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REPRESSION/1513: Im Gefahrengebiet des alltäglichen Normalzustands (SB)




Die polizeiliche Ausweisung von Gefahrengebieten in der Hansestadt Hamburg wird informell seit den 1990er Jahre praktiziert und wurde 2005 gesetzlich verankert. Was jüngst bundesweit Beachtung fand und bis auf eine angekündigte Verkleinerung des Gefahrengebietes weiterhin in Kraft ist, stellt mithin keine außergewöhnliche Neuerung dar. Es ist die Zuspitzung alltäglicher Repression im demokratischen Sicherheitsstaat, der längst dazu übergegangen ist, den Interessen des Kapitals politisch mit Hilfe von Kreditgarantien und Vergünstigungen aller Art zu entsprechen und sie gegen das Gros der Lohnabhängigen und Ausgegrenzten durchzusetzen. Eine unabhängige Sphäre des Politischen, in der sich über alles reden ließe, selbst über die Aufhebung der Hegemonie des Kapitals, existiert nicht mehr. Die jeglicher Deckung in der materiellen Produktion enthobene Akkumulation ist nicht mehr anders zu gewährleisten als durch die Umverteilung der dabei aufkommenden Verluste nach unten wie die Unterdrückung der dagegen gerichteten Proteste.

Unter dem Trugbild einer friedlichen Ordnung werden andernorts soziale Katastrophen bewirkt, während man den Eindruck erweckt, die wirklich gravierende Eskalation der Armut und des Hungers bleibe draußen vor der Tür. So haben Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher im Verhältnis zur griechischen Bevölkerung, wo über eine Million Erwerbslose keinerlei soziale Sicherung mehr erhalten, tatsächlich noch etwas zu verlieren. Aus der Logik des kleineren Übels die Konsequenz vorauseilender Unterwerfung zu ziehen ist keine anthropologische Grundkonstante und muß daher immer wieder neu erzwungen werden. So haben die starken Proteste gegen den Umgang der Hamburger Stadtregierung mit den Lampedusa-Refugees, etwa ein rudimentäres Gefahrengebiet um die St-Pauli-Kirche mit Hilfe gezielt gegen die Flüchtlinge gerichteter Polizeikontrollen einzurichten [1], daran erinnert, daß der Frieden der Fleischtöpfe auch hierzulande nicht sicher ist.

Ihn zu schützen erfordert außergewöhnliche Maßnahmen im sprichwörtlichen Sinne. Räumlich umgrenzte Formen des polizeilichen Ausnahmezustands entsprechen dem Wandel der klassischen Industriegesellschaft zu einer in den Metropolen zentrierten Bewirtschaftung der Bevölkerung durch kostensenkende Dienstleistungsproduktivität und mangelgestützte Regulation sozialen Elends. Wenn die Verluste des schuldengetriebenen Finanzkapitalismus drohen, nicht mehr widerstandslos hingenommen zu werden, dann ist die nach Beendigung des Klassenkompromisses zusehends in Frage gestellte Befriedung der Bevölkerung mehr als eine Aufgabe unter vielen. Die Begleichung der menschlichen Kosten des kapitalistischen Krisenmanagements obliegt dem Staat, weil seine Existenz nach herrschender Auffassung nur im Rahmen dieser Produktionsweise fortgeschrieben werden kann.

Dabei ist es unerheblich, ob im gleichen Atemzug, da antikapitalistische Proteste in der Bundesrepublik kriminalisiert werden, aufstandsartige Bewegungen in den Expansionszonen der EU als antitotalitäre Befreiungsakte gefeiert werden. Die Staatsräson hat in beiden Fällen recht, findet die Unterstützung unternehmerischer Aktivitäten in aller Welt in der Unterdrückung sozialer "Risikogruppen" und linker "Extremisten" im eigenen Land doch ihre logische Entsprechung. Proteste gegen die vom Staat geschützte Eigentumsordnung werden - wie die Blockupy-Demonstration in Frankfurt - verboten oder in Richtung einer Eskalation getrieben, die zu weiteren Maßnahmen Anlaß gibt.

Dem Erhalt der Roten Flora als selbstverwaltetes Kulturzentrum stehen die Nutzungsansprüche des Eigentümers entgegen, und die Polizei hat die zur Verteidigung dieses Freiraums gedachte Demonstration am 21. Dezember frühzeitig gestoppt. Die sich daran anschließenden Auseinandersetzungen wurden allem Anschein nach in Kauf genommen und finden in der Ausrufung des Gefahrengebiets nach einem in der anfangs behaupteten Form gar nicht stattgefundenen Angriff auf die Davidswache ihren konsequenten Nachhall. Die permanente Präsenz starker Polizeikräfte in Kampfmontur in mehreren Hamburger Stadtteilen übt auf Menschen, die für einen öffentlichen Protest keine mögliche Kriminalisierung in Kauf nehmen wollen, allemal einschüchternde Wirkung aus. Je mehr Menschen auf die Teilnahme an Demonstrationen verzichten, in denen zur Überwindung des innigen Verhältnisses zwischen Staat und Kapital aufgerufen wird, desto erfolgreicher lassen sich entschieden antikapitalistische Gruppen isolieren.

Im Oktober 2013 wurden die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) der Bundeswehr in der Hamburger Hafencity in Dienst gestellt. Zwar wurde der bewaffnete Heimatschutz, der laut der Konzeption der Reserve 2011 "Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand" [2] übernehmen soll, noch nicht gegen Demonstrantinnen und Demonstranten eingesetzt. Die Bereitstellung derartiger Truppen in einer Großstadt belegt jedoch die Neigung, den seit langem erhobenen politischen Forderungen nach Einsatz des Militärs im Innern Folge zu leisten. So weicht der Ausnahmezustand verschärften Zugriffs auf vermeintliche Störer im Rahmen präventiver Gefahrenabwehr im Innern Zug um Zug einer Normalität exekutiver Praxis, in der die Frage, in welcher Gesellschaft die Menschen überhaupt leben wollen, keine Bedeutung mehr haben soll.

Die im Gefahrengebiet geprobte Verteidigung des demokratischen und rechtstaatlichen Normalzustands hinkt der ohnehin gegebenen Klassenherrschaft hinterher und kann die Entwicklung administrativer Verfügungsgewalt, die den systematisch vereinzelten und atomisierten Menschen auf vielerlei Wegen und anhand zahlreicher Methoden ihrer Kontrolle unterwirft, erst recht nicht verhindern. Ohne die entschiedene Analyse und Kritik der durch räumlich selektive Repression zu vollziehenden Widerspruchsregulation kann das alltägliche Gefahrengebiet des gesellschaftlichen Normalzustands nicht erkannt und überwunden werden. Nicht das staatliche Gemeinwesen läuft Gefahr, von radikalen Außenseitern zerstört zu werden, sondern die angeblich sein souveränes Subjekt stellende Bevölkerung ist gefährdet, ihrer verfassungsrechtlichen Stellung und Freiheit zur selbstbestimmten Veränderung der staatsrechtlichen Grundlagen enthoben zu werden.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0033.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0166.html

Ausführlich zur Eskalationslogik des Konfliktes um die Rote Flora:
DILJA/1411: Der Verschärfung zugespielt? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/polm1411.html

12. Januar 2014