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KULTUR/0862: Wer abzuschaffen ist ... lesen für den Sieg über die Unproduktiven (SB)



Die Deutschen lesen wieder. Nicht Goethe, nicht Schiller, man möchte nicht noch einmal als Nation der Dichter und Denker in die Annalen einer Geschichte eingehen, in der die Ideologie der Tat das Feld bestimmt. Die Deutschen lesen, um wieder zu den Machern zu gehören, die der Geschichte den Prägestempel der Sieger, den Abdruck großer Stiefel auf den Rücken jener Nichtmenschen, die keinen Platz an der Spitze der ökonomischen Freßkette erobern konnten, aufdrücken. Die Deutschen lesen Thilo Sarrazin, denn der sagt endlich, was ist und wer verhindert, etwas dagegen zu tun.

650.000 Exemplare seines Buches befinden sich im Handel und gingen größtenteils über den Ladentisch. Die nächste, 13. Auflage eines Werks, das erst vor drei Wochen erschienen ist, befindet sich bereits in Arbeit und steigert die Gesamtauflage auf 800.000 Exemplare. Deutschland liest wieder, und zwar nicht nur die Bilanzen von Erfolgsunternehmen, mit deren Zahlen sich die Scheinblüte der Krisenkonjunktur abfeiern lassen. Deutschland liest, wie es sich abschafft und ahnt, was es tun muß, wenn es das nicht will.

Abgeschafft werden müssen die anderen, die Integrations- und Leistungsverweigerer, die Unproduktiven, die den ehrlich arbeitenden Bürgern auf der Tasche liegen. Abgeschafft werden müssen "Sozialromantiker, Gutmenschen vom Dienst, Pauschal-Umarmer und Beschwichtigungsapostel", um mit Ralph Giordano zu sprechen, der schon lange erkannt hat, woran oder besser an wem diese Gesellschaft krankt. Die durch exzessive Vermehrung ihres negativen Humankapitals Land und Leute mit der tickenden Bombe eines demografischen Terrorismus bedrohenden Esser sind mit Maßnahmen administrativer Sozialhygiene absehbar zu eliminieren, doch das Achtundsechzigerunwesen ist ein nicht so leicht zu bewältigendes Problem.

Zwar hat die neokonservative Offensive viel Boden gewonnen, doch sind in den Bildungseinrichtungen, Ämtern und Behörden immer noch Verfechter eines Menschenbilds anzutreffen, das von Erbgesundheit, Intelligenzquotient und Elitenförderung nichts wissen will. Wer den Menschen nicht als Partikel der ihn nährenden Nation und Sachwalter der auf Überleben im Kapitalismus gedrillten Volksgemeinschaft , sondern als autonomes, im existentiellen Grundsatz niemandem gegenüber verpflichtetes Wesen begreift, ist maßgeblich am Niedergang Deutschlands schuld.

Der Sozialromantiker verschließt die Augen vor den Erfordernissen einer Realität, in der es ich oder du heißt, wenn die letzten Ressourcen auf den Tisch der Weltwirtschaft kommen. Der Gutmensch traut sich nicht, seine Hände mit dem Blut der Feinde, die mit ihm schlimmeres gemacht hätten, zu beflecken. Der Pauschalumarmer ist so in seinen Wahn vom Guten im Menschen verstrickt, daß er Fremden die Hand reicht, auf daß diese gleich den ganzen Arm nehmen. Der Beschwichtigungsapostel macht stets Bedenken geltend, wenn es gilt, zur entschieden rücksichtslosen Tat zu schreiten, und will nicht wahrhaben, daß die Freiheit blutige Grenzen hat, die zu schützen sind.

Nun lesen sie wieder die Deutschen, nicht um Kulturnation zu werden, sondern um letzte Reste dessen, was Kultur im positiven Sinne bedeuten könnte, zugunsten einer Nation zu eliminieren, die man ihnen fast gänzlich ausgetrieben hätte. Beim Lesen für den Sieg stört alles, was den starr auf die volkswirtschaftlichen Bilanzen gerichteten Blick von der Frage ablenken könnte, welche Ausgaben man noch streichen könnte, um doppelten Gewinn, die Einsparung überflüssiger Sozialausgaben und die Abschaffung der Überflüssigen, einfahren zu können. Wer dagegen etwas einzuwenden hat, der ist zu denunzieren als Feind der Freiheit, das Recht des Stärkeren mit gebotener Rücksichtslosigkeit zur Rettung Deutschlands durchsetzen zu können.

23. September 2010