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KULTUR/0798: Mit Woodstock die gesamte Counterculture entsorgen ... (SB)



Nach 40 Jahren der weitgehend unreflektierten Reproduktion des Woodstock-Mythos als eines zentralen Ereignisses des Aufbruchs der sechziger Jahre hat sich allmählich herumgesprochen, daß es sich um den Abgesang auf denselben handelte, um das Besiegeln des Scheiterns einer Gegenkultur, deren Utopie einer friedlichen und herrschaftsfreien Vergemeinschaftung an den Zwängen des herrschenden kapitalistischen Verwertungssystems scheiterte. Die Diggers in San Francisco, ein anarchistisches Projekt der Hippies, das kostenlose Nahrung, Kleidung und Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellte, hatten diese Utopie bereits zwei Jahre zuvor in einer symbolischen Aktion zu Grabe getragen. Im Oktober 1967 packten sie das Ladenschild ihres Zentrums Psychedelic Shop in einen Sarg, trugen ihn feierlich durch das damalige Hippieviertel Haight Ashbury und begruben ihn anschließend in einem Park, um den Sieg der Drogendealer, Abzocker, Touristen und Cops über eine Bewegung zu dokumentieren, die Love and Peace nicht über den Raub- und Freßimpuls der Gesellschaft, aus der sie hervorging, hinauszutreiben verstand.

Der fast zwei Jahre später im kleinen Ort Bethel stattfindende Woodstock Art and Music Fair war von vornherein ein kulturindustrielles Projekt. So schützten sich die Veranstalter im Vorfeld durch die Zahlung von 10.000 Dollars an die Yippies, einer radikalen Organisation politischer Aktivisten, davor, daß diese die Party in ein politisches Forum umfunktionierten. Woodstock wurde von vier Jungunternehmern im modischen Hippie-Outfit auf die Bahn gebracht. Michael Lang und Artie Kornfeld wollten in der Künstlerkolonie Woodstock ein Musikstudio aufmachen und das Festival veranstalten, um die dafür erforderlichen Mittel aufzubringen. Sie fanden per Anzeige im Wall Street Journal zwei junge Investoren, die in ihrem Projekt eine gute Geschäftsidee erkannten und es finanzierten. Die Verfilmung des Spektakels, das aus bloßer organisatorischer Not in ein freies Festival umgewidmet wurde, sanierte den damals am Rande der Pleite lavierenden Filmproduzenten Warner Brothers.

Ohne den bis heute überaus erfolgreichen Vertrieb des Dokumentarfilms "Woodstock" sowie den Verkauf seines in diversen Editionen erschienenen Soundtracks wäre das Festival eine Marginalie der Popkultur geblieben. Es war und ist vor allem Beweis der Leistungsfähigkeit der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie, die jedes sich noch so antagonistisch gebärdende Kulturereignis in eine Ware verwandeln kann, der nichts weiter als der schöne Schein des Versprechens auf mehr abzugewinnen ist.

Nicht zu übersehen freilich ist, daß der inzwischen zum guten Ton des arrivierten Popjournalismus gehörende Abgesang auf Woodstock mehr abservieren soll als die Kommerzialisierung der Popkultur, die seit jeher wesentliches Antriebsmoment ihrer Produktivität ist. Während das Bild einer freizügigen, gewaltlosen und unegoistischen Jugendbewegung revidiert wird, entsorgt man positive Erinnerungen an den linksradikalen politischen Aufstand wie die utopischen Lebensformen der Hippies gleich mit. Das Versäumnis, Woodstock in den Kontext einer überaus bewegten, von brutaler Kriegführung, blankem Rassismus und massiver staatlicher Repression bestimmten Zeit zu stellen und daran die Konformität des bloßen Konsums von Popmusik und Drogen deutlich zu machen, schlägt in einen generellen Abgesang auf die damalige Zeit um.

Während der Protest gegen den Vietnam-Krieg, der in manchen Liedern und Statements der in Woodstock auftretenden Künstler anklang, eher als zeitgemäßes Accessoire erschien, das das Ereignis gleichzeitig symbolisch aufwerten und von konkreter politischer Aktion freihalten sollte, war der soziale Widerstand in den USA längst entbrannt und hatte in zahlreichen Organisationen, die ihren Protest mit gewaltfreien wie militanten Aktionen artikulierten, konkrete Gestalt angenommen. Organisationen wie die Students for a Democratic Society , die Black Panther oder der Weather Underground sind nur die bekanntesten Namen für eine Vielzahl von Aktivisten, die sich im breiten Feld der damaligen Counterculture darum bemühten, dem Raubcharakter des herrschenden kapitalistischen Systems entgegenzutreten.

Weithin unterschlagen wird auch die Bedeutung der damals entwickelten alternativen Lebensformen für die heutige Ökologiebewegung. Aus der Immanenz ihres Verständnisses, der Zerstörung von Mensch wie Natur entgegenzutreten, und der Kritik am Konsumismus der Warengesellschaft entwickelten die Hippies einen schonenden und konservierenden Umgang mit Ressourcen, lange bevor die Farbe Grün zu einem Signum alternativer Bewegungen wurde. Demgegenüber war die industrielle Produktivität einer Unterhaltungsindustrie, deren Leistungen in der Zahl der abgesetzten Tonträger oder eben der Besucher kultureller Großereignisse bemessen wird, Bestandteil einer zerstörerischen Vergesellschaftung, die man entweder direkt bekämpfte oder der man sich durch den Ausstieg in kollektive Lebensformen zu entziehen suchte. Während dort die kapitalistische Verdinglichung auf jeder Ebene, also auch der der persönlichen Beziehungen, aufgehoben werden sollte, erwies sich die Popkultur als Karrieresprungbrett für Mitläufer, denen es nie um etwas anderes ging als sich des Momentums einer großen sozialen Bewegung zur Verwirklichung bürgerlicher Interessen zu bemächtigen.

Im Rahmen der neokonservativen Geschichtsrevision, mit der die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften der sechziger Jahre einer die herrschenden Verhältnisse affirmierenden Immunisierung des kollektiven Gedächtnisses unterzogen werden sollen, besitzt die Erinnerung an Woodstock nur randläufige Bedeutung. Das massenmedial zu einem Höhepunkt jugendlicher Rebellion aufgeblasene Ereignis allein auf den Leisten seiner Kommerzialisierung zu schlagen reicht jedoch nicht aus. Seinen angemessenen Platz findet es in der Darstellung einer Strategie, die zu neuen Ufern aufgebrochene Gegenkultur zurück auf die Bahn ihrer verwertungstauglichen Verfügbarkeit für Interessen zu holen, deren Herrschaft zu bestreiten sie einmal angetreten war. Die damals gesetzten Keime der Verwirklichung des Traums vom freien Leben solidarischer Menschen inmitten einer Welt, die nicht mehr als Objekt räuberischer Zerstörung ausgeplündert wird, sind auch über 40 Jahre später noch wirkmächtig genug, als daß sie der entschiedenen Negation ausgesetzt werden müssen.

12. August 2009