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KULTUR/0826: Schaufenster des Leistungsethos ... sportliche Zurichtung des Menschen (SB)



Was wäscht weißer als weiß? Im Fall des Hochleistungssports ist die Frage leicht zu beantworten. Der österreichische Biathlet Christoph Sumann gibt ein mustergültiges Beispiel für den Erfolg jener repressiven Konditionierung ab, die unter dem Titel der Dopingbekämpfung einen neuen, in seiner Verfügbarkeit für übergeordnete Interessen restlos aufgegangenen Menschentypus erzeugt hat: "Je mehr Kontrolle, desto besser, dann werden vielleicht irgendwelche schwarzen Schafe von Anfang an ausgesondert" (Deutschlandfunk, 12.02.2010). Zum "sauberen Sport" gehören saubere Athleten, und damit ist nicht nur äußere Reinlichkeit gemeint. Indem sie ihren Stoffwechsel zu einer öffentlichen Angelegenheit erklären und keinen Einwand dagegen erheben, sich auf eine Weise verfügbar zu machen, die an die Existenz eines Versuchstiers in einem medizinischen Labor gemahnt, erhalten sie die höhere Weihe gelungener Unterwerfung unter das Reinheitsgebot des Sports.

Die puritanische Moral, die hier Urständ feiert, nimmt auf dem Feld zivilreligiöser Sinnstiftung vorweg, was dem Menschen generell blüht, wenn er dem Anspruch kapitalistischer Vergesellschaftung in seiner Totalität genügen will. Dabei geht es längst nicht mehr um die propagierte Ehrlichkeit des Leistungsvergleichs, sondern um die Zurichtung des Menschen auf den Leisten einer Beherrschbarkeit, die sich willfährig den Zwecken und Zielen ihn verfügender Interessen unterwirft. Die Unterstellung, mit dem Konsum leistungssteigernder Substanzen werde der Zuschauer sportlicher Wettkämpfe betrogen, führt gezielt in die Irre einer Verharmlosung jeder Veranstaltung, in der Menschen in den Vergleich ihrer unterschiedlichen Konstitutionen und Fertigkeiten treten, um vermeintlich objektive Ergebnisse zu erzielen. Wo der Sieg über den anderen im Rahmen eines Regelwerks erzielt werden soll, das die Mittel des Kampfes beschränkt, hat man es mit der Zivilisierung archaischer Gewaltverhältnisse zugunsten ihrer gesellschaftlichen Verträglichkeit und Vernutzung zu tun.

Wie hoch die ausgelagerten humanen Kosten des Wettbewerbs als zentrale Achse marktwirtschaftlicher Produktivität und zivilisatorischer Veredelung naturwüchsiger Gewalt sind, erfährt man überall dort, wo Menschen aus Gründen des Mangels dahinsiechen und sterben. Die Verhungernden, die Verdurstenden, die an fehlender Hygiene und medizinischer Versorgung vergehenden Massen in den Elendsregionen der Welt sind der schlagende und daher ignorierte Beweis für die zerstörerische Qualität jeglichen Wettkampfs. Wo der Sport das unverstellt grausame Niedermachen des anderen in der Schlacht auf eine zivile Ebene heben soll, kehrt er in der Verabsolutierung der Leistung geradewegs in die sozialdarwinistische Wirklichkeit zurück.

Die Maximierung des Wettkampfes im Leistungssport wird mit einer Heldenästhetik, die nicht von ungefähr an die Rituale erinnert, mit der die Gladiatoren antiker Blutbäder gewürdigt wurden, verdaulich gemacht. Die programmatische Verausgabung des einzelnen über natürliche Leistungsgrenzen hinaus muß im akuten Ernstfall seines Zusammenbruchs wie in der langfristigen Anhäufung chronischer Folgeschäden ebenso ausgeblendet bleiben, wie die Freiheit des einzelnen, mit seinem Körper nach Gutdünken zu verfahren, dem Diktat seiner Verwertung unterworfen werden muß.

Was in der Sphäre der Produktion den Regelfall darstellt, soll im Leistungssport unter der Oberfläche propagierter Ideale der Fairness und des Teamgeistes, der Disziplin und des Leistungswillens verborgen bleiben. Die Sportlern gemeinhin zugeschriebenen Tugenden führen in der gesellschaftlichen Realität des zu maschinellen Rekorden aufgeputschten Fleisches in die Schwitzbuden der Billigmanufakturen, an die Fließbänder industrieller Serienproduktion und zur Leistungsverdichtung der mikroelektronisch organisierten Arbeitswelt. Das Problem des Doping fungiert als Chiffre des unauflöslichen Widerspruchs jeglichen Wettkampfs, den Konkurrenten total besiegen zu wollen, dabei aber durch Regeln und Gesetze gezügelt zu sein. Die Maßregelung der Sportler zur Vermeidung eines Einsatzes, bei dem sie ihren Körper vorbehaltlos in die Waagschale des Sieges werfen, dient dem reproduktiven Erhalt herrschender Produktionsverhältnisse. Um die Zustimmung der Arbeitsssubjekte zu ihrer Ausbeutung zu erhalten bedarf es angesichts eines Entgelts, das sie gegenüber den sogenannten Leistungsträgern de facto abstraft, eines ideellen, in der Glorifizierung sportlicher Höchstleistung am Sklavenkörper exemplarisch vorgeführten Produktivitätsethos.

Die Schaffung eines idealen, in der Natur niemals vorkommenden statistischen Körpers, in dem das Postulat der Gesundheit zu sich selbst kommt, ist nicht nur für die Entwicklung leistungssteigernder Pharmazeutika bedeutsam, die bei den Piloten der Kampfbomber so routinemäßig eingesetzt werden, wie sie den Sportlern verweigert werden. Sie dient sich zudem der Verallgemeinerung physischer Normen an, mit denen das individuelle Kosten-Nutzen-Verhältnis zur Grundlage politischer Entscheidungen gemacht werden kann. So könnten der allseits propagierte Nutzen kalorischer Enthaltsamkeit und die eskalierende Nahrungsmittelkrise zu einem Regime generalisierten Mangels konvergieren, unter dem sich die individuelle Zuteilung desto gesünder gestaltet, je knapper sie ausfällt.

Wo sich athletische Idealmaße zusehends nach den jeweiligen Sportdisziplinen und ihrer biomechanischen Übersetzung ausrichten, da liegt die zweckbedingte Favorisierung bestimmter Menschentypen nicht fern. Wenn Kleinkinder nach ihrer körperlichen Verfassung für bestimmte Sportarten ausgesucht werden, dann bietet sich im nächsten Schritt an, mit erbbiologischen und reproduktionsmedizinischen Mitteln im vorgeburtlichen Bereich selektiv tätig zu werden. Die Objektivierung des Stoffwechsels der Athleten vermittelt der biomedizinischen Zurichtung des Menschen für fremdnützige Zwecke wertvolle Erkenntnisse und erfreut sich zudem einer Legitimation, die die Verwertbarkeit des Menschen in direkten Zusammenhang mit seiner physischen Normierung stellt.

So trägt der alle zwei Jahre stattfindende globale Event Olympia nicht nur zur Unterhaltung bei. Die wirklich wichtigen Siege werden bei der soziobiologischen Regulation gesellschaftlicher Widersprüche errungen. Wo durch mediale Vervielfachung zu übermenschengroßer Statur gelangte Athleten gegeneinander antreten, um mit der Überschreitung ihrer Leistungsgrenzen die Norm der Verausgabung nach oben zu öffnen, wo sich Nationen auf einem überschaubaren Schlachtfeld gegenüberstehen, um ihre Konflikte nicht etwa zu beenden, sondern zu verstetigen, da weiß sich der Zuschauer im Zentrum des Geschehens und verschwendet keinen Blick mehr auf die Peripherie, in der Blut, Schweiß und Tränen fließen.

12. Februar 2010