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KULTUR/0801: "Körperwelten" ... mit der Häutung des Sozialen den Tod fliehen (SB)



Die Kombination von Tod und Sexualität mag ein reizvolles Thema für kulturwissenschaftliche Reflexionen sein, doch das, was der Anatom Gunther von Hagens macht, wenn er Leichen beim Geschlechtsakt ausstellt, ist nichts als kalkulierte Provokation. Die morbide Faszination, die davon ausgeht, verstorbene Menschen bei alltäglichen Verrichtungen oder außergewöhnlichen Leistungen beobachten zu können, resultiert allein daraus, daß es sich bei den Exponaten um Leichen handelt, die mit der von Hagens weiterentwickelten Methode der Plastination in die jeweilige körperliche Position gezwungen wurden.

Wo der Bildhauer Stein bearbeitet, um aus ihm Figuren entstehen zu lassen, deren Erscheinungsform mindestens zum Teil seiner Fantasie und Kreativität entspringt, bedient sich der Anatom des Rohstoffs gestorbener Menschen, um sie nicht anders zu arrangieren und zu modellieren als ein Dekorateur Schaufensterpuppen. In der stets vom Ruch des Skandals umwitterten Wanderausstellung der "Körperwelten" werden Tote nicht etwa zum Leben erweckt, sondern für einen nekrophilen Voyeurismus, dem das wissenschaftliche Präparat zu langweilig und die bildende Kunst zu kompliziert ist, ästhetisch aufbereitet. Wenn sich überhaupt eine Erkenntnis aus dem Betrachten auf ihre erstarrte Form reduzierter Menschen ziehen läßt, dann doch wohl die, daß der eigene Tod längst in der Passivität des bloßen Glotzens und der Flucht des ewigen Wartens Wohnung genommen hat.

Van Hagens hat nun bereits zum zweiten Mal Klage gegen das Verbot erhoben, einen Geschlechtsakt zweier Leichen in seiner Ausstellung zeigen zu dürfen. Die Stadt Augsburg hatte die Darstellung untersagt, was der Anatom als Zensur und Bevormundung verwirft. Zweifellos sind staatliche Eingriffe dieser Art das beste Mittel, den Sensationswert des Spektakels zu steigern, wird damit doch eine an anderer Stelle längst durch die Sexualisierung von Werbung und Kultur obsolet gewordene Moral reaktiviert. Die weit bessere Methode des Umgangs mit Kulturschaffenden, die kreatürliches Scheitern glorifizieren, um den Blick nicht über den Rand des Vertrauten und Bekannten richten zu müssen, besteht darin, sie schlicht zu ignorieren.

Dabei fängt der Skandal der Zurschaustellung des Todes nicht mit kopulierenden Leichen an, sondern hat in der Behauptung, ohne die Entblößung von allem und jedem für das niemals sattwerdende und daher stets nach neuen Reizen gierende Auge des Betrachters seien Fortschritte in der menschlichen Erkenntnis nicht zu haben, lange zuvor begonnen. Die Exposition des gehäuteten Körpers in spezifischen Handlungssituationen trägt zum Wissen über das, was die Bewegung und Funktion des lebenden Organismus ausmacht, wenig bei. Die in Kunstharz erstarrte Momentaufnahme verrät nichts über die Kräfte und Wirkungen, die den Bewegungsapparat des Menschen und sein Sensorium bedingen. Sie kann nicht erklären, wie die Fortbewegung eines zum größten Teil aus Wasser bestehenden Körpers möglich ist, wenn die strukturellen physiologischen Unterschiede durch eine homogene Aushärtung angeglichen wurden, und sie hat keinen Begriff von der Wirkmächtigkeit einer Impulsierung, die den Menschen zu jeder Zeit am Band seiner Reizbindung hält.

Wie sehr auch die aggressive Biologisierung der Sozial- und Geisteswissenschaften suggerieren mag, das Geheimnis des Menschen sei in seinen Zellstrukturen und Gehirnwindungen verborgen, bleibt dieser doch in erster Linie ein soziales Wesen, das am gesellschaftlichen Miteinander und Gegeneinander wächst und vergeht. Die dafür unabdingliche Bereitschaft zur Empathie wird durch die Bescheidenheit, sich mit der Spiegelung der Welt zufriedenzugeben, und dem daraus abgeleiteten Trugschluß, aus den übermittelten Informationen ließen sich alle notwendige Erkenntnisse ziehen, als überflüssiger Luxus negiert. Dabei liegt gerade darin, den andern nicht zu ignorieren, ein Schlüssel zur Annäherung an Probleme, die mit der vermeintlichen Enttabuisierung des Todes erst recht auf den Begriff ihrer Vermeidung gebracht werden.

Wenn von Hagens Leichen häutet, um den Blick auf die darunterliegenden Gewebe und Organe freizugeben, dann nimmt er ihnen die soziale Maske und damit ihren Platz im Leben zum zweiten Mal. Die Beliebigkeit des bloßen Fleisches soll alles gleich machen und mit Hilfe gegenständlicher Verrichtungen suggerieren, daß das, was am Menschen dauerhaft ist, nicht im Bereich seines willentlichen Vermögens liegt. All diese Leichen hatten ihr persönliches Leben, das mit ihrer Verobjektivierung negiert wird, obwohl es den Menschen im Eigentlichen ausmacht. Was von Hagens mit der Inszenierung anonymisierter Verstorbener anstellt, unterscheidet sich in nichts von den Bannritualen einer exhibitionistischen Bestattungskultur, bei der der sorgsam zurechtgemachte und drapierte Verstorbene noch einmal mit einem Whiskeyglas in der Hand an seiner eigenen Totenfeier teilnehmen kann. Die Überlebenden wollen sich ihrer eigenen Fortdauer vergewissern, indem sie den andern auf die persona reduzieren, mit der sie jede wirkliche Begegnung mit ihm und folglich dem Tod vermieden haben.

29. August 2009