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REPRESSION/1498: Made in Germany - Gütesiegel auch für Spionage (SB)




Wie man des Pudels Kern beim Namen nennen kann, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen, demonstrierte jüngst Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Korbinian Frenzel auf Deutschlandradio Kultur [1]. Nachdem sich die frühere sozialdemokratische Justizministerin mit ihrem Gesprächspartner zu der Aussage vorgearbeitet hatte, daß Geheimdienste nie demokratiekonform sein können, legte Frenzel mit der Frage nach, ob man sie dann nicht abschaffen müsse. Im Einvernehmen, daß das kein ernstgemeinter Vorschlag sein könne, schwenkte Däubler-Gmelin flugs zu der nebulösen Forderung um, daß man die Dienste zusammenschneiden müsse. Wo eine Krake von Geheimdiensten mit den Internetmonopolisten zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeite, bleibe "nicht nur unsere Privatheit, sondern unsere Freiheit" auf der Strecke, "weil wir manipuliert werden können". Das müsse eine Kanzlerin, die in der DDR groß geworden ist, endlich kapieren und einen "vollständigen Schwenk" in Sachen Datenschutz vornehmen, wie sie das mit der Energiewende getan habe.

Dabei hatte die ehemalige Justizministerin zuvor noch bitter beklagt, daß die Gleichsetzung von Datenschutz mit Täterschutz zu einem "Super-Grundrecht Sicherheit" führe, das allen anderen Grundrechten übergeordnet werde. Die weithin kolportierte These, durch die umfassende Überwachung seitens der NSA seien 50 Anschläge, davon fünf in Deutschland, verhindert worden, zog sie mit den Worten in Zweifel, daß man alles mögliche behaupten könne, wenn man es nicht beweisen müsse, weil es für geheim erklärt werde. Von einer parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste könne keine Rede sein, da sie aus eigener Mitarbeit im Kontrollgremium wisse, daß man dort gegen die Wand fahre. Man erfahre nur das, was man konkret erfrage und die Dienste mitzuteilen bereit seien. Da aber alles geheim sei, bleibe man dabei bereits im Ansatz stecken.

Dieser Erkenntnis ungeachtet postuliert Däubler-Gmelin, man könne Regeln aufstellen und darauf achten, daß sich die Geheimdienste daran halten. Schon zu ihrer Zeit habe man einen Beauftragten für die Geheimdienste gefordert, der viel besser in die Einzelheiten hineinschauen könne und berechtigt ist, dem Kontrollgremium etwas mehr zu sagen. Wie das angesichts des unangetasteten Grundwiderspruchs zwischen Geheimdienst und Demokratie funktionieren soll, kann und will die frühere Ministerin nicht sagen, zumal es ihr um etwas ganz anderes geht. Die Geheimdienste müßten "eingefangen werden", weil wir hier "Freiheit und nicht NSA" haben wollen: "Wir brauchen ein europäisches Modell, das wir dem der Amerikaner deutlich entgegenstellen."

Daß die Deutschen von den Amerikanern hintergangen und gegen ihren Willen über den Tisch gezogen würden, erweist sich als nächsthöhere Stufe der Verschleierung, wie ein Blick in die diesbezügliche Geschichte zeigt. Die US-Geheimdienste haben in Deutschland freie Hand und dürfen mit dem Wissen und Segen der Bundesregierung im Prinzip alles machen, weil dies von der Rechtslage gedeckt und im Zuge einer intensiven Zusammenarbeit der Dienste gewollt ist. Im Jahr 1963 verpflichteten sich Deutschland und die Alliierten in einem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut zu engster Zusammenarbeit bei der Sammlung, dem Austausch und dem Schutz von Nachrichten. Das Abkommen wurde von geheimen Vereinbarungen und einem strikten Geheimhaltungsgebot begleitet. [2]

Die West-Alliierten gaben die Überwachung 1968 zwar offiziell an Deutschland ab, behielten sich aber in einer völkerrechtlich verbindlichen geheimen Zusatznote das Recht vor, weiterhin eigene Überwachungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Streitkräfte durchzuführen. Gleichzeitig wurde Artikel 10 des Grundgesetzes derart eingeschränkt, "dass es ein Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses nicht mehr gibt". Truppenstatut, Verwaltungsvereinbarung und geheime Note haben auch die Wiedervereinigung überdauert und gelten noch heute.

Die NSA unterhält derzeit in Deutschland mindestens drei Standorte - in Darmstadt, Wiesbaden und Stuttgart - wobei deren Tätigkeit der Geheimhaltung unterliegt. Man darf annehmen, daß die dort arbeitenden NSA-Leute in Ausspähprogramme wie "Prism" eingebunden sind. Zugleich herrscht ein wechselseitiger reger Austausch mit den deutschen In- und Auslandsgeheimdiensten. So haben die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamts für Verfassungsschutz eingestanden, von einem Datenerfassungsprogramm der NSA Kenntnis zu haben. Wie Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen beteuerte, habe man die amerikanische Software lediglich erprobt und nur in Einzelfällen möglicherweise auch genutzt, wobei man sich "strikt an seine gesetzlichen Befugnisse" halte. [3]

Dieses zähneknirschende und in die nächste Ausflucht mündende Eingeständnis war unvermeidlich, nachdem publik wurde, daß die NSA das Softwareprogramm "XKeyscore" dem BND zur Verfügung gestellt hat, der wiederum den Verfassungsschutz in der Anwendung unterweisen soll. Das Programm sammelt demnach nicht selbst neue Kommunikationsdaten, kann aber vorhandene Daten so verknüpfen, daß zusätzliche Informationen über einzelne Nutzer von Internetdiensten entstehen - etwa, welche Begriffe sie in Suchmaschinen eingegeben haben. Zudem sei das System in der Lage, für mehrere Tage einen "full take" aller ungefilterten Daten aufzunehmen - also neben den Verbindungsdaten zumindest teilweise auch Kommunikationsinhalte. Das ist aus deutscher Perspektive auch deshalb relevant, weil von den monatlich rund 500 Millionen Datensätzen aus Deutschland, auf die die NSA Zugriff haben soll, ein großer Teil von "XKeyscore" erfaßt wird.

Nach Angaben von Mitarbeitern der NSA betrieb BND-Präsident Gerhard Schindler mit "Eifer" eine Vertiefung der Kooperation. Der BND habe daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, daß sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienstinformationen zu schaffen. Ende April war eine zwölfköpfige hochrangige BND-Delegation zu Gast bei der NSA und traf dort mit diversen Spezialisten für Datenbeschaffung zusammen. [4]

Daß sich die Abhörmaßnahmen der NSA und der deutschen Geheimdienste gegen die eigene Bevölkerung richten, ist so naheliegend, daß sich Politik und Konzernmedien zu einem Sperrfeuer immer neuer Nebelkerzen irreführender Bezichtigung veranlaßt sehen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die als Bundesjustizministerin die öffentlichen und geheimen Verträge kennen muß, die es der NSA erlauben, in Deutschland zu spionieren, empört sich dennoch über deren Abhöraktionen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel entrüstet sich über den "Verrat an unseren Grundwerten" und ruft zum Kampf gegen den "Datenkapitalismus" auf, obgleich es sein Parteifreund Otto Schily war, der als Innenminister der Regierung Schröder wie kein anderer den Geheimdienst- und Sicherheitsapparat gestärkt und ein in der Verfassung nicht existierendes "Grundrecht auf Sicherheit" proklamiert hat. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der auch Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste ist, will Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) befragen, ob und inwieweit dieser die Bundeskanzlerin über die Aktivitäten des BND informiert habe. Sollte es zutreffen, daß die deutschen Dienste das amerikanische Softwareprogramm nutzen, sei die Glaubwürdigkeit Merkels "bis ins Mark erschüttert". Jakob Augstein empfiehlt den Deutschen gar, sich nicht länger dem Joch fremder Macht zu beugen, da Deutschland endlich seine Rolle als eine der mächtigsten Nationen der Welt annehmen müsse.

Die Opposition wirft der Bundesregierung Passivität und Servilität gegenüber Washington vor, zeiht die Kanzlerin gar der Lüge. Die Regierung attestiert den Rot-Grünen abgrundtiefe Scheinheiligkeit, hätten diese doch seinerzeit maßgeblich auf den Weg gebracht, worüber sie sich heute empörten. So dient das große Hauen und Stechen neben dem profanen Wahlkampf vor allem einem dreifaltigen Zweck: Die Geheimdienste für sakrosankt zu erklären, ihre Arbeit zu perfektionieren und ihre entufernden Eingriffe zu legalisieren.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/2183402/

[2] http://www.wsws.org/de/articles/2013/07/11/fosc-j11.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ueberwachung-verfassungsschutz-und-bnd-testen-nsa-spaehprogramm-12289836.html

[4] http://www.welt.de/politik/ausland/article118235142/US-Spaehsoftware-im-Dienst-deutscher-Geheimdienste.html

21. Juli 2013