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REPRESSION/1322: Wiefelspütz garantiert Grundrechte für Verfassungsgegner (SB)



Der Eklat um die angeblich falsche Wiedergabe der Worte des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz durch die Berliner Zeitung dokumentiert das hochgradige Mißtrauen, daß politisch interessierte Bürger heute dem Sicherheitsstaat entgegenbringen. Der Argwohn, die Bundesregierung könnte die Etablierung einer Infrastruktur zum Blockieren von Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten dafür nutzen, dem allgemeinen Zugriff auch andere mißliebige Seiten vorzuenthalten, ist begründet. In der Debatte um den dazu vorliegenden Gesetzesentwurf wurden bereits entsprechende Begehrlichkeiten laut, zudem gibt es zahlreiche Präzedenzfälle, bei denen neuartige Überwachungs- und Ermittlungstechniken mit schlagenden populistischen Argumenten eingeführt wurden, nur um bald darauf für die Strafverfolgung weiterer Delikte nutzbar gemacht zu werden.

Die Berliner Zeitung hatte am 6. Juni berichtet:

"Politiker der großen Koalition diskutieren darüber, die Sperrung von Internetseiten auszuweiten. Bislang war nur von einer Blockade kinderpornografischer Inhalte die Rede. 'Natürlich werden wir mittel- und längerfristig auch über andere kriminelle Vorgänge reden', sagte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz der Berliner Zeitung. 'Es kann doch nicht sein, dass es im Internet eine Welt ohne Recht und Gesetz gibt.' Er könne sich vorstellen, so Wiefelspütz, auch Seiten mit verfassungsfeindlichen oder islamistischen Inhalten zu blocken: 'Eine Zeitung darf ja auch keinen Mordaufruf veröffentlichen.'"

Auf der Webseite abgeordnetenwatch.de (07.06.2009) nahm Wiefelspütz mit einer umfassenden Distanzierung von der Behauptung der Berliner Zeitung Abstand. Er bestätigte, daß "verfassungsfeindliche" oder "extremistische" Äußerungen "für sich genommen noch keine Straftaten" darstellten. Um diesen Sachverhalt zu erfüllen, müßten stets "konkrete Straftatbestände wie Volksverhetzung, Verleumdung oder Leugnung des Holocaust erfüllt worden sein". Wiefelspütz attestierte ausdrücklich, daß man "in unserem Land Gegner des Grundgesetzes sein und dies äußern" dürfe. Dies zu unterbinden sei "Zensur" und damit "verfassungswidrig". Wiefelspütz forderte zur Abwehr entsprechender Versuche, die Meinungsfreiheit einzuschränken, die "Aufnahme eines 'Internet-Grundrechts' in das Grundgesetz", mit dem der Bürger im Internet "vor unzulässigen staatlichen Eingriffen geschützt" werde.

Dennoch unterstützt der SPD-Abgeordnete die Einführung von Internetsperren bei kinderpornographischen Seiten, wenn auch als nachrangige Maßnahme und lediglich als "Sperr- und Warnfunktion", mit der "keine Daten für die Strafverfolgung gesammelt werden". Eventuelle Bedenken sollten mit seiner abschließenden Bemerkung, daß es "weder in der SPD noch bei mir Überlegungen" gebe, "bei anderen Internet-Inhalten Stopp-Seiten einzuführen", aus der Welt geräumt sein.

Wem der Glaube an diese Beschwichtigung fehlt, der ist aus bitterer Erfahrung klug geworden. Auf derartige Bekenntnisse ist kein Verlaß, gibt es doch zu viele Möglichkeiten, ein einmal in Verteidigung der eigenen Lauterkeit gegebenes Wort zu revidieren. So ist Wiefelspütz lediglich Abgeordneter und kein Regierungspolitiker, der unter unmittelbarem Handlungsdruck steht, wenn es um die Unterdrückung schwärender sozialer Widerspruchslagen geht. Ist der erste Schritt, in diesem Fall die Etablierung eines wirksamen Zensurmechanismusses, getan, folgt die Entuferung des vermeintlichen Handlungsnotstands auf den Fuß. Und findet dies nicht auf bundes- oder landespolitischer Ebene statt, dann lassen sich über die EU Maßnahmen erwirken, die zu verhindern noch schwieriger ist als ein allein im nationalen Rahmen unternommener legislativer Schritt.

Man darf gespannt sein, wie die Berliner Zeitung auf die Richtigstellung des angeblich falsch zitierten SPD-Abgeordneten reagiert. Es fällt schwer zu glauben, daß ein seriöses Blatt einen derartigen Fauxpas begeht. Wenn es einen bekannten Politiker auf eine Weise zitiert, die praktisch das Gegenteil dessen besagt, das dieser angeblich gemeint hat, dann tut Aufklärung not. Wenn Wiefelspütz tatsächlich auf grob irreführende Weise zitiert worden wäre, dann hätte die Hauptstadtzeitung den Gegnern einer unter dem Vorwand des Schutzes von Kindern vor sexuellem Mißbrauch zu etablierenden Internetzensur einen Bärendienst erwiesen.

7. Juni 2009