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REPRESSION/1398: Obama-Regierung darf weiter ungestraft foltern lassen (SB)



Die Emanzipation exekutiver Gewalt vom Korrektiv legislativen Schutzes der Freiheitsrechte schreitet auch unter der Administration Barack Obamas unaufhaltsam voran. Indem postulierte Sicherheitsinteressen des Staates verabsolutiert und zu Lasten fundamentalster Menschenrechte durchgesetzt werden, formiert sich der Machtkomplex zu einem Monolithen, der jede Proklamation unantastbarer menschlicher Würde zermalmt. Wo Menschen verschleppt, gefangengehalten und gefoltert werden, während man ihnen jede Möglichkeit verwehrt, vor Gericht gehört zu werden, verschmelzen die formal geteilten Gewalten endgültig zu einem Regime schierer Willkür, dessen Despotismus keine Grenzen gesetzt sind. Rechtsansprüche der Bürger offenbaren mithin ihren Charakter als bloßes Lehen, das auf Grundlage prinzipieller Verfügung allenfalls befristet gewährt, doch zuletzt um so nachhaltiger entzogen wird.

Die jüngst ergangene Entscheidung des US Ninth Circuit Court of Appeals, welche die Anwendung der Doktrin des "Staatsgeheimnisses" durch die Obama-Regierung bestätigt, schlägt einen der letzten verbliebenen Hoffnungsschimmer im staatlichen Auftrag gefolterter Menschen aus dem Feld. Mit dünner Mehrheit von sechs gegen fünf Stimmen, die das von Restzweifeln an der Preisgabe fundamentaler Rechtsauffassung behaftete Votum dokumentiert, wurde die Annahme der Klage gegen die Boeing-Tochter Jeppesen Dataplan Inc. zurückgewiesen, die an Folterflügen der CIA beteiligt war. Als Klageführerin hatte die American Civil Liberties Union im Mai 2007 im Namen von fünf ehemaligen Gefangenen die Komplizenschaft des Unternehmens geltend gemacht. Im April 2009 befand ein Gremium von drei Richtern des Ninth Circuit, daß die Klage als ganze weiterverhandelt werden sollte. Nun hat die Exekutive mit ihrer Auffassung den Sieg davongetragen, daß das Verfahren insgesamt einzustellen sei und nicht etwa nur jene Teile ausgeklammert blieben, die ausdrücklicher Geheimhaltung unterliegen.

Berücksichtigt man, daß die erhobenen Entführungs- und Foltervorwürfe wie auch die Beteiligung von Jeppesen Dataplan inzwischen weithin als Tatsachen aufgefaßt werden, tritt die Tragweite der von der Regierung erfolgreich angestrebten Revision der vorangegangenen Gerichtsentscheidung klar hervor. Sich regelrecht windend sprach Richter Raymond C. Fisher bei der Begründung der knappen Entscheidung von einem "schmerzlichen Konflikt zwischen Menschenrechten und nationaler Sicherheit", in dem die Mehrheit "zögernd" zu der Auffassung gelangt sei, daß es sich bei dem Verfahren um einen jener "seltenen Fälle" handle, in denen die Aufgabe der Regierung, die Geheimnisse des Staates zu schützen, Vorrang vor dem Anspruch der Kläger habe, vor Gericht gehört zu werden.

Vom kaum zu überbietenden Zynismus des in Anspruch genommenen "schmerzlichen" Ringens im Angesicht von Folteropfern einmal ganz abgesehen, spricht die Zurückweisung der offensichtlich mit grausamsten Mitteln drangsalierten Menschen jedem Rechtsempfinden auf unerträgliche Weise Hohn. Beim Hauptkläger Binyam Mohamed handelt es sich um einen Äthiopier mit Aufenthaltsrecht in Britannien, der 2002 in Pakistan festgenommen und der CIA überstellt worden war. Diese verschleppte ihn nach Morokko, wo er vom Geheimdienst 18 Monate gefangengehalten und gefoltert wurde. Danach brachte ihn die CIA in ein Geheimgefängnis nach Afghanistan, wo er wiederum der Tortur unterzogen wurde, bis man ihn schließlich nach Guantánamo verschleppte, wo er weitere fünf Jahre gequält wurde. Anfang 2009 ließ man ihn endlich frei und brachte in nach England, wo er sich heute auf freiem Fuß befindet. Die anderen vier Kläger durchlitten ein ähnliches Schicksal in Geheimgefängnissen Afghanistans, Marokkos und Ägyptens, wohin sie die CIA entführt hatte.

Ben Wizner, der die ACLU vor dem Ninth Circuit in San Francisco vertreten hatte, erinnerte daran, daß bislang kein einziges Opfer des Folterprogramms der Bush-Administration von einem Gericht gehört worden ist. Dies sei ein Trauertag für alle Überlebenden der Folter wie auch für alle Amerikaner, die Recht und Gesetz wertschätzten, vom Ansehen der USA in aller Welt ganz zu schwiegen. Sollte diese Entscheidung auch vor dem Supreme Court Bestand haben, stehe fest, daß die Vereinigten Staaten Folteropfern ihre Gerichtsbarkeit verweigern, während sie den Folterern volle Immunität gewähren.

Wie um sich von seiner schändlichen Handlungsweise freizukaufen, wies das Gericht die Regierung an, die Prozeßkosten der Kläger zu übernehmen, obwohl diese das Verfahren verloren und keine derartige Bezahlung verlangt hatten. Damit nicht genug, forderte man die Exekutive und den Kongreß auf, Opfern von "Fehleinschätzungen oder Fehlern" der CIA eine Entschädigung zu gewähren, sofern ihre Vorwürfe bestätigt werden können. Dieser perfide Vorschlag läuft also darauf hinaus, Folteropfern die Rechtsmittel auch dann zu verweigern, wenn ihre Vorwürfe glaubhaft belegt sind, und sie statt dessen mit Schweigegeld abzuspeisen.

Die Obama-Regierung erhält damit einen weiteren Freibrief von juristischer Seite, die Praktiken der Bush-Ära fortzusetzen und auszuweiten. Bekanntlich hat die regierende Administration bereits die CIA ermächtigt, Staatsbürger der USA zu liquidieren, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum "Terrorismus" zu unterhalten. Des weiteren hat sie Versuche von Gefangenen in Afghanistan abgeblockt, gerichtlich gegen ihre Inhaftierung ohne Prozeß vorzugehen, sowie den Entführungspraktiken der CIA ihren Segen gegeben.

Barack Obama war erst wenige Wochen im Amt, als seine Administration im Februar 2009 den Court of Appeals wissen ließ, daß man im Fall Mohamed gegen Jeppesen Dataplan mit der Auffassung der Bush-Regierung konform gehe. Im September 2009 modifizierte Justizminister Eric Holder die Doktrin zur Wahrung von "Staatsgeheimnissen" dahingehend, daß diesbezügliche Verfahren wenn möglich nicht abgewiesen werden sollten und letzteres keinesfalls zur Vertuschung von Rechtsbrüchen oder Vermeidung peinlicher Enthüllungen geschehen dürfe. Also hatte der Wolf Kreide gefressen, um seine Opfer desto leichter verschlingen zu können. So erklärte denn auch ein Sprecher des Justizministeriums nach der aktuellen Entscheidung hocherfreut, daß das Gericht erkannt habe, wie angemessen sich die politischen Vorgaben im vorliegenden Fall umsetzen ließen.

Müßig hinzuzufügen, daß einem Bericht der Zeitschrift The New Yorker zufolge ein leitender Angestellter der Firma Jeppesens bei einer internen Besprechung offen eingeräumt hat, daß man die Folterflüge für die CIA durchführe, was ein Zeuge sogar unter Eid bestätigte. Von dem Offensichtlichen ungerührt, argumentierte das Gericht, daß dieses Unternehmen so gut wie keine Angaben über diesbezügliche Verfahrensweisen machen könne, ohne dabei Informationen über verdeckte Operationen der US-Regierung preiszugeben. Deshalb dürfe dieser Fall aus Gründen der gebotenen Geheimhaltung nicht verhandelt werden. Die Stoßrichtung der Kumpanei von US-Administration, in- und ausländischen Geheimdiensten, privaten Sicherheitsdienstleistern und Justiz liegt auf der Hand: Weiterhin sollen ungestraft Menschen verschleppt, in Geheimgefängnissen eingekerkert und gefoltert werden, während man ihnen gleichzeitig mit höchstem Segen das Recht verweigert, jemals von einem Gericht dazu gehört zu werden.

10. September 2010