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REPRESSION/1422: Ende des Terrors? Die Welt soll an zügelloser Exekutivgewalt genesen (SB)



Nun wird alles gut. Jubelfeiern in den USA - Schuldenkrise, soziale Verelendung, Atomkatastrophe, Hunger und Krieg sind belanglos, wenn die ihre Handlungsfähigkeit militärischer Macht unter Beweis gestellt wird. Fast zehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 wurde mit Osama bin Laden der dafür angeblich Schuldige seiner gerechten Strafe überantwortet, und viele Menschen scheinen, auch wenn sie keine persönlichen Verluste zu erleiden hatten, tatsächlich erleichtert zu sein. Als habe man ihnen eine Last von der Seele genommen, wurde mit dem Tod eines Mannes, von dem seit vielen Jahren kaum mehr als obskure Audiobotschaften an die weltweite Öffentlichkeit drangen, offensichtlich etwas bewegt und verändert. Die Probleme, an denen man sich vorbeimogelt, lassen es erahnen ... die erstickende Gewalt herrschender Verhältnisse bedarf gewaltsamer Entlastungsmanöver, um den Bestand der Gesellschaft zu gewährleisten.

Was auf dem Times Square in New York und vor dem Weißen Haus in Washington die Form eines mitternächtlichen Volksfests annimmt, auf dem nationalistische Jubelchöre erklingen und sich blauweißrote Superhelden ein Stelldichein geben, ist nur der Schaum auf der Latte macchiato, die zur Feier des Tages in den Hauptstädten der NATO-Staaten gereicht wird. Diese Stimulanz sollte nicht allzu schnell verkonsumiert werden, sind gute Nachrichten doch Mangelware in einem globalen Krisenmanagement, das den Menschen vor allem schlechte Neuigkeiten zu vermitteln hat. Dabei spielt es nicht die geringste Rolle, daß die Täterschaft des "Drahtziehers" Osama bin Ladens niemals positiv bewiesen wurde, daß sein Aufenthaltsort den pakistanischen Verbündeten Washington stets bekannt gewesen sein muß, daß der Al Qaida-Chef möglicherweise aus Krankheitsgründen seit mehreren Jahren nicht mehr operativ tätig war, ja daß sich seine ganze Fraktion des militanten Islamismus seit dem 11. September 2001 auf dem Rückzug zu befinden scheint.

Erst recht nicht bedacht werden soll, daß die fast 3000 Todesopfer der Anschläge um ein Mehrfaches vergolten wurden in einem Terrorkrieg, der sich von Afghanistan und Pakistan bis zum Irak erstreckt. Zwar hatten die Taliban-Regierung den USA die Auslieferung ihres Gastes Osama bin Ladens bei Vorlage von Beweisen für seine Täterschaft an ein Drittland angeboten, um zu demonstrieren, daß sie mit den Anschlägen nichts zu tun hatten, zwar war dem Wahrheitsgehalt der Behauptung, der irakische Präsident Saddam Hussein habe die Anschläge in Zusammenarbeit mit Al Qaida zu verantworten, von Anfang an keine Glaubwürdigkeit beschieden. Als Initialzündung für diese Feldzüge war der 11. September 2001 dennoch unentbehrlich. Der Globale Krieg gegen den Terrorismus war das Leitmotiv einer Dekade militärischer Offensiven, von denen es im Falle Afghanistans bis heute heißt, sie diene der Verteidigung des Westens gegen den internationalen Terrorismus.

Die reale Person Osama bin Laden verschwand darüber in der Versenkung, was ihrer mythischen Aufladung zum fleischgewordenen Bösen nicht etwa Einhalt bot, sondern beflügelte. Al Qaida mutierte von einer terroristischen Organisation zum informellen Netzwerk, zum ideologischen Überbau unabhängig voneinander agierender Terrorzellen. Wer auch immer für deren Anschläge verantwortlich zeichnete, es bedurfte einer übergreifenden Adresse, auf die sich die staatlichen Gewaltapparate beziehen konnten. Auch wenn es, wie in der Bundesrepublik, niemals zu einem größeren Anschlag kam, kulminierte dieser Schrecken zur allgegenwärtigen Bedrohungslage, auf die sich die Bundesregierung bei den diversen Verschärfungen deutscher Sicherheitsgesetze berief.

So unscharf und ungreifbar dieses Phänomen war und ist, so konkret und massiv waren und sind die politischen Auswirkungen, die es legitimiert. Die Aushöhlung der Bürgerrechte auf breiter gesellschaftlicher Ebene, die Schaffung neuer Kategorien totaler Entrechtung in Form sogenannter Terrorverdächtiger und illegaler feindlicher Kombattanten, die Etablierung völkerrechtswidriger militärischer Maßnahmen wie die der "extralegalen Hinrichtung", die Rückkehr der Folter und die Ermächtigung von Regierungen zur Durchführung von Gewaltakten aller Art sind Folgen eines Bedrohungsszenarios, das im Rahmen der westlichen Kriegführung desto mehr hypertrophierte, als deren widerrechtlicher Charakter neuen Legitimationsbedarf schuf. Die Frage, in welchem Verhältnis der mutmaßliche Schaden terroristischer Anschläge zum repressiven Umbau der Gesellschaft steht, gilt als ketzerisch. "Sicherheit" als Maximalforderung macht Politiker jeder Couleur wählbar, während prinzipientreuem Eintreten für "Freiheit" in ihrer elementaren, demokratischen und bürgerrechtlichen Form angelastet wird, terroristische Aktivitäten zu begünstigen.

Wenn US-Präsident Barack Obama nun von einem "Akt der Gerechtigkeit" spricht, dann redet er exekutiver Vollzugsgewalt in ihrer reinsten Form, dem staatlich durchgeführten Mord, das Wort. Es ist daher über die Maßen ignorant, wenn Medienvertreter anläßlich des Todes Bin Ladens die Beendigung eines Alptraums oder die Befreiung von permanenter Bedrohung feiern. Es gibt keine Garantie dafür, nicht selbst ins Visier einer von der Leine ihrer rechtlichen Zügelung - deren gesetzliche Verankerung gerade in Deutschland auf katastrophalen historischen Erfahrungen beruht - gelassenen Staatsmacht zu geraten. Die Ermächtigung zu kriegerischen Willkürhandlungen, gerade vorgeführt am Angriff der NATO auf Muammar al Gaddafi und seine Familie, erhält mit der allseits bejubelten Kommandoperation in Pakistan neuen Auftrieb. Vergessen sind die Ankündigungen zum Amtsantritt Obama, die Entuferungen des Terrorkriegs der Vorgängerregierung zurückzunehmen. Was zählt, ist unbeschränkte präsidiale Handlungsfähigkeit, etwa ausgedrückt im Lob eines US-Bürger in der Kommentarspalte des US-Senders ABC: "No Miranda, no lawyers, just simple justice. Well done!" [1]

Ob es sich beim Opfer dieser Hinrichtung überhaupt um Osama bin Laden gehandelt hat, was die US-Streitkräfte dazu berechtigt, in einem souveränen Staat derartige Aktionen durchzuführen, welche sinistre Rolle der pakistanische Geheimdienste ISI dabei spielte, warum der Angriff ausgerechnet jetzt erfolgte - all das sind wichtige Fragen. Sie stehen jedoch im Schatten der über den aktuellen Anlaß hinausweisenden Frage, was eine derartige Machtpraxis für die gesellschaftliche Entwicklung in den Ländern bedeutet, die sie zu verantworten haben. So zeichnet sich in der politischen Bewertung des Ereignisses bereits ab, daß der weiteren Aufrüstung des Sicherheitsstaats mit dem Sieg über den Terrorfürsten keineswegs Abbruch getan ist. Es liegt in der Logik numinoser, tief in der zivilreligiösen Dichotomie des Kampfes zwischen Gut und Böse wurzelnder Gefahren, daß sie der Staatsmacht in jedem Fall zuarbeiten. Scheitert die Terrorabwehr, dann muß sie gestärkt werden, ist sie erfolgreich, dann bewahrheitet sich das Primat der Repression erst recht. Zudem gilt es weiteren Bedrohungen vorzugreifen, siehe die nun angeblich drohende Gefahr von Vergeltungsanschlägen Al Qaidas.

Je abstrakter die Bedrohungslage, desto universaler ist ihr Vorwandscharakter, wie die hierzulande geführte Debatte über die beabsichtigte Entfristung der Antiterrorgesetze belegt. Die Entuferung exekutiver Ermächtigung ist programmatischer Art, liegt es doch im Wesen präventiver Sicherheitsdispositive, daß man nichts Genaues weiß und daher dem Ungewissen um so entschiedener zuvorkommen muß. Auf diese Weise erhält die Konzentration exekutiver Vollmachten den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung, die zu legitimieren lediglich an einigen medial verankerten Stellschrauben des öffentlichen Bewußtseins zu drehen ist. Die am Beispiel Osama bin Ladens erfolgte Personalisierung der Bedrohung ist ein exemplarisches Beispiel für den Verfall demokratischer Kultur und ihrer Beerbung durch autokratische Verfügungsformen. Diese erhalten desto mehr Zustimmung, als die am eigenen Leib erfahrenen Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung nach Auflösung in schnellen, die eigene Teilhaberschaft am Beutemachen nicht in Frage stellenden Antworten verlangen.

In seiner Erklärung vom Sonntagabend [2] erinnerte der US-Präsident an das "Gefühl der Einigkeit", das am 11. September 2001 in der US-Bevölkerung geherrscht habe. Dieses wiederherzustellen ist in einer von materiellen wie kulturellen Verwerfungen gezeichneten Gesellschaft gerade auch dann, wenn Obama die amerikanischen Ideale des "Wohlstands für unsere Bevölkerung" und "des Kampfes für Gleichheit für all unsere Bürger" hervorhebt, ein Kunststück politischer Propaganda. Doch auch auf dem denkbar kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den Obama dieses Ideal am Schluß seiner Rede brachte, muß gewaltsam durchgesetzt werden, was die liberale US-Gesellschaft angeblich von vornherein auszeichnet: "Eine Nation, unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle". Die politische Praxis dieser Programmatik heißt nationalistische, mit christlichem Fundamentalismus abgestützte Suprematie, heißt, daß die Freiheit des Kapitals und das Recht des Stärkeren darüber befinden, wer oben und wer unten ist. Das gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern in Anwendung des beanspruchten Weltgewaltmonopols weltweit.

Fußnoten:

[1] "Keine Rechtsmittelbelehrung, keine Anwälte, einfach nur Gerechtigkeit. Gut gemacht!"
http://abcnews.go.com/Politics/president-obama-osama-bin-laden-death-milestone/story?id=13505673


[2] http://www.mercurynews.com/breaking-news/ci_17972075?nclick_check=1

2. Mai 2011