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REPRESSION/1332: Britische Lordrichter mildern und stärken Control Orders (SB)



Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA wurde eine Vorwandslage für Nationalregierungen geschaffen, mit der sie bis dahin geltende Rechtsnormen auf dramatische Weise neu interpretieren oder gar abschaffen konnten. In Großbritannien führte dies keine vier Jahre später zur Verhängung der sogenannten Control Orders, die gegen Personen angewandt werden, denen keine Schuld nachgewiesen werden mußte. Durch die Control Orders kann den Verurteilten, ob sie Briten sind oder Ausländer, ob sie terroristischer Aktivitäten im In- oder im Ausland bezichtigt werden, verboten werden, mit dem Handy zu telefonieren, im Internet zu surfen und das Land zu verlassen. Ihre Telefongespräche dürfen abgehört und Briefe zensiert werden. Außerdem können die Betroffenen bis zu 16 Stunden am Tag unter Hausarrest stehen. Ihnen können Bewegungseinschränkungen auferlegt werden, so daß sie sich beispielsweise nicht mehr als einen Kilometer von ihrem Wohnort entfernen dürfen, und jeder Besuch, den sie empfangen, muß vorher vom britischen Innenministerium abgesegnet werden. Die elektronische Fußfessel, mehrfaches Melden pro Tag bei der Polizei, tägliche Razzien sind weitere Zwangsmaßnahmen aus dem reichhaltigen Arsenal staatlicher Kontrollinstrumente.

Darüber hinaus erfahren die Häftlinge nicht, was ihnen vorgeworfen wird, was bedeutet, daß sie sich nicht verteidigen können. Mit den Control Orders hat die britische Gesetzgebung einen Rückschritt um mehrere Jahrhunderte vollzogen.

Nun erklärten die neun Law Lords (Lordrichter) unter Vorsitz von Lord Philips of Worth Matravers jenen Passus der Control Orders, demzufolge die Verurteilten nicht einmal Einblick in die Anklageschrift erhalten, für Unrecht. Dieser Entscheidung ging ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Fall Mahmoud Abu Rideh) voraus. Wohlgemerkt, nicht die Control Orders an sich, die im Rahmen des am 11. März 2005 in Kraft getretenen Prevention of Terrorism Act eingeführt wurden, werden in Frage gestellt, sie werden lediglich modifiziert.

Es hätte dieses Beispiels nicht bedurft, um festzustellen, daß sich die Law Lords wieder einmal als fundamentaler Stabilitätsfaktor eines herrschaftlichen Systems erweisen, dessen Möglichkeiten zur Einschränkung der individuellen Rechte permanent erweitert wird. Bereits im Oktober 2007 urteilten die Law Lords, daß das System der Control Orders an sich rechtens ist, es müsse lediglich in bestimmten Aspekten modifiziert werden.

Nur weil das Prevention of Terrorism Act seinerseits eine mildere Form des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001, dessen Part IV unvereinbar mit dem Human Rights Act war, darstellt, und es seitdem mehrfach angepaßt wurde, ändert das nicht das geringste an der Intention seiner Urheber, die Repressionsmittel laufend zu qualifizieren.

Die drei namentlich nicht genannten Opfer der Control Orders, die mit ihrer Klage den Stein ins Rollen gebracht haben, werden sicherlich erleichtert sein, daß sie endlich erfahren, wessen sie bezichtigt werden. Doch mit jeder Modifikation der Control Orders wird ihre Gültigkeit tiefer und tiefer befestigt. In Deutschland würden solche Bestimmung unter das Stichwort "Feindstrafrecht" fallen. Dessen Befürworter vertreten die Ansicht, daß es Menschen gibt, denen der Gesetzgeber die Bürgerrechte aberkennen darf. Er muß sie lediglich zu Feinden der Gesellschaft erklären. Die Definitionshoheit liegt dabei in der Hand des Staates.

Mag sich der britische Innenminister Alan Johnson nach der Entscheidung der Law Lords auch darüber beklagen, daß sie seine Aufgabe, die Öffentlichkeit zu schützen, erschweren, letztlich kann er sich bei den obersten Richtern bedanken, daß sie die Existenzberechtigung der Control Orders an sich nicht in Frage gestellt haben.

10. Juni 2009