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REPRESSION/1423: Eine ganz normale Arbeit - mörderische Verwertung menschlicher Physis (SB)



Im havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist ein Arbeiter bewußtlos zusammengebrochen und gestorben. Ein Sprecher der Betreibergesellschaft Tepco behauptet, daß am Arbeitsplatz des Mannes keine erhöhten radioaktiven Werte gemessen wurden. Zudem seien im Körper des 60jährigen keine radioaktiven Substanzen festgestellt worden.

Was angesichts der bisherigen Verschleierungsbemühungen seitens des Konzerns auch immer von diesen Aussagen zu halten ist - so ist der Begriff "Arbeitsplatz" dehnbar, und zum Ergebnis, daß im Körper des Verstorbenen "keine radioaktiven Substanzen festgestellt" wurden, käme man auch bei einer Messung an der falschen Stelle -, der Vorfall verdeutlicht die prinzipielle Verschleißträchtigkeit fremdbestimmter Arbeit. Es bedarf schon ausgefeilter repressiver Mechanismen, um Menschen in die Not zu bringen, sich "freiwillig" in Fabriken, Kernkraftwerken, Verwaltungseinrichtungen oder irgendwelchen anderen Lohnarbeitsverhältnissen zu verdingen und einen großen Teil ihres Lebens damit zu verbringen, sich auf diese Zeit ausbildungsmäßig vorzubereiten, anschließend den Arbeitsplatz zu sichern und im Rentenalter die Folgeschäden der Tätigkeiten zu ertragen.

Wer glaubt, daß die Vergesellschaftung den Menschen von existentiellen Nöten befreit hat, sollte sich einmal den gesellschaftlichen Anforderungen verweigern. Dann würde er rasch den gewaltigen Zwangscharakter seiner Lage und den seiner Mitmenschen erkennen, denn die Gesellschaft läßt ein Sich-Außerhalb-Stellen nicht zu. Niemand darf sich vom großen Getriebe emanzipieren, so etwas könnte ja Schule machen.

Schätzungen zufolge ereignen sich jedes Jahr 270 Millionen Arbeitsunfälle; rund 2,2 Millionen Menschen überleben den Unfall nicht oder sterben an berufsbedingten Krankheiten. Das ist aber nur die Spitze der Verwertung menschlicher Physis. Erkrankungen und Todesfälle im Rahmen der Regeneration der Arbeitskraft während der sogenannten Freizeit, die eben genau das nicht ist: frei, sind in diesen Zahlen noch gar nicht enthalten. Ebenso wenig wie das Zunichtemachen an Chancen gezählt wird, sich mit grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz, die über die nackte Überlebenssicherung hinausgehen, befassen zu können.

Es macht keinen nennenswerten Unterschied, ob der im Akw Fukushima Daiichi verstorbene Arbeiter als Folge einer Strahlenbelastung umkam oder als Folge eines systemischen Leistungs- und Leidensdrucks an den Arbeitsplätzen der modernen, mörderischen Industriegesellschaft.

14. Mai 2011