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REPRESSION/1400: Deutschland und Frankreich ... bei Flüchtlingsabwehr im Grundsatz einig (SB)



Als Sturm im Wasserglas zog der Streit zwischen der Regierung Deutschlands und Frankreichs um den Umgang mit der Minderheit der Roma vorüber. Im Brustton selbstgerechter Empörung wurde die Erwiederung des französischen Präsident Nicolas Sarkozy auf die an ihn gerichtete Kritik, mit der Zerstörung illegaler Roma-Lager und der Abschiebung ihrer Bewohner in ihre osteuropäischen Herkunftsländer gegen den die Grundrechte der europäischen Wertegemeinschaft zu verstoßen, zurückgewiesen. In Deutschland gebe es keine Roma-Lager, die man räumen lassen könne, wurde Sarkozy auf dessen Behauptung, von diesem Vorhaben aus dem Munde der Bundeskanzlerin erfahren zu haben, entgegnet. Nun haben sich Merkel und Sarkozy am Rande des UN-Gipfels in New York wieder versöhnt. Beide hätten die Berichterstattung in den Medien über ihren Streit als "lächerlich und grundlos" bewertet, hieß es aus der französischen Hauptstadt.

Man will sich in Berlin und Paris auch deshalb nicht an den Karren fahren, weil sich keine dieser beiden Regierungen durch das Eintreten für die Grundrechte mißliebiger Minderheiten verdient gemacht hat. So hat Innenminister Thomas de Maizière im April mit der Regierung des Kosovo ein Abkommen geschlossen, das letztere verpflichtet, jedes Jahr bis zu 2500 aus Deutschland in den Kosovo abgeschobene Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei handelt es sich vor allem um Roma, aber auch Angehörige anderer Minderheiten, die nach der Eroberung der serbischen Provinz durch die NATO Repressalien durch kosovoalbanische Separatisten ausgesetzt waren.

Abschiebungen von Menschen, die seit zehn Jahren und länger in der Bundesrepublik leben und deren Kinder hierzulande geboren wurden, erfolgen von einem Tag auf den andern und werden nicht selten mit Polizeigewalt durchgesetzt. Der Journalist Dirk Auer schildert den Fall eines Roma-Ehepaars, das seit 20 Jahren in Deutschland lebt und zwei 19jährige Söhne hat. Während diese über ein Bleiberecht verfügen, wurden die Eltern in den Kosovo abgeschoben, wo sie niemanden kennen und keinerlei Existenzaussichten haben. Obwohl der Vater am nächsten Tag operiert werden sollte, um die Folgen eines Unfalls zu beheben, wurde er in ein Land deportiert, in dem serbisch sprechende Roma nach wie vor diskriminiert und benachteiligt werden [1]. Im Unterschied zu den aus Frankreich in andere EU-Staaten abgeschobenen Roma können Flüchtlinge, die in ein außerhalb der EU-Grenzen liegendes Land verbracht werden, nicht legal in das Land zurückkehren, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Wenn sie bei ihrer gewaltsamen Abschiebung niemanden zurücklassen können, der sich ihrer Besitztümer annimmt, dann gehen ihnen diese auch noch verloren.

Einigen Albanern sind Roma nach wie vor verhaßt, weil es sich bei diesen meist um besonders loyale Bürger Jugoslawiens handelte. Dessen Regierung betrieb eine vorbildliche Minderheitenpolitik, die die Roma den anderen nationalen Minderheiten des Vielvölkerstaats in jeder Beziehung gleichstellte und damit dieser jahrhundertelang in Europa ausgegrenzten und verfemten Minderheit eine echte Heimstatt bot. Die Vertreibung zehntausender Roma aus dem Kosovo nach dem Einmarsch der NATO-Truppen erfolgte nicht selten unter den Augen deutscher KFOR-Soldaten. Diese hätten eigentlich die Aufgabe gehabt, die Drangsalierung nichtalbanischer Minderheiten zu verhindern, kamen ihrer Pflicht jedoch bestenfalls widerwillig nach, da die rot-grüne Bundesregierung sich mit der angeblichen Befreiung der Kosovo-Albaner schmückte und diese als Aktivposten ihrer Hegemonialpolitik für Südosteuropa einsetzen wollte.

Heute leben von den damals 150.000 Roma nur noch 35.000 im Kosovo, und zwar unter ärmsten Bedingungen. Die Bundesrepublik nahm 1999 viele vertriebene Roma auf, allerdings säumten nach der faktischen Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien keine Bundesbürger mehr die Straßen, um angeblich vor dem serbischen Joch geretteten Flüchtlingen zuzujubeln. Szenen dieser Art dienten vor dem Überfall der NATO auf Jugoslawien dazu, die Kriegsbeteiligung der Bundesregierung zu legitimieren.

Nachdem die NATO-Staaten mit der einseitigen Gebietsabtrennung des Kosovo von Serbien den größten Nachfolgestaat Jugoslawiens vollends in die Defensive gedrängt haben, so daß der Neuordnung des westlichen Balkan nichts mehr im Wege steht, will man diese Altlasten der deutschen Expansionspolitik wieder loswerden. Dies erfolgt nicht zuletzt in Aussicht auf weitere Kriege, in deren Folge Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufgenommen werden könnten. So gab der bayrische Innenministerium Joachim Herrmann im Deutschlandfunk (21.09.2010) zu Bedenken:

"Wenn die Menschen in Deutschland den Eindruck haben, dass das letztendlich dann unterlaufen wird, und auch wenn der Bürgerkrieg längst vorbei ist die Menschen trotzdem nicht in ihre Heimat zurückkehren, dann wird das nächste Mal, wenn irgendwo Bürgerkrieg auf der Welt ist, die Begeisterung der Menschen in Deutschland, solche Leute vorübergehend bei uns aufzunehmen, wesentlich geringer sein." [2]

Herrmanns Entgegnung auf die Frage nach den sozialen Problemen der abgeschobenen Kriegsflüchtlinge, deren Lebensverhältnisse seien dort früher auch nicht gerade "paradiesisch" gewesen, fördert den ganzen Zynismus einer Kriegführung zutage, aufgrund der Menschen ihrer Lebenswelt entrissen werden, um sie später unter ungleich desolateren Bedingungen dorhin zurückzubringen. In einer Zeit, in der das kapitalistische Elend rassistische Blüten treibt, zu behaupten, daß Roma im Kosovo keine Benachteiligung oder Verfolgung drohe, läuft nicht nur, weil die ehemaligen Fußsoldaten der NATO einem ausgemachten albanischen Nationalismus huldigen, auf die bewußt in Kauf genommene Gefährdung der Abgeschobenen hinaus.

Zumindest Lager administrativer Art unterhält man in der Bundesrepublik. Daran erinnert zur Zeit der Hungerstreik mehrerer Insassen des zentralen Aufnahmelagers für Asylbewerber in Nostorf/Horst in Mecklenburg-Vorpommern, mit dem die Betroffenen gegen ihre elenden Versorgungs- und Lebensbedingungen protestieren. Unter ihnen befinden sich auch einige Roma, die als nicht anerkannte Asylbewerber noch ungeschützter vor staatlicher Repression sind. Alle Bedingungen des bis zu zwei Jahre währenden Aufenthalts in diesem Lager sind so angelegt, daß die Flüchtlinge zwar nicht offen gefangengehalten werden, doch durch verfahrensrechtliche Auflagen und materiellen Mangel in ihrer Freiheit stark eingeschränkt sind.

Sarkozy wußte also, was er tat, als er Angela Merkel als Mittäterin auswies. Auch wenn die Politik seiner Regierung im Falle der Roma eindeutig rassistisch ist und die Zerstörung ihrer Lager mit Bulldozern und Polizisten zu Recht düstere Erinnerungen wachrufen, hat die Bundesregierung allen Grund, ihren Umgang mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht zum Gegenentwurf zu erheben. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem in ganz Europa ein soziobiologisch modernisierter Rassismus um sich greift, macht sich eine Regierung mit repressiven Maßnahmen gegenüber Migranten und Flüchtlingen eher beliebt, als daß sie auf viel Kritik stößt.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/1276386/

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1276936/

23. September 2010