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KULTUR/0892: Herrentum contra Pöbel - Broder im Schulterschluß mit Sarrazin (SB)



Henryk M. Broder hat in Thilo Sarrazin eine verwandte Seele gefunden. Verwundern kann das nicht, erschöpft sich beider Bedeutung doch darin, bundesdeutsches Elitendenken öffentlichkeitswirksam abzusondern, um damit der Konsolidierung herrschender Verhältnisse und deren zukunftsträchtiger Fortschreibung das Wort zu reden. Jeder auf seine Weise und dabei vereint im opportunistischen Jargon protegierten Hofnarrentums gesellschaftlicher Macht, lektionieren sie deren Opfer. Sie denunzieren menschlich zugewandte Umgangsformen als Zwangsdiktat und Mitleid als alberne Schwäche, strafen das wachsende Heer der Ausgegrenzten als Versager ab und prügeln widerständige Regungen nieder, indem sie darin Anmaßung und Gewalttat verorten. Ohne Rücksicht auf argumentative Schlüssigkeit hauen sie den Schwachen um die Ohren, was endlich einmal ohne Rücksicht auf politisch korrektes Gefasel ausgesprochen werden müsse: Daß sie sich gefälligst fügen und ducken sollen, wo immer sich der Erfolgsmensch Bahn bricht. Die Botschaft ist unmißverständlich: Ihr seid nicht von unserem Fleisch, euer Wert ist nicht derselbe, eure Frechheiten entlarven euch als Pöbel.

So findet denn Sarrazins jüngster Ausflug nach Kreuzberg in Broder einen glühenden Anhänger, der sich als Kommentator der Berliner Morgenpost in einer Tirade gegen all jene ergeht, die im Auftritt des ehemaligen Berliner Finanzsenators und Ex-Bundesbankers in Begleitung eines Fernsehteams der ZDF-Sendung "Aspekte" die Provokation sahen, als die sie konzipiert war. Sarrazins Rausschmiß aus Kreuzberg sollte Konsequenzen haben, wettert Broder. Es wäre sinnvoll, die Besucher darauf hinzuweisen, daß in diesem Stadtteil eine "sozial befreite Zone" entstanden ist, die nur "auf eigenes Risiko" betreten werden dürfe. [1]

Indem er den peinlichen Rückzug Sarrazins aus Kreuzberg, wo man seinem scheinheiligem Auftritt nicht auf den Leim ging, einleitend in wilder Assoziation mit den sogenannten "national befreiten Zonen" im Osten Deutschlands gleichsetzt, bedient sich Broder des abgehalfterten Manövers, kritisches Engagement und Parteinahme für die Schwachen mit rechtsradikaler Gesinnung gleichzusetzen. Hier spricht der saturierte Bürger mit der Staatsmacht im Rücken, der alles in einen Topf wirft, was jenseits seines engen Horizonts Gründe haben könnte, im Unterschied zu ihm mit den herrschenden Verhältnissen nicht konform zu gehen:

Anders als in den "national befreiten Zonen" im Osten haben in Kreuzberg nicht die Neonazis und die Rechtsradikalen das Sagen, sondern deren fortschrittliche Counterparts, die darüber entscheiden, wer ein "Faschist" beziehungsweise ein "Rassist" und deswegen in Kreuzberg nicht willkommen ist. Gestern war es Thilo Sarrazin, morgen könnte es jemand sein, der das "Kreuzberger Milieu" als das beschreibt, was es ist: ein spießbürgerliches Biotop, bewohnt von linken Reaktionären, die nichts dabei finden, das System abzuschöpfen, das sie zutiefst verachten. Und das sind nicht die Gewerbetreibenden mit Migrationshintergrund, die inzwischen einen wesentlichen Teil der Kreuzberger Ökonomie ausmachen, sondern deren Vormünder, mit und ohne Migrationshintergrund, die es sich in einem weitgehend rechtsfreien Raum gemütlich eingerichtet haben.

Die absurde Behauptung, in Kreuzberg existiere ein weitgehend rechtsfreier Raum, entlarvt Broder als Protagonisten einer repressiven Durchsetzung von Recht und Gesetz gegen die Bewohner dieses "Biotops" voller Schmarotzer. Er verhöhnt menschliche Zusammengehörigkeit, die sich alljährlich beim Tanz in den Mai im Aufmarsch der autonomen Antifa gegen die Polizeikräfte entlade, und beklagt dabei ausschließlich die Schäden auf seiten der letzteren. Autos würden abgefackelt, Bagatelldelikte nicht mehr aufklärt: Das seien "die sauren Früchte der Toleranz, die in Berlin dazu geführt hat, dass Mehrfachtäter Mengenrabatt bekommen". In der Gewißheit, daß sein Ruf nach der Staatsgewalt nicht ungehört verhallt, weil diese längst präsent ist, erklärt er einen arglosen Sarrazin zum Opfer bösartiger Angriffe einer Clique, der man nicht ungestraft den Spiegel vorhalten dürfe:

(...) mitten in Berlin, im multikulturell aufgekratzten Kreuzberg, dem Utopia der alternativen Subkultur, die sich von der Gesellschaft abgespalten hat, um ein selbstbestimmtes, von ökonomischen Zwängen befreites Leben zu führen.

Broder macht sich lustig über Hans-Christian Ströbele, der eine breite Front gegen die Eröffnung eines McDonald's-Restaurants angeführt habe, und findet die Kampagne einer Kreuzberger Bürgerinitiative gegen den Ansturm der Touristen absurd, da diese schließlich viele Millionen in die Berliner Kassen brächten. Alles ist Henryk M. Broder verhaßt, was nach Subkultur, Rückzug von der Gesellschaft, Protest gegen deren Zwänge riecht. Wer sich wie er all solcher Konflikte, Widersprüche und Kämpfe enthoben dünkt, thront hoch über den Drangsalierten und Verachteten, die zu treten er für den Beweis erachtet, daß man mit Abschaum eben nicht anders verfahren dürfe. So marschiert er Seite an Seite mit Thilo Sarrazin unverdrossen in eine verheerende Zukunft für die bundesdeutsche Bevölkerung, sind beide doch der festen Überzeugung, daß sie als Steigbügelhalter der Profiteure allemal am besten fahren.

Fußnote:

[1] http://www.morgenpost.de/berlin/article1709997/Warum-Sarrazin-aus-Kreuzberg-vertrieben-wurde.html

23. Juli 2011