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REPRESSION/1555: Merkel macht Dampf - Abschieben im Turbogang (SB)



Vor wenigen Wochen verriet die Kanzlerin Parteifreunden, was sie für eine der größten Herausforderungen in der Migrationspolitik hält: "Für die nächsten Monate ist das Wichtigste Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung", sagte sie im Unionsfraktionsvorstand. [1] Mit dieser Devise steht Angela Merkel nicht allein. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl, unterstützt das Vorhaben. "Vorrang hat die freiwillige Ausreise, die wir fördern. Aber es muss auch Abschiebungen geben." Zentren zur Unterstützung der Rückkehr seien akzeptabel. "Was wir nicht mitmachen, ist irgendeine Form von Lager." [2] Eine rudimentäre Sprachakrobatik ist schon gefragt, wenn es gilt, das Offensichtliche mit Euphemismen zu garnieren: Alle wissen Bescheid, reden aber angeblich über etwas ganz anderes, das man mit dem hierzulande historisch belasteten Tabubegriff keinesfalls vergleichen könne.

Mit von der Partie ist auch FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Sie fordert die Länder auf, abgelehnte Asylbewerber konsequenter abzuschieben. "Wer das Asylrecht sichern will, darf aus ihm nicht einen allgemeinen, voraussetzungslosen Einwanderungsweg nach Deutschland machen, indem er nach einem erfolglosen Asylantrag nicht abschiebt." Das Asylrecht müsse erhalten bleiben für tatsächlich Verfolgte und dürfe nicht ein Quasi-Einwanderungsrecht werden. Das soll wohl heißen: Wer verfolgt wird, bestimmen immer noch wir, und Leute, die unverdient am hiesigen Wohlstand partizipieren wollen, sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst.

Da dürfen die Grünen nicht zurückstehen. Cem Özdemir lehnt zwar Abschiebungen nach Afghanistan ab, hat aber mit anderen Zielorten zumindest prinzipiell keine Probleme: "Die Leute, die sie abschieben sollten, nämlich Menschen aus den Maghreb-Staaten, die bei uns ihr Aufenthaltsrecht verwirkt haben", könnten sie nicht abschieben, weil sie keine Rücknahmeabkommen mit diesen nordafrikanischen Ländern verhandelt bekämen. "Das Problem kriegen sie nicht gelöst, dann schieben sie ersatzweise nach Afghanistan ab." Genervt die dumm-dreiste Koalition abwatschen und mit Pseudokritik den gewiefteren Administrator mimen, sollte doch geeignet sein, die überlegene Regierungsfähigkeit der Grünen ins rechte Licht zu rücken.

Warum die plötzliche Eile? In den kommenden Monaten werde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge "fortlaufend eine hohe Zahl von Asylanträgen von Personen ablehnen, die keines Schutzes in Deutschland bedürfen", heißt es in einem 16-Punkte-Plan der Kanzlerin. "Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird dadurch 2017 weiter steigen. Es bedarf deshalb einer nationalen Kraftanstrengung, um zusätzliche Verbesserungen in der Rückkehrpolitik zu erreichen." Diese Wortwahl, zumal die "nationale Kraftanstrengung", dürfte der deutschen Seele schmeicheln, weshalb sich auch der Bundesinnenminister ihrer bedient. Jeder müsse nun seine Verantwortung übernehmen und mehr für Abschiebungen tun. Das gelte auch für Afghanistan: "Wir machen das behutsam, verantwortungsvoll, und wir machen das in sichere Gegenden", so Thomas de Maizière. "Aber generell darauf zu verzichten, das geht nicht." [3] Da es bekanntlich in Afghanistan keine sicheren Gegenden gibt, wie der Bundesinnenminister vom UN-Flüchtlingshilfswerk auf seine eigene Anfrage hin erst kürzlich erfahren hat, meint er wohl im Klartext: Die erhabene Schönheit deutscher Bürokratie und deren formblattvollendete Erfüllung darf nicht an kleinlichen Bedenken scheitern, wenn es in Deutschland wieder einmal gilt, Menschen massenhaft zu verwalten, zu manövrieren und zu entsorgen.

Was sieht Merkels Schlachtplan an der Flüchtlingsfront im wesentlichen vor? Wer voraussichtlich keinen Anspruch auf Asyl erhält, soll in zentralen Einrichtungen untergebracht werden. Die Länder sollen ihre Verantwortung auch an den Bund abgeben können, hierfür ist von Bundesausreisezentren die Rede. Auch ein neues "Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr" (ZUR) von Bund und Ländern wird erwogen, etwa zur Erleichterung von Sammelabschiebungen. Um Anreize für eine freiwillige Rückkehr zu schaffen, sollen Betroffene um so mehr Geld bekommen, je früher sie sich für eine Rückkehr entscheiden. Eine Rückkehrberatung soll flächendeckend möglichst früh einsetzen, für Asylsuchende aus Staaten mit geringer Schutzquote möglichst unmittelbar nach der Ankunft. Auch soll das Prozedere, mit dem Ärzte die "Reisefähigkeit" vor einer Abschiebung feststellen, "mit dem Ziel einer Beschleunigung verbessert werden". Zudem sollen Ausreisepflichtige, von denen eine erhebliche Gefahr ausgeht, leichter in Abschiebehaft kommen können und es soll einfacher möglich sein, sie zu überwachen. Und schließlich soll der Ausreisegewahrsam für Ausländer von vier auf zehn Tage verlängert werden. [4]

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert die Pläne der Kanzlerin als "brutale Entmutigungs- und Vergrämungspolitik gegen Asylsuchende". Das Ziel sei nicht, die Menschen über die für sie beste Perspektive zu beraten, sondern sie abzuschieben. Die Regierung wolle Eilverfahren durchsetzen und dabei Standards des Asylrechts mißachten. Bei der Ablehnung von Asylanträgen gebe es heute schon viele Fehlentscheidungen, so Geschäftsführer Günter Burkhardt. Er warnt vor Rückkehrprogrammen mit Syrien, Afghanistan, Eritrea oder dem Irak. Für Flüchtlinge aus diesen Ländern gebe es eine hohe Schutzwürdigkeit. Zudem sei eine Vermischung von Bundes- und Länderkompetenzen bei Abschiebungen problematisch. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spart nicht mit klaren Worten: "Wir sollten uns davor hüten, unsere Werte und Rechtsauffassung durch politischen Aktionismus zu opfern, nur um einige Tausend Menschen ohne Bleibeperspektive vielleicht einige Wochen schneller aus dem Land zu bekommen", so GdP-Chef Jörg Radek. Rechtsstaatlichkeit sei auch im Wahljahr wichtig. [5]

Mit der von Kritikern als "Hau ab"-Prämie bezeichneten "Starthilfe plus" sollen Menschen mit wenig Chancen auf Asyl unter Druck gesetzt werden, möglichst noch vor dem Ende ihres Asylverfahrens Deutschland wieder zu verlassen. "Rückreisegeld" bekommen nur Antragsteller, die "mittellos" sind und nicht aus dem Westbalkan oder aus Syrien stammen. Zwei "Tarife" sind vorgesehen: Wer seinen Asylantrag zurückzieht, noch bevor darüber entschieden wurde, bekommt 1.200 Euro. Für Asylbewerber, die erst nach der Ablehnung ihres Antrags, aber noch innerhalb der Ausreisefrist, Deutschland verlassen, gibt es 800 Euro - vorausgesetzt sie legen keine Rechtsmittel ein und verpflichten sich, auch wirklich vor Ende der Frist zu gehen. Kinder unter zwölf Jahren bekommen jeweils die Hälfte des Geldes, für Familien ab vier Personen gibt es Zuschläge. [6]

"Für alle, die in Deutschland keine Bleibeperspektive haben, stellt die freiwillige Ausreise gegenüber einer Abschiebung den besseren Weg dar", zitiert Bundesinnenminister de Maizière die Logik des kleineren Übels. Dabei liegt auf der Hand, daß diese Regelung nicht zuletzt Klagen gegen einen Asylbescheid verhindern soll. Von einer Reintegration ins Herkunftsland kann ohnehin keine Rede sein, da es dafür keine effektiven Hilfen gibt. Warum die Bundesregierung in das "Rückreisegeld" investiert, zeigen offizielle Schätzungen des Bundesamtes. Demnach haben 2016 rund 55.000 Flüchtlinge Deutschland freiwillig verlassen, 20.000 mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der Abschiebungen lag demgegenüber mit rund 25.000 weit darunter. Für den Staat rechnet sich die Förderung freiwilliger Ausreisen, da eine Abschiebung deutlich teurer ist. So lagen die Kosten für die umstrittene Sammelabschiebung von 34 Afghanen Mitte September laut Bundesinnenministerium bei etwa 350.000 Euro, Personalkosten der Bundespolizei nicht eingerechnet.

Eine aufschlußreiche programmatische und inhaltliche Klarstellung zur Flüchtlingspolitik liefert Sabine Lösing, Europaabgeordnete der Linkspartei, in einem Gastkommentar der "jungen Welt". [7] Wie sie ausführt, stehe klipp und klar im Programm ihrer Partei, daß die Grenzen Deutschlands und Europas für verfolgte Menschen offen zu sein haben. Das gelte auch für diejenigen, die vor Armut und Hunger fliehen. Manche Diskussionsbeiträge zu dieser Problematik seien aus der Sorge gespeist, wie ein weiterer Rechtsdrall der europäischen Gesellschaften zu verhindern sein könnte. In dieser zentralen Frage der aktuellen linken Strategiedebatte dürfe man nicht ausschließen, daß sich enttäuschte Wähler linken Positionen zuwenden. Deshalb versuchten die Herrschenden, links und rechts in einen Topf zu werfen. Daher gelte es zum einen, offen für die Sorgen und Nöte der Menschen zu sein, die sich nicht anders Gehör zu schaffen glaubten, als sich mit den Verantwortlichen für die soziale Not gemein zu machen. Zum anderen dürfe man jedoch niemals Spielraum für eine Neu- oder Uminterpretation linker Positionen wie des Asylrechts ohne Obergrenze oder der Forderung nach offenen Grenzen geben. Zugeständnisse an die Rechten seien ein fataler Fehler, nährten sie doch nur falsche Schlußfolgerungen, daß Zugewanderte die Ursache für soziale Verwerfungen seien. Die Frage nach den wesentlichen Widersprüchen in dieser Gesellschaft werde so verdrängt, und das nütze nur den Herrschenden.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-will-zahl-der-abschiebungen-mit-16-punkte-plan-erhoehen-a-1133615.html

[2] http://www.shz.de/deutschland-welt/politik/de-maiziere-fordert-gemeinsame-kraftanstrengung-bei-abschiebungen-id16061786.html

[3] https://www.welt.de/newsticker/news1/article161932653/De-Maiziere-nimmt-Laender-bei-schnelleren-Abschiebungen-in-die-Pflicht.html

[4] http://www.zeit.de/news/2017-02/09/fluechtlinge-mehr-abschiebungenworueber-bund-und-laender-verhandeln-09084205

[5] http://www.deutschlandfunk.de/asylpolitik-merkel-und-ministerpraesidenten-beraten-ueber.1818.de.html

[6] http://www.deutschlandfunk.de/asylpolitik-geld-gegen-rueckkehr.1818.de.html

[7] junge Welt, 9. Februar 2017, S.8

9. Februar 2017


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