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REPRESSION/1481: Die Ware Arbeitskraft im Blick des panoptischen Auges (SB)




Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Daß das geplante "Beschäftigtendatenschutzgesetz" nun doch nicht bis Ende Januar durch das Parlament gepeitscht wird, sondern der Innenausschuß des Bundestages die Beratung des seit 2010 in Arbeit befindlichen Gesetzeswerks noch einmal verschoben hat, dürfte kaum terminlichen Schwierigkeiten geschuldet sein. Der Widerstand gegen das Vorhaben, die offene Videoüberwachung in Betrieben und Büros weitreichend zu legalisieren, soll bis in die Reihen der Koalitionsfraktionen reichen. Mit dem geplanten Verbot der heimlichen Videoüberwachung wurde auf mehrere Datenschutzskandale in Großunternehmen wie Lidl, der Bahn und der Telekom reagiert. Im Windschatten dieses Vorhabens wollen die Unionsparteien und die FDP nun die permanente Videoüberwachung der Beschäftigten stark ausdehnen.

Damit werden Lohnabhängige nicht nur unter Verdacht gestellt, sich an firmeneigenem Besitz zu vergreifen, womit die illegale Videoobservation beim Großdiscounter begründet wurde. Sie werden unter dem Vorbehalt der "Qualitätskontrolle", für die die offene Videoüberwachung laut dem überarbeiteten Gesetzesentwurf eingesetzt werden darf, dazu genötigt, optimalen Einsatz bei der Arbeit zu zeigen, um nicht zu riskieren, bei der nächsten Entlassungswelle den Job zu verlieren. Das Recht auf Qualitätskontrolle per Videoüberwachung bietet dem jeweiligen Unternehmen Handhabe dafür, die Beschäftigten rund um die Uhr zu observieren, um die Beschaffenheit der Ware Arbeit selbst und nicht nur die des von ihr gefertigten Produkts zu bewerten.

Zwar behauptet die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, daß die offene Videoüberwachung gerade nicht zur Verhaltens- oder Leistungskontrolle eingesetzt werden dürfe [1], doch kann auch eine Liberale nicht so naiv sein, als ließe sich dies bei der extensiven technischen Überwachung von Arbeitsprozessen verhindern. Weitere Vorbehalte wie die "Wahrnehmung des Hausrechts", der "Schutz des Eigentums", die "Sicherung von Anlagen" oder die "Abwehr von Gefahren" [2] legitimieren eine so umfassende Kontrolle, daß die informationelle Selbstbestimmung der Arbeiterin und des Arbeiters vollends auf dasjenige Feigenblatt schrumpft, zu dem es gegenüber den tiefgreifenden Möglichkeiten informationstechnischer Systeme, jeden noch so entlegenen Winkel vergesellschafteter Existenz ins Scheinwerferlicht der Observateure zu tauchen, geworden ist.

Nun erscheint es nicht besonders erstaunlich, wenn dem Kapital verpflichtete politische Parteien die Zurichtung des Menschen auf die maximale Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft mit solchen wie anderen Mitteln unterstützen. Hinter dem Wunsch, wirksamere Instrumente zur Disziplinierung der Lohnabhängigen in die Hand zu bekommen, steht jedoch ein weniger häufig beim Namen genanntes Argument. Nicht die eigennützige Verwendung von Firmeneigentum oder der Schlendrian am Arbeitsplatz stellen das Geschäftsergebnis grundsätzlich in Frage, werden diese Konflikte doch im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit seit jeher mit bewährten Mitteln ausgesteuert. Wirklich bedroht wird die hierarisch organisierte Mehrwertproduktion, wenn die Lohnabhängigen zum aktiven Widerstand gegen das ihnen aufoktroyierte Zeit- und Leistungsregime übergehen.

Daher sollen schon im Frühstadium individuelle Akte der Sabotage oder Bestrebungen, sich zum wilden Streik zusammenzuschließen, verhindert werden. Dies erfolgt durch die Internalisierung der Rundumobservation zugunsten einer selbstregulativen Anpassungsleistung der Betroffenen als auch durch die Transparenz individuellen Verhaltens und sozialer Beziehungen. Die Liberalisierung des Einsatzes dieser und anderer Kontrollinstrumente geht nicht zufällig mit der fortwährenden Verschlechterung des Lohneinkommens im Verhältnis zum Kapitaleinkommen als auch des Übergangs vom Normalarbeitsverhältnis zu prekarisierten Formen ungeregelter Niedriglohnarbeit einher. Will man die genügsame deutsche Workforce weiterhin als Standortvorteil für das Investivkapital und die Exportwirtschaft nutzen, dann kann dies angesichts der in allen Staaten des globalen Nordens fortschreitenden Entwertung der Arbeit nur mit verschärften Formen der Sozialkontrolle gelingen.

Mit der Legalisierung offener Videoüberwachung wird der qualitative Sprung in die Orwellsche Kontrollgesellschaft denn auch weit effizienter vollzogen, als es mit der Duldung einer rechtlich ungeregelten Grauzone der betrieblichen Observation der Fall wäre. Die im Normalfall permanenter Videoüberwachung vollzogene Unterordnung der Lohnabhängigen nicht nur im Sinne ihrer Verkäuflichkeit, sondern auch ihrer Persönlichkeitsrechte unter das Diktat des Verwertungszwangs leistete qualifizierten Formen der Versklavung durch Arbeit Vorschub. Sich gegen das panoptische Auge zusammenzuschließen fällt schwer, wenn das Sinnesorgan des Kapitalinteresses die Denunziation zum Regelfall des Arbeitslebens macht. Um den Konkurrenten auf diese oder jene Weise in ein schlechtes Licht zu rücken, bedarf es kaum mehr des Spinnens einer Intrige, es reicht aus, ihn vor den unsichbaren Augen Dritter unvorteilhaft dastehen zu lassen.

Auch der Plan, den Unternehmen mehr Einblick in die körperlichen Belange der Arbeiter und Angestellten zu verschaffen, indem sie sich obligatorischen medizinischen Untersuchungen unterziehen, vertieft die Unterwerfung. Die Evaluation der erstandenen Ware Arbeitskraft in Hinsicht auf ihre Anpassungsbereitschaft und Belastbarkeit schafft normgerechte Subjekte der Arbeitsgesellschaft, deren Verfügbarkeit desto mehr zunimmt, als ihnen Eigensinn und Autonomie entzogen werden. Nebenbei wird auf diese Weise deutlich gemacht, daß Arbeit und Zwang nicht voneinander zu trennen sind, sonst bedürfte es keiner Überwachung.

Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/karriere/datenschutz-fuer-arbeitnehmer-verbot-von-heimlicher-videoueberwachung-am-arbeitsplatz-1.1571365

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/gesetz-ueber-datenschutz-am-arbeitsplatz-belauscht-gefilmt-und-gut-gerastert-1.1572098

17. Januar 2013