Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1444: Occupy-Bewegung kommt an politischer Positionierung nicht vorbei (SB)



Die Party ist vorüber, meinen die Bürgermeister mehrerer US-Städte und ließen die Zeltlager der Occupy-Bewegung mit zum Teil brutaler Polizeigewalt räumen. Insbesondere im kalifornischen Oakland, wo der Mobilisierungsgrad dieser sozialen Bewegung besonders hoch ist, wurde seitens der Staatsgewalt so heftig zugelangt, daß ein Besetzer aufgrund einer Schädelfraktur, die er erlitten haben soll, nachdem er von einer Blend- oder Tränengasgranate der Polizei am Kopf getroffen wurde, in Lebensgefahr schwebt. Baltimore, Albuquerque, Chicago und Atlanta sind weitere Orte, an denen Dutzende von Aktivistinnen und Aktivisten beim Versuch, den Dauerprotesten auf öffentlichen Plätzen Einhalt zu gebieten, verhaftet wurden. Insgesamt 2500 Aktivistinnen und Aktivisten sollen seit Beginn der Bewegung Mitte September vorübergehend verhaftet worden sein [1].

Um eine Party hat es sich ohnehin niemals gehandelt, selbst wenn Berichte über die bunten Aktionsformen mitunter diesen Eindruck erweckten. Die Protestbewegung in den USA hat im Kontext der Erhebungen in der arabischen Welt, der Riots in Griechenland und Britannien, der Massenaufmärsche empörter Bürger in Spanien und Frankreich von der Wall Street aus auf Hunderte Städte übergegriffen. Die "99 Prozent" fordern die großen Kapitaleigner und ihre Funktionseliten in Staat und Gesellschaft frontal heraus und sind nicht von der Harmlosigkeit einer bürgerlich liberalen Meinungsbekundung, wie von interessierter Seite gerne glauben gemacht wird. Ein Blick auf die diversen Webseiten, die die jeweiligen örtlichen Occupy-Bewegungen eingerichtet haben, verrät, daß die politische Vielfalt des Protestes insbesondere bei den Aktivistinnen und Aktivisten, die die Dauerbesetzungen durchführen, häufig antikapitalistischer Art ist. Es kommt zu Solidaritätsmärschen mit streikenden Arbeitern, und politische Themen wie der Widerstand gegen Polizeigewalt und Willkürjustiz ist in den Reihen der Occupy-Bewegung ebenso zuhause wie die von ihr nicht erst entwickelten, sondern von linken Graswurzelbewegungen adaptierten Formen unhierarchischer Selbstorganisation.

Nicht umsonst erweist sich die Umarmung der Mehrheitsmedien, der NGOs und Vorfeldorganisationen etablierter Parteien als eine strategisch angelegte Form, ihr jeglichen Zahn wirksamer Widerständigkeit zu ziehen. Wenn der stellvertretende Feuilletonchef des Springer Blattes Die Welt, Andreas Rosenfelder, im Deutschlandradio Kultur den angeblichen "Glamour" dieser US-amerikanischen Bewegung feiert, dann nur zu dem Zweck, um jeder ernsthaften antikapitalistischen Opposition die dröge Langeweile ewig gestriger Prinzipienreiterei anzulasten. Wenn der Autor und Fondsmanager Georg von Wallwitz im Politischen Feuilleton des Deutschlandradios Kultur [2] die moralische Integrität der Occupy-Bewegung lobt und sie bei Gefahr ihres Untergangs davor warnt, der Misere, gegen die sie angetreten ist, systematisch und im Detail auf den Grund zu gehen, dann richtet sich das explizit gegen die Wiederkehr einer längst überwunden geglaubten Ideologie linker Egalität.

Der Wunsch, die Occupy-Bewegung möge auf Dauer ein heterogenes Sammelbecken allgemeiner moralischer Empörung bleiben, soll ihren Protest in einer postmodernen Beliebigkeit bannen, die sie auf ein so buntes wie harmloses Ornament zivilgesellschaftlicher Wellen und Moden reduziert. Wie die Entwicklung in den USA zeigt, wo die soziale Not Ausmaße erreicht, die die ganze Grausamkeit einer Liberalität dokumentiert, deren Kernfreiheit darin besteht, sich der Eigentums- und Machtfrage niemals stellen zu müssen, weil die Unantastbarkeit der herrschenden Klasse durch die Passivität der Beherrschten tagtäglich zementiert wird, kämpfen sich ihre Aktivistinnen und Aktivisten beharrlich an einen Punkt vor, an dem der Gesichtslosigkeit abstrakter Verfügungsgewalt die Maske heruntergerissen wird.

Die Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt kann einer Bewegung, die Ernst macht mit der politisch bestimmten Besetzung des öffentlichen Raums, nicht erspart bleiben. Läßt sie sich von der nun ausgeübten Repression nicht beirren und von zweifellos gegebenen Unterwanderungsversuchen nicht zerschlagen, dann wird eine wirksame antagonistische Positionierung nicht auf sich warten lassen. Der Weg in die Analyse herrschender Gewaltverhältnisse ist durch diese vorgezeichnet, und eben das wissen ihre Apologeten. Ihr Verständnis für die Proteste wird in dem Maße abnehmen, in dem deren Radikalisierung zunimmt. Bleibt diese aus, dann braucht vor dem Untergang der Occupy-Bewegung nicht eigens gewarnt zu werden.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/articles/2011/oct2011/occu-o27.shtml

[2] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1588138/

27. Oktober 2011