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KULTUR/0838: "Avatar" ... Imperialismuskritik aus dem Hause Murdoch? No way! (SB)



Und wieder ein neuer Rekord: In den ersten vier Tagen seit Verkaufsstart am Donnerstag letzter Woche wurden in Nordamerika 6,7 Millionen DVDs und Blu-ray-Discs des 3D-Spektaktels "Avatar - Aufbruch nach Pandora" verkauft. Auch in Deutschland und Österreich wurden in den ersten Tagen weit über 700.000 Exemplare des Films erstanden, und nicht wenige Käufer sollen sich gleich einen Blue-ray-Player dazugekauft haben. Die Vermarktungsoffensive dieses mit Abstand kommerziell erfolgreichsten Films aller Zeiten hat dem US-Medienkonzern News Corporation so viel Geld in die Kassen gespült, daß allein die Kinoeinnahmen der ersten Monate ein knappes Viertel des Umsatzes von 8,7 Milliarden Dollar bestritten, den News Corp letztes Jahr erzielte. Daß neben dem Filmstudio 20th Century Fox, das Avatar produzierte, einer der vier landesweit in den USA empfangbaren Fernsehsender, Fox, das führende Wirtschaftsmagazin Wall Street Journal, das britische Boulevardblatt Sun, das britische Traditionblatt The Times, weitere Zeitungen und diverse Buchverlage zu diesem Global Player gehören, könnte die kommerzielle Bedeutung dieses Blockbusters nicht besser illustrieren.

Ist die Attraktivität des Films auch zu einem Großteil der innovativen technischen Verwirklichung seiner exotischen Bildwelt geschuldet, so wurde die Botschaft des Science Fictions von nicht wenigen Rezensenten in den USA als Kritik an den Motiven und Praktiken der Kriegführung ihrer Regierung verstanden. Dieser Eindruck wurde durch heftige Polemik seitens neokonservativer Demagogen verstärkt, die "Avatar" als Verrat an der angeblich gerechten Sache der US-Streitkräfte verwarfen. Die Eroberung eines fremden Planeten, der einen essentiellen mineralischen Rohstoff beherbergt, aus ausschließlich räuberischem Interesse, gegen seine einheimische Bevölkerung durchgesetzt mit Gewaltmitteln, die dem US-Publikum aus den Kriegen im Irak und Afghanistan bestens vertraut sind, wirkt durchaus so, als habe Regisseur James Cameron versucht, die Ausrottung der Indianer, den Vietnamkrieg und weitere Aggressionen US-amerikanischer Truppen gleichzeitig auf eine Weise zu reflektieren, die dem Publikum das Schicksal der davon Betroffenen mit großer Empathie nahebringt.

Der Chef und Hauptaktionär von News Corp, Rupert Murdoch, ist allerdings bekannt dafür, daß er die geostrategischen Pläne der US-amerikanischen wie britischen Regierung fast vorbehaltlos unterstützt. Exemplarisch dafür kann die Berichterstattung von Fox News gelten, einem gerne als "ultrapatriotisch", sprich nationalchauvinistisch, verharmlosten Nachrichtensender, dessen militaristische und sozialrassistische Propaganda keine Wünsche offenläßt. Zwar besitzt das Prinzip journalistischer und künstlerischer Unabhängigkeit auch in diesem Medienkonzern theoretisch Gültigkeit. Gleichzeitig dokumentiert die politische Gewichtung seiner Sendungen und Publikationen eine ideologische Ausrichtung, die die politischen Ambitionen des Medientycoons etwa mit der Rolle, die er bei der Förderung Tony Blairs als Sachwalter des ideologischen Paradigmenwechsels der Labour Party gespielt hat, eindeutig verortet.

Wie also soll ein Produkt dieses Konzerns, das in aller Welt verbreitet wird und weit mehr Menschen erreicht als ein durchschnittlicher Kinofilm, etwas vermitteln können, das den Interessen Murdochs antagonistisch gegenübersteht? Die Frage berührt eine zentrale Qualität kulturindustrieller Effizienz, die Adaption avantgardistischer und oppositioneller Strömungen zum Zweck nicht nur ihrer kommerziellen Verwertung, sondern vor allem ihrer politischen Neutralisierung. So wurde mit "Avatar" ein ästhetisch überdeterminiertes Gefühlskino geschaffen, das das Publikum gerade nicht dazu veranlaßt, den Übertrag von künstlerischer Fiktion auf gesellschaftliche Wirklichkeit zu wagen, sondern all das im Genuß der Sinne und Emotionen abzuarbeiten, was an Einspruch und Widerstand gegen die imperialistischen Praktiken real existierender Regierungen zu leisten wäre.

Im Kino voller Mitgefühl den Einbruch brutaler und explosiver Gewalt, von zynischen Söldnertypen mit geradezu lustvoller Aggressivität exekutiert, in eine Welt voller Harmonie und Schönheit zu erleben ist keineswegs unvereinbar damit, im Alltagsleben von den Errungenschaften einer räuberischen Zivilisation zu profitieren, die andere Länder überfällt, um ihre zerstörerische Produktivität weiter befeuern zu können. Gerade weil es Unbehagen hervorruft, daß in von US-Truppen besetzten Ländern Massaker an Zivilbevölkerungen begangen werden, die mit ihren archaischen und tribalistischen Lebensformen, ihren geringen Möglichkeiten, hochmobilen, mit überwältigender Feuerkraft versehenen Streitkräften zu widerstehen, in einigem an die Na'vi, die auf dem Planeten Pandora lebenden Humanoiden, erinnern, bietet das Kinoerlebnis Entlastung. Das intime Wissen über das Verhängnis eigener Teilhaberschaft auf symbolische Weise zu verarbeiten, ohne in Berührung mit den dabei angerichteten Schmerzen und Trümmern zu geraten wirkt wie Balsam auf das irritierte Gemüt.

Im künstlichen Universum einer Erlebniswelt, in der allseits vertraute Elemente der eigenen Lebensweise auf die exotischen Attribute einer indigenen Lebensform treffen, wird das Allgemeine menschlicher Entwicklung so gründlich verwertet, daß nichts nachbleibt, was man nicht ohnehin schon wußte. Die habituellen und kulturellen Signaturen der Na'vi wirken wie die Summe jener ethnoromantischen Fantasien, die sich an den Bildern entzünden, die weiße Wissenschaftler von den Exkursionen in die letzten Refugien unberührter Wildnis mitgebracht haben. Mit postmoderner Beliebigkeit wird ein Hybrid prämoderner Lebensformen konstruiert, das als Projektionsfläche zivilisatorischer Schuld ausschließlich selbstreferentiellen Charakter hat. Der Zuschauer trifft auf die eigenen Wünsche und Hoffnungen, die allerdings so spektakulär inszeniert sind, daß er ihre Verwirklichung nicht weiter anzustreben braucht.

In "Avatar" wird die mikroelektronische Klaviatur der Augmented Reality so virtuos bespielt, daß man, wie bei einer mit Bonbonfarben aufgeladenen Produktwerbung, dem hypernatürlichen Schein mit Freuden erliegt, gerade weil er so durchschaubar ist. Die Natur Pandoras ist von intensiver Leuchtkraft und luzider Transparenz durchstrahlt, ihre Pflanzen und Tiere atmen pralles organisches Leben, die Humanoiden erfreuen sich einer dynamischen Beweglichkeit, die im Einklang mit ihrer Umgebung dennoch keinen Schaden anrichtet - was immer der Zuschauer an Perfektion erwartet, bekommt er überreichlich geboten. Die Opulenz der Szenerie wirkt, als hätten ihre Produzenten ein wenig zu tief in die Farbeimer und Bildarchive gegriffen, um das chemisch induzierte Wuchern psychedelischer Visionen mit Impressionen aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit zu einem Ensemble audiovisueller Überwältigung zusammenzufügen, die dem Zuschauer alles abverlangt, so daß seinem Erleben nichts hinzuzufügen ist.

All das ist Ergebnis einer verbrauchsintensiven Produktionsweise, die im virtuellen Erscheinungsbild der Na'vi das Versprechen auf eine Naturidentität von höchst widersprüchlichem Charakter eröffnet. So wird die organische Einheit, die Pflanzen, Tiere und Humanoide auf Pandora bilden, in die Metapher eines Netzes gefaßt, das alles ihm angeschlossene mit pulsierender Energie und kommunikativer Immanenz erfüllt. Die lebensphilosophischen, idealistischen und spirituellen Entwürfen entlehnte Einheitsdoktrin des New Age wird in Avatar als virtuell geschaffene und bioorganisch vernetzte Welt auf den nächsten Stand informationstechnischer Innovation gebracht. Die Dynamik der verzögerungslosen elektronischen Verschaltung von allem und jedem eröffnet rechnergestützten Prozessen den Zugang zu biologischen Strukturen, um im Ergebnis des cyberprothetisch optimierten, ins große Ganze diffundierenden Menschen eine neue Ebene evolutionärer Anpassung zu betreten. Mit der dabei verheißenen Rücknahme erlittener Vereinzelung wird dem Problem der Individuation nichts Emanzipatorisches abgewonnen. Alle Mühe mündet in den großen Schlaf, in dem der Mensch, von Mutter Natur behütet, als bioorganischer Rest fortdauert, als hätte es ihn nie gegeben.

Die Überantwortung an eine virtuelle Existenz, in der die Widrigkeiten des Menschenlebens einer systemischen Lösung zugeführt werden, zeigt sich auch in der Begegnung zwischen der Na'vi Neytiri und dem Menschen Jake Sully, der ihr bisher nur in seiner biotechnologisch erzeugten Na'vi-Gestalt gegenübergetreten ist. Die mikroelektronische Produktionsweise, die die cybertechnische Transformation des Mängelwesens Mensch ermöglicht, bringt auch die vernichtende Feuerkraft der Waffentechnik der Kolonisatoren hervor. Daß die koloniale Erschließung neuer planetarer Rohstoffquellen eine Erfordernis auch dieser industriellen Produktivität ist, wie das Beispiel der blutigen Erschließung des für den Mobilfunk essentiellen Minerals Coltan im Kongo zeigt, trägt als unausgesprochenes Wissen des Zuschauers dazu bei, die Harmonieseligkeit des Naturschönen nicht am Fressen und Gefressenwerden scheitern zu lassen.

Das ihm eröffnete Angebot, der abgefeimten maskulinen Aggressivität der hochgerüsteten Exploratoren den edlen Wilden vorzuziehen, der der krisenhaften globalen Entwicklung die Besinnung auf das Bewahren der Schöpfung entgegenstellt, läßt den räuberischen Übergriff der Söldner zur Episode einer an sich selbst vergehenden Menschheit verkommen. Was dem Zuschauer an neokolonialistischer Brutalität eindrucksvoll vor Augen geführt wird, braucht er nicht zum Anlaß streitbaren Engagements zu nehmen, weil die ihm offerierte Lösung einer naturidentischen selbstgenerativen Systemik, in der jeder Gewaltkonflik auf höherer Ebene in harmonischem Ausgleich verebbt, eine erschöpfende, keine Frage offenlassende Antwort auf alle Widerspruchslagen bietet.

Erleichternd für ein mit der eigenen Zustimmung zu imperialistischen Kriegen konfrontiertes Publikum hinzu kommt, daß es sich bei dem Hauptakteur Jake Sully um einen ehemaligen Marine handelt, an dem all das am Kriegertum positiv verarbeitet wird, was am Treiben der Söldner verstört. In seiner Person transformiert sich der Ethos des Soldaten übergangslos zur Tugend des Helden, mit Mut und Entschlossenheit für die Sache der Bedrängten und Unterdrückten einzutreten. Die von nicht wenigen linken Kommentatoren gelobte Abrechnung Camerons mit der Kriegführung seines Landes adressiert eine pekuniäre Gier, die den Blick auf die zivilisatorische Suprematie realer Raubzüge gerade mit der Idealisierung dieses Gewaltverhältnisses verstellt. Daß einer der Kolonisatoren zum Initiator der die Eindringlinge vertreibenden Gegenbewegung wird und sich als mutiger und intelligenter als alle Betroffenen erweist, daß die Anthropologen, die im Irak und in Afghanistan mit dem Human Terrain-Programm des Pentagon das soziale Feld des Kolonialkrieges bestellen, einer an und für sich menschenfreundlichen Wissenschaft verpflichtet zu sein scheinen, sind weitere Elemente einer grundsätzlichen Affirmation, die den angeblich kritischen Anspruch des Films widerlegen.

Die große Popularität "Avatars" ist der Notwendigkeit einer Idealisierung geschuldet, die empathisch nachvollziehbar macht, was in der lebenspraktischen Realität jenseits des Horizonts zu bewältigender Handhabe bleibt. Die cineastische Inszenierung eines Konflikts zwischen naturrechtlichem Lebensanspruch und kapitalistischer Zerstörungslogik gerinnt als konsumistisches Spektakel zum Versprechen auf bessere Zeiten, mit Hilfe dessen sich widrige Umstände ein wenig erträglicher gestalten lassen. Es mag übertrieben erscheinen, bei einem Unterhaltungsfilm überhaupt konkrete Wirkungen zu vermuten, die nicht der intendierten Beschwichtigung virulenter Konflikte zuarbeiten. Wenn man dies dennoch, zumal bei einem cineastischen Ereignis von derartiger Breitenwirkung, tut, dann bringt die Analyse der immunisierenden Wirkung kulturindustrieller Produktivität in jedem Fall praktischen Erkenntnisgewinn hervor.

27. April 2010