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REPRESSION/1700: Ahmaud Arbery - die Mühlen des Gesetzes ... (SB)



Das in den USA durch keine noch so blutige Schulschießerei zu erschütternde Recht auf Waffenbesitz wäre vielleicht ein weniger großer Streitfall, wenn nicht auch noch die Gesetze, die Schußwaffengebrauch zur Selbstverteidigung legitimieren, so ausgelegt wären, daß vor Gericht in vielen Fällen zugunsten der schießenden und nicht der erschossenen Person entschieden wird. Der gewaltsame Tod des 17jährigen Afroamerikaners Trayvon Martin, der am 26. Februar 2012 in Sanford, Florida, von dem damals 28jährigen George Zimmerman auf dem Rückweg von einem Einkauf erschossen wurde, löste damals US-weite Proteste aus und wurde weltweit wahrgenommen. Zimmerman wurde von jedem Vorwurf freigesprochen, weil er im Sinne des Stand-your-ground-Gesetzes seines Staates gehandelt habe.

Mehr als die Hälfte aller US-Bundesstaaten verfügen über Gesetze dieser Art, die bewaffnete Selbstverteidigung legitimieren, auch wenn die Person mit der Schußwaffe sich räumlich aus der Konfrontation zurückziehen könnte. In gewisser Weise stehen Stand-your-ground-Gesetze in der Tradition in Hollywood-Western zelebrierter Auseinandersetzungen, bei denen keiner nachgeben will, bis es zum Shootout, dem für einen Beteiligten tödlich endenden Duell auf der Hauptstraße mitten im Ort kommt. Trayvon Martin allerdings war unbewaffnet, schien aber als junger Schwarzer mit Hoodie so verdächtig zu sein, daß sein Tod von der sechsköpfigen Jury billigend in Kauf genommen wurde. Zimmerman, der später in zwei Fällen zum einen seine Ex-Frau, zum andern eine Freundin mit der Waffe bedrohte, ohne daß gegen ihn ermittelt wurde, verkaufte die Tatwaffe 2016 in einer öffentlichen, von landesweiter Beachtung begleiteten Auktion nach eigenen Angaben für 250.000 Dollar. Sein Ruf als selbsternannte "amerikanische Schußwaffenikone" zahlt sich bis heute zumindest in Form von Medienaufmerksamkeit aus.

Am 23. Februar 2020 wurde der 25jährige Afroamerikaner Ahmaud Arbery in Satilla Shores, einem kleinen Ort nahe bei Brunswick, Georgia, erschossen, nachdem er beim Joggen auf der Straße von Travis McMichael und seinem Vater Gregory McMichael aufgehalten wurde. Der Ex-Polizist und sein Sohn überholten Arbery in ihrem Pickup Truck und versuchten ihn zu stoppen. Der Jogger lief um ihr Auto herum und versuchte davonzukommen, wurde jedoch von Travis McMichael daran gehindert. Arbery versuchte sich zu wehren, doch McMichael gab drei Schüssen aus seiner Schrotflinte auf ihn ab. Das inzwischen von der Tat vorliegende Handyvideo vermittelt den Eindruck, daß der erste Schuß abgefeuert wurde, bevor die beiden Männer in ein Handgemenge gerieten.

Nach der Veröffentlichung des Tatvideos, das aus einem hinter dem Pickup Truck fahrenden Auto aus aufgenommen wurde, am 5. Mai auf einer lokalen Webseite wurden die beiden Tatverdächtigen verhaftet. Sie sollen einer Grand Jury überantwortet werden, die über eine Anklageerhebung in ihrem Fall entscheidet. Zuvor hatte die für den Landkreis Glynn County zuständige Staatsanwaltschaft in Brunswick zweimal eine Verhaftung der Tatverdächtigen unter Verweis auf das Citizen-Arrest-Gesetz des Bundesstaates Georgia verhindert. Das sieht die Verhaftung eines Tatverdächtigen vor, wenn zur Verfolgung der begangenen Straftat keine Polizei zugegen ist.

Das Betreten einer Baustelle, auf der nichts entwendet wurde, durch den Jogger reichte den beiden McMichaels als Anlaß aus, eine vermeintliche Flucht Arberys mit Waffengewalt zu verhindern. Zwar sieht die sogenannte Bürgerverhaftung die Verwendung einer Schußwaffe nicht explizit vor, doch der zuständigen Staatsanwaltschaft reichte dieses Gesetz als Rechtsgrundlage dafür aus, die Erschießung eines Menschen rechtlich folgenlos abzuheften. In ihren Augen handelte es sich bei der Tötung des Joggers um die Folge des legalen Versuchs, eigenständig eine Verhaftung in Abwesenheit der Polizei vorzunehmen. Tatsächlich jedoch geschah nichts anderes, wie dem Tatvideo zu entnehmen ist, als daß ein Mann eine Straße herunterläuft, dabei aufgehalten und erschossen wird. Das Beispiel zeigt, daß auch der Citizen Arrest Wasser auf die Mühlen einer Waffenlobby ist, die mit ihren Revolvern und Gewehren nicht nur abschrecken, sondern auch zur Tat schreiten will.

Da der Vater des Schützen Travis McMichael, Gregory McMichael, 22 Jahre bis zu seiner Pensionierung als Polizist für das Büro des Staatsanwaltes von Brunswick gearbeitet hatte, liegt der Verdacht eines Falles illegitimer Begünstigung nahe. Zudem hat die genauere Untersuchung des Falls durch JournalistInnen von Court TV erbracht, daß der Ex-Polizist und sein Sohn gezielt auf den Jogger gewartet haben könnten, um ihm möglicherweise eine Falle zu stellen. Auf jeden Fall erwiesen sich die von Gregory McMichaels geäußerten Bezichtigungen, die einen Tatverdacht bei Arbery nahelegten, als gegenstandslos und zu nichts weiter geeignet, als willkürlich Verdächtigungen in die Welt zu setzen.

74 Tage lang wurde nichts gegen den mutmaßlichen Mörder unternommen, so daß die von vielen afroamerikanischen PolitikerInnen vertretene Meinung, es handle sich bei der Tat um eine Form rassistisch motivierter Lynchjustiz, nicht von der Hand zu weisen ist. Der gewaltsame Tod von Trayvon Martin und Ahmaud Arbery steht beispielhaft für die vielen Morde, denen immer wieder schwarze Menschen zum Opfer fallen, während die meist weißen Täter, darunter viele Polizisten, ungestraft davonkommen. Welche Reaktionen die Inanspruchnahme der Rechte auf Besitz und Anwendung von Schußwaffen durch AfroamerikanerInnen bei den Agenturen staatlicher Repression in den USA hervorrufen, davon zeugt die Geschichte der Black Panther Party. Mehrere ihrer führenden AktivistInnen wurden, allerdings nicht nur weil sie das Bürgerrecht auf den Besitz und das öffentliche Tragen von Schußwaffen in Anspruch nahmen, sondern weil es sich um eine revolutionäre linke Organisation mit spezifischer Ausrichtung auf die Selbstorganisation schwarzer Menschen handelte, in einer vom FBI großangelegten Unterwanderungsaktion umgebracht.

11. Mai 2020


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