörsicheren Bunker und vieles mehr. Je nach Quelle soll das pompöse Dienstgebäude zwischen 270 und 400 Millionen Euro verschlungen haben. Erdogan setzte sich damit über Gerichtsurteile und Gesetze hinweg, nachdem das höchste türkische Verwaltungsgericht den Bau verboten hatte, weil das Gebäude mitten in einem Naturschutzgebiet steht.

Auf einem Hügel über dem asiatischen Teil Istanbuls wurde binnen drei Jahren die Camlica-Moschee errichtet, die größte Moschee der Türkei. Sie hat die höchsten Minarette der Welt - vier Türme mit je 107,1 Metern Höhe, zwei weitere mit 90 Metern. Die 107,1 Meter verweisen auf das Jahr 1071 - damals kam es zur Schlacht von Manazgirt, bei der die Seldschuken die christlichen Byzantiner besiegten und damit die Eroberung Anatoliens durch die Türken einleiteten. Der gewaltige Sakralbau für bis zu 60.000 Gläubige thront als Prestigeobjekt über Istanbul und signalisiert den säkularen Bevölkerungsteilen gleichsam die zunehmende Islamisierung des Landes.

Ende August 2016 wurde nach knapp vierjähriger Bauzeit die dritte Brücke über den Bosporus eröffnet. Eine achtspurige Fahrbahn und zwei Gleistrassen verbinden den europäischen und den asiatischen Teil von Istanbul. Die breiteste und mit 322 Metern an der Spitze ihrer Pfeiler höchste Brücke der Welt ist nach Yavuz Sultan Selim (1470-1520) benannt. Er ist auch als "der Grausame" bekannt, da er Krieg gegen Persien führte, Truppen nach Kairo und Aleppo entsandte sowie Blutbäder unter Aleviten und Schiiten anrichtete. Das imposante Bauwerk soll die Steuerzahlenden rund drei Milliarden Euro gekostet haben. Auch diesem Projekt fielen große Waldgebiete zum Opfer, die Gefährdung wichtiger Trinkwasserreservoirs wurde in Kauf genommen.

Ein weiteres fragwürdiges Prestigeprojekt ist die 2017 in Angriff genommene Canakkale-Brücke. Das auf 2,4 Milliarden Euro veranschlagte Bauwerk soll die Dardanellen überspannen und mit einer Spannweite von über zwei Kilometern die längste Hängebrücke der Welt werden. Die Eröffnung ist für 2023 geplant, das Jahr des Jahrhundertjubiläums.

Zu den Bauvorhaben, die 2018 auf den Weg gebracht wurden, gehört der "Große Istanbul Tunnel", der erste dreistöckige Unterwassertunnel der Welt. Er wird unter dem Bosporus das europäische Ufer Istanbuls mit der asiatischen Seite verbinden. Nach der für 2020 geplanten Fertigstellung sollen auf der untersten und der obersten Ebene der Röhre Autos auf zwei Fahrspuren in jeweils einer Richtung fahren. Dazwischen verlaufen im mittleren Stockwerk des Tunnels zwei Gleise für die U-Bahn. Pro Tag sollen 120.000 Autos die 6,5 Kilometer lange Röhre durchfahren.

Der neue Großflughafen Istanbul wurde in nur viereinhalb Jahren Bauzeit aus dem Boden gestampft und nahm am 29. Oktober 2018, dem Tag der Republik, den eingeschränkten Betrieb auf. Im April 2019 löste er den Flughafen Istanbul-Atatürk als größten Flughafen der Türkei ab. Als supermodernes Luftfahrtdrehkreuz am Bosporus ist er mit zwei Pisten zunächst für 90 Millionen Passagiere ausgelegt, in etwa einem Jahrzehnt soll er mit sechs Start- und Landebahnen und jährlich 200 Millionen Passagieren zum weltgrößten Flughafen aufsteigen. Wie nicht anders zu erwarten liefen die Kosten völlig aus dem Ruder: Wurden ursprünglich sieben Milliarden Euro kalkuliert, belaufen sich die Schätzungen heute bis zur letzten Ausbaustufe auf 32 Milliarden Euro.

Das erzwungene Rekordtempo bei der Errichtung führte zu zahlreichen tödlichen Arbeitsunfällen und verheerenden Arbeitsbedingungen. Der Zeitung Cumhuriyet zufolge sollen bis Februar 2018 rund 400 Arbeiter zu Tode gekommen sein. Den Angehörigen sollen Geldbeträge gezahlt worden sein, um diese Todesfälle zu verheimlichen. Wöchentliche Todesfälle wurden auch von der Bauarbeitergewerkschaft bestätigt. Die Regierung räumte hingegen nur 27 Tote ein. Des weiteren hätten Arbeiter nicht wie vorgeschrieben acht, sondern zwölf Stunden täglich arbeiten müssen und mit monatlich ca. 320 Euro nicht einmal den Mindestlohn erhalten. Die Arbeiter berichteten von nicht bezahlten Löhnen, abgelaufenem Essen, schlechter medizinischer Versorgung, Bettwanzen und fehlender Wasserversorgung. Nach dem Unfall eines Shuttle-Busses am 14. September 2018 mit zahlreichen Verletzten kam es zu einem spontanen Streik Tausender Arbeiter. Tags darauf wurden rund 500 Beteiligte festgenommen, 31 Arbeiter wurden verhaftet, 61 Arbeiter und Gewerkschafter von der Staatsanwaltschaft angeklagt. In den Medien wurden sie als "Volksverräter" angeprangert, welche die Fertigstellung des neuen Flughafens sabotiert hätten.

Am 27. April 2011 hatte Recep Tayyip Erdogan, damals noch als Premierminister, die Absicht verkündet, das Schwarze Meer und das Marmarameer mittels eines parallel zum Bosporus verlaufenden Schiffahrtskanals zu verbinden. Die ersten Ideen für solch einen Kanal sind mehrere hundert Jahre alt und stammen von osmanischen Sultanen, an deren Ideen Erdogan bewußt anknüpft. Das symbolträchtige Projekt sollte ursprünglich 2023 zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Türkei fertiggestellt sein, doch die Umsetzung stagnierte lange. Am 23. Dezember 2019 schloß das Ministerium für Umwelt und Städtebau die Umweltverträglichkeitsprüfung positiv ab, und nach Aussagen Erdogans sollte die Ausschreibung für die Bauarbeiten "demnächst" beginnen. Am selben Tag kündigte Ekrem Imamoglu ein noch vor seiner Zeit unterzeichnetes Abkommen zur Zusammenarbeit von Staat und Stadt auf.

Die umstrittene Wasserstraße soll 45 Kilometer lang, 25 Meter tief und an der schmalsten Stelle 275 Meter breit werden. Damit ist sie länger und schmaler als der Bosporus, der etwa 27 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle 698 Meter breit ist. Es sollen acht Brücken über und eine U-Bahn unter dem Kanal gebaut werden, ein Container- und ein Yachthafen entstehen und nicht zuletzt soll sogar eine neue Trabantenstadt für etwa 500.000 Einwohner errichtet werden. Bei einer geplanten Bauzeit von sieben Jahren sollen sich die Kosten offiziell auf knapp 11,5 Milliarden Euro belaufen, was Experten als völlig unrealistisch kritisieren. Allein die neue Bosporus-Brücke koste etwa 2,5 Milliarden Dollar, wobei die acht Brücken über den Kanal sogar noch größer seien. Daher drohe der Kanal Istanbul zu einem Milliardengrab zu werden, das astronomische Summen des Staatshaushalts verschlinge.

Bestritten wird auch der Bedarf, den Bosporus zu entlasten. Die Regierung argumentiert, der Schiffsverkehr nehme dort kontinuierlich zu und werde Prognosen zufolge weiter wachsen. Wenngleich Schiffe nicht verpflichtet werden könnten, den kostenpflichtigen Kanal zu nutzen, würden Reedereien dies vorziehen, um Wartezeiten zu vermeiden. Im Jahr 2019 hätten Schiffe etwa 14 Stunden vor dem Zugang zum Bosporus warten müssen, Tanker mit gefährlicher Ladung sogar 30 Stunden. Der Kanal schütze den Bosporus, da vor allem Containerschiffe mit gefährlicher Ladung ein Sicherheitsrisiko seien. Die Opposition hält dagegen, daß der Schiffsverkehr in den vergangenen zehn Jahren nachweislich abgenommen habe und die Zahl der Unfälle rückläufig sei. Der Rückgang der Ölreserven, Rußlands Ölexporte, die vermehrt über die Ostsee gehen, der Ausbau von Pipelines und die zunehmende Größe der Schiffe hätten den Verkehr im Bosporus verringert.

Eines der gewichtigsten Argumente gegen den Bau des Kanals ist die Gefährdung der Trinkwasserressourcen und Vernichtung der Wälder im Norden der Stadt. Der Wasserbedarf Istanbuls lag 2019 im Schnitt bei rund 2,8 Millionen Kubikmeter täglich. Die Regierung behauptet, das verlorengehende Trinkwasser werde durch den geplanten Bau des Melen-Staudamms kompensiert, eines weiteren Megaprojekts, das östlich von Istanbul entstehen soll. Daß dies ausreichen könnte, wird von Umweltexperten bezweifelt. Solche Pläne würden trotz Klimakrise und in einer Zeit abnehmender Trinkwasserquellen und Regenfälle gemacht. Der Kanal soll durch zwei Wasserreservoirs führen, den Sazlidere-Damm und einen Teil des Terkos-Sees, die zusammen rund ein Drittel der Wasserversorgung Istanbuls abdecken. Ein Großteil Sazlideres würde zerstört werden, und obgleich der Terkos-See erhalten bliebe, befürchten Experten eine Verschmutzung und Versalzung des Grundwassers. Von seiten der Regierung heißt es, daß für den neuen Kanal rund 200.000 Bäume gefällt werden müßten. Auch dieser Schätzung widersprechen Ökologen, die eher von 400.000 Bäumen bei einem Verlust von 450 Hektar Wald ausgehen.

Wenngleich Istanbul stark erdbebengefährdet ist, behauptet die Regierung, die tektonischen Verwerfungen seien weit genug vom neuen Kanal entfernt, weshalb keine Gefahr bestehe. Geophysiker warnen hingegen vor einem erhöhten Erdbebenrisiko, da sich die zentrale Marmara-Verwerfung nur rund zwölf Kilometer vom geplanten Kanal entfernt befinde. Es wird damit gerechnet, daß es im Raum Istanbul in den nächsten 30 Jahren zu einem Erdbeben mit einer Mindeststärke von 7,0 kommen könnte. Am geplanten Kanal, direkt in der Nähe der Verwerfungen, sollen neue Siedlungen entstehen, so daß sich das Risiko für die dort lebenden Menschen erheblich erhöhen würde. Und dies um so mehr, als zwischen dem Bosporus und dem Kanal eine "Insel" entstünde, was im Notfall die Evakuierung und logistische Unterstützung erschwere. [3]

Im Grunde dürfte der Norden Istanbuls überhaupt nicht bebaut werden, wie es im Jahr 2009 in einem sogenannten Masterplan festgehalten wurde. In den Dünenlandschaften befinden sich geschützte Wälder, Bäche und Weiden, die wichtig für das Ökosystem sind und Hunderte Pflanzen- und Tierarten beheimaten. Viele dieser Pflanzenarten, einschließlich seltener und gefährdeter Arten, wären vom Aussterben bedroht. Vögeln, Säugetieren und anderen Lebewesen würden wichtige Brut-, Wander- und Überwinterungsgebiete verlorengehen. Die Population dieser Tiere würde sich in der Region Istanbul erheblich reduzieren. Auch warnen Meeresforscher, daß das filigrane ökologische Gleichgewicht des Marmarameers durch den neuen Zulauf zerstört werde. Zusätzliche Biomasse würde abgebaut und gesundheitsschädlicher Schwefelwasserstoff freigesetzt. Eine gravierende Störung des Ökosystems könnte möglicherweise auch dazu führen, daß Landwirte und Fischer im Schwarzmeer die Region verlassen müßten.

Angesichts ihrer gravierenden Einwände gegen den Kanalbau kommen dessen Kritiker zu dem Schluß, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung wissenschaftlichen Maßstäben nicht entspreche. Kontrovers diskutiert wird aber auch, inwieweit die Regierung beabsichtigt, Schlupflöcher des Vertrags von Montreux zu nutzen oder diesen zu umgehen. Der 1936 geschlossene Vertrag regelt den zivilen Handelsverkehr, aber auch die Passage von Kriegsschiffen in Frieden und Kriegsfall durch die Meerenge, wovon die gesamte Schwarzmeer- und die angrenzende Kaukasus-Region betroffen ist. Da dies für Rußlands zivile und militärische Belange von größter Bedeutung ist, hat Wladimir Putin angemahnt, daß der Kanalbau das Abkommen von Montreux nicht gefährden dürfe. Im Falle des Baus müsse eine neue Formel gefunden werden, um Sicherheitsprobleme in der Region zu vermeiden. [4]

Die politische Auseinandersetzung um das Kanalprojekt spitzt sich auf einen Machtkampf zwischen Erdogan und Ekrem Imamoglu zu, der als Kandidat der kemalistischen CHP im Juni 2019 Bürgermeister von Istanbul wurde, das 25 Jahre lang von der AKP regiert worden war. Imamoglu will die Einwohnerschaft gegen das Vorhaben mobilisieren, das ihre Sicherheit gefährde, Steuergelder verschwende und wirtschaftlich wie ökologisch unvertretbar sei. Da Imamoglu als aussichtsreichster Rivale des Präsidenten gilt, legt dieser harte Bandagen an, um seine unumschränkte Verfügungsgewalt durchzusetzen. Weil die Türkei zentralstaatlich organisiert ist und das Stadtparlament von Istanbul überdies von der Regierungspartei AKP dominiert wird, macht Erdogan brachial deutlich, wer seiner Meinung nach das Sagen im Land hat. Schon Ende Dezember stellte er an Imamoglu gerichtet klar: "Nicht du entscheidest über den Kanal Istanbul, die Befugnis, darüber zu entscheiden, liegt bei mir." Trotz aller Warnungen hält er unerbittlich an dem Plan fest und nennt den Kanal "ein Werk von Weltklasse". "Für die Türkei schickt es sich nicht, klein zu denken und klein zu handeln", hält er Zweiflern und Kritikern entgegen.

Damit nicht genug, sind weitere Großprojekte wie Regionalflughäfen, Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn, Brücken, Tunnels und Autobahnen geplant. Mit dem Bauboom will Erdogan die Konjunktur anfeuern, obgleich die hohe Inflation, das wachsende Leistungsbilanzdefizit, rückläufige ausländische Investitionen und ein dramatischer Verfall der Landeswährung die Gefahr einer Krise verschärfen. Die türkische Wirtschaft basiert zu wesentlichen Teilen auf Krediten, und ein großer Teil der privaten Haushalte ist überschuldet. Dessen ungeachtet pumpt die Regierung weiter Unsummen aus der Steuerkasse in die Bauindustrie, türkische Großunternehmen und internationale Konsortien scheffeln Milliarden. Erdogan verteilt lukrative Projekte unter seinen Günstlingen in der Wirtschaft, um wachsende Teile der nationalen Kapitalfraktionen an seine Führerschaft zu binden. Den staatlichen Versorgungsauftrag verwandelt er in paternalistischem Gestus in generöse Geschenke an die Bevölkerung, die an der ehrfurchtgebietenden Größe der Monumente das Ausmaß seiner Güte messen und mit ihrem eigenen Nationalstolz kreuzen sollen. Die Frage, ob diese Flughäfen, Brücken, Tunnel und Kanäle ihr Leben wirklich verbessern und wem das repressive Regime tatsächlich zum Vorteil gereicht, soll darüber zur Unkenntlichkeit verblassen.


Fußnoten:

[1] www.dw.com/de/kanal-istanbul-erdogans-traum-istanbuls-albtraum/a-51845920

[2] www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_87796910/tuerkei-erdogans-megaprojekt-in-istanbul-tobt-ein-machtkampf.html

[3] www.dw.com/de/türkei-wissenschaftler-warnen-vor-kanal-istanbul/a-52004775

[4] www.focus.de/politik/ausland/erdogans-gewaltiges-bau-projekt-kanal-istanbul-stellt-beziehung-zu-putin-auf-die-probe_id_11527777.html

27. Mai 2020


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