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REPRESSION/1506: Mobiltelefone scharf gemacht (SB)




Die Aufregung um das Handy der Bundeskanzlerin fördert allerlei Beschwichtigungen und Verharmlosungen zutage. Je lauter das Crescendo der Empörung erschallt, desto leiser werden die Stimmen, die etwas zu der Abhöraffäre zu sagen hätten, das nicht von der Enttäuschung über vermeintliche Freunde und angeblich überraschende Sicherheitsrisiken handelte. Diese stellten stets eine Bedrohung dar, weil sie seit jeher gegen die Bevölkerung in Stellung gebracht werden, und zwar nicht zuletzt im Namen jener Regierungen, die sich nun über die eigene Ausspähung beschweren. Somit hat die Spionagebehörde NSA durchaus zur Aufklärung über die politische Logik deutscher und europäischer Herrschaftssicherung beigetragen.

Es war schon eine Posse besonderer Art, als sich Bundesinnenminister Jörg Friedrich in Washington von in eigener Sache kundiger Stelle versichern ließ, daß nichts dran sei an der massenhaften Ausspähung deutscher Bürger durch US-Geheimdienste. Als Kanzleramtsminister Ronald Pofalla bald darauf die NSA-Spähaffäre für beendet erklärte, wirkte er nicht minder wie eine Marionette, deren Mundbewegungen den O-Ton des Großen Bruders rezitieren. So etwas hat zwar Unterhaltungswert, geht aber am Kern des Problems staatlicher Repression vorbei. Denn diese tritt nicht nur als Potential zur möglichen Anwendung exekutiver Gewalt in Erscheinung, wie etwa beim Thema Vorratsdatenspeicherung diskutiert, sondern hat die Klauen längst ausgefahren.

Die Handyortung ist ein bewährtes Mittel zur Steuerung von Lenkwaffen in Ziele, bei denen Menschen in nominell neutralen Staaten wie Pakistan oder Jemen "hingerichtet" werden. Die offizielle Sprachregelung geht mit leichter Hand darüber hinweg, daß es sich um Mord im staatlichen Auftrag handelt, wenn Menschen ohne jegliches Gerichtsverfahren auf der Basis bloßer Mutmaßungen ihres Lebens beraubt werden. Die kritische Anmerkung, daß dabei "unschuldige Zivilisten" als sogenannte Kollateralschäden ums Leben kämen, suggeriert im Fall sogenannter Terrorverdächtiger, daß es sich um Schuldige handele und diese Praxis damit im Sinne sicherheitspolitischer Präventivlogik vielleicht nicht ganz rechtsstaatlich sei, aber doch in Ordnung gehe.

Wenn die von der NSA massenhaft gesammelten Verbindungsdaten künftig dazu führen, daß sogenannte Terrorverdächtige auch in den USA mit von Drohnen abgefeuerten Raketen umgebracht werden, dann ist das die logische Konsequenz einer exekutiven Ermächtigung, die die betroffenen Menschen mit dem über sie gefällten Todesurteil von vornherein ins Unrecht setzt. Wird die Anmaßung, dies zu tun, für rechtens erklärt, dann nimmt sie den Charakter diktatorischer Handlungsgewalt an. Erlangt also eine Regierung, zu deren Machtmitteln gehört, überall auf der Welt zu jeder Zeit mißliebige Personen eliminieren zu können, nach Belieben Zugriff auf die Verbindungsdaten sogenannter Freunde, dann haben diese allen Grund, bei etwaigen Konflikten im bilateralen Verhältnis unliebsame Überraschungen zu befürchten.

Eine solche Konsequenz der datenelektronischen Observation wird auch deshalb in den Bereich des Undenkbaren gerückt, weil die Bundesrepublik selbst Verbindungsdaten von Opfern derartiger Angriffe an US-Dienste weitergereicht hat. Seit Beginn der vergeblich dementierten Spähaffäre steht die Frage im Raum, inwiefern Erkenntnisse deutscher Nachrichtendienste an die Kollegen in den USA fließen respektive man hierzulande von der dort betriebenen Ausspähung der Bundesbürger profitiert. Das ganze Ausmaß der internationalen Geheimexekutive wird nur schemenhaft deutlich und ist gebrochen durch Interessengegensätze, an denen in Zeiten der Krise des Kapitals zwischen EU und USA kein Mangel herrscht.

Diese Divergenzen sind derzeit Gegenstand der Verhandlungen um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das völlig ungerührt von der Ausspähung der eigenen Seite durch US-Dienste fortgesetzt wurde. Schon zu Beginn der NSA-Affäre wurde deutlich, daß man sich - bei allen Reibungen gegenseitiger Übervorteilung - darin handelseinig ist, daß dies vor allem zu Lasten sozialer Garantien und demokratischer Kontrolle gehen soll. Um neue Sphären der Investition und Kapitalverwertung zu erschließen, muß allerdings ein Modus gefunden werden, die bereits jetzt durch Spardiktat und Sozialabbau, durch Privatisierung und Liberalisierung ihrer Rechte und Ressourcen beraubten Gesellschaften von ihrem Glück zu überzeugen, mehr vom Gleichen aufoktroyiert zu bekommen. Dazu bietet sich an, Lohnabhängige und Versorgungsbedürftige, Kulturinstitutionen und Sozialverbände, Parteien und Umweltorganisationen so weit wie möglich im Unklaren über das zu lassen, was bei seiner Realisierung unumkehrbar installiert sein soll.

Im Schwange des jetzt bekanntgewordenen Einbruchs in die Telekommunikation der Kanzlerin werden erstmals Stimmen in den Kreisen bisheriger und künftiger Regierungspolitiker laut, die eine Fortsetzung der Verhandlungen zum TTIP unter diesen Umständen in Frage stellen. Dementsprechende Äußerungen etwa des SPD-Chefs Sigmar Gabriel erwecken allerdings den Eindruck, zu erwartender Kritik am verschwiegenen Charakter des Projekts zuvorkommen zu wollen.

In beiden Fällen, der großen Einigkeit der NATO-Partner bei der operativen Durchführung sogenannter extralegaler Hinrichtungen wie dem gemeinsamen Interesse von EU und USA, dem Kapital neue, gegen den Einfluß Dritter wie den Schwellenstaaten abgeschottete Anlage- und Profitchancen zu gewähren, erfreute man sich bisher eines öffentlichen Desinteresses, das nur als prinzipielle Zustimmung zu werten war. Daß sich daran künftig viel ändert, ist nicht zu erwarten, doch sind die Brüche zwischenimperialistischer Konkurrenz auch durch den Versuch, sie zu Lasten der eigenen Bevölkerungen zu kitten, nicht mehr zu übersehen. Zusätzliche Anlässe, um Krieg und Krise zu beschwören, braucht niemand, doch wäre es für die Erwirtschaftung neuer Legitimation durchaus sinnvoll, das fadenscheinig gewordene Mäntelchen antiterroristischen Handlungsbedarfs durch ein neues, in den Farben der Saison kleidsameres Gewand zu ersetzen. Syrien, Iran, Afghanistan, soziale Bewegungen, politische Proteste - an Anlässen, nach der Staatsgewalt zu rufen und ihre Kritiker als Sicherheitsrisiken darzustellen, mangelt es gerade unter Freunden nun wirklich nicht.

25. Oktober 2013