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REPRESSION/1304: NATO in Aktion - Kritik im Sicherheitsvakuum neutralisiert (SB)



Wenn es nicht ohnehin zahlreiche Gründe dafür gäbe, die Auflösung der NATO zu fordern, dann müßte man davon ausgehen, daß sich die deutschen und französischen Sicherheitsbehörden bemühten, diese nachzuliefern. Deren Vorbereitungen zum NATO-Gipfel, der am 3. und 4. April in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg stattfindet, nehmen zusehends den Charakter einer Präventivmaßnahme zur Unterbindung jeglicher Kritik an dem Militärbündnis an. Daß dies unter dem Vorwand der Verhinderung bürgerkriegsartiger Zustände erfolgt, ist bezeichnend für eine Präventivlogik, die produziert, was sie zu verhindern behauptet. Während Kriegsgegner und Antimilitaristen von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollen, um ihren Widerstand gegen die weitere Militarisierung der EU und die Kriegspolitik der NATO kundzutun, wird seitens der diversen am Aufmarsch der Staatsgewalt beteiligten Regierungen und Behörden der Eindruck erweckt, als stehe der Region der Einfall der Barbaren bevor.

Tatsächlich gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß, wie Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech behauptet, bis zu 3000 gewaltbereite Demonstranten in die Region kommen werden. Zahlenspiele wie diese dienen der Legitimation von Maßnahmen, die als unter Gewaltandrohung durchgesetzte Verhaltensauflagen der unterstellten Konfrontation allemal zuarbeiten. So dürfen die Demonstranten auf dem Gebiet der Bundesrepublik keine Kapuzenpullover oder Halstücher tragen, sie dürfen nicht schnell laufen, keine Transparente quer zur Marschrichtung tragen und den Beamten der Polizei nicht näher als 1,50 Meter auf die Rüstung rücken.

Da dafür gesorgt wird, daß die NATO-Gegner ihren Protest nur weit entfernt von den ihrerseits fast in Divisionsstärke aufmarschierenden 6000 Gipfelteilnehmern, die allein auf deutscher Seite von 15.000 Polizeibeamten geschützt werden, artikulieren können, werden sich die NATO-Gegner in einer Art Sicherheitsvakuum befinden, in dem ihre Stimmen fast resonanzlos verhallen sollen. Da die sogenannte Schengenfreiheit für den Zeitraum des NATO-Gipfels ausgesetzt wurde und auf der ganzen Länge der deutsch-französischen Grenze wieder Personen- und Fahrzeugkontrollen durchgeführt werden, gelangen viele Kriegsgegner gar nicht erst zum Ort des Geschehens. Sogenannte Linksextremisten werden jedoch nicht nur an der Staatsgrenze aufgehalten, weil sie etwa Plakate mit sich führen, die in den Augen der multinationalen Einsatzkräfte Anlaß zum Verdacht geben, daß es sich um potentielle Gewalttäter handelt, sondern werden schon im Vorfeld durch Meldeauflagen der Polizei davon abgehalten, sich nach Strasbourg aufzumachen.

Es verhält sich also nicht nur so, daß es "kein Grundrecht auf Ausreise" gibt, wie der Berliner Innensenator Ehrhart Körting erklärte, um die 2001 gegen mögliche Teilnehmer des G8-Gipfels in Genua verhängten Ausreiseverbote zu rechtfertigen, es scheint auch kein Grundrecht zu geben, als nicht straffälliger Bürger im eigenen Land das Recht auf Bewegungsfreiheit in Anspruch nehmen zu können. Diese Form des nicht nur polizeilichen, sondern angesichts flankierender Sicherheitsmaßnahmen wie der Aufstellung von Flugabwehrbatterien rund um Strasbourg auch militärischen Ausnahmezustands dokumentiert aufs deutlichste, daß die Militarisierung der Außenpolitik von wachsender Repression im Innern nicht zu trennen ist.

Seit die neokonservative Mission Freedom & Democracy als Vorwand zum Führen von Angriffskriegen ausgedient hat und man in Washington wieder realpolitisch denkt, scheint auch die Begeisterung der europäischen Bündnispartner, sich partout als demokratische Wertegemeinschaft präsentieren zu wollen, stark nachgelassen zu haben. Es bedarf keiner demonstrativen Show liberaler Freizügigkeit mehr, wenn das Militärbündnis ohnehin nicht die Gestalt des Sendboten einer besseren Welt annimmt, sondern unverhohlen als Handlungsarm imperialistischer Großmächte fungiert, die vor allem ihre hegemonialen, handelspolitischen und ressourcentechnischen Absichten verwirklichen wollen. Was die Gastgeber des NATO-Gipfels schon im Vorfeld der Veranstaltung gegenüber all denjenigen Bürgern auffahren, die nicht mit diesen Intentionen d'accord gehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die gesellschaftliche Zukunft einer Politik, die nicht von antidemokratischer Ermächtigungslogik und Kriegführung lassen will.

31. März 2009