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KULTUR/0895: Kino für Herrenmenschen - "300" predigt den Kulturkampf (SB)



Was immer den dänischen Regisseur Lars von Trier dazu veranlaßt haben mag, öffentlich Reue für seinen Film "Dogville" zu bekunden, weil dieser an dritter Stelle auf der Liste der Lieblingsfilme des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik steht, ist dazu angetan, einer unterwürfigen Moral in Kunst und Kultur Vorschub zu leisten. Wollte man alle möglichen negativen Folgen künstlerischen Schaffens ausschließen, dann müßte man konsequenterweise ganz darauf verzichten. Kunstwerke erlangen gesellschaftliche Relevanz auch und gerade dadurch, daß sie zentrale Konfliktpunkte aufgreifen und auf eine Weise entwickeln, die ihrer Bewältigung zuarbeiten. Die bei jeder monströsen Gewalttat stets aufs Neue losbrechende Diskussion um die angebliche Verantwortung bei den Tätern beliebter Filme, Bücher, Spiele etc. dient allein der Verödung einer intensiven Auseinandersetzung mit gewaltaffinen Problemen, die fundamentalere Fragen aufwerfen könnten.

So ist die Kritik an kriegsverherrlichenden Filmen, in denen Lust am Morden bereitende Feindbilder produziert werden, überfällig. Bezeichnenderweise findet keine Debatte darüber statt, an welchen Vorbildern sich Bombenschützen, die ein afghanisches Haus vernichten, orientieren. Auch hat die in TV-Serien und Kinofilmen immer häufiger positiv bewertete Aussageerpressung durch Folter nicht dazu geführt, daß die ProduzentInnen derartiger Machwerke auf die verheerenden Folgen hingewiesen werden, die ihre Zwangslogik auf ein unbedarftes Publikum haben kann. Letztlich entscheidend für den Umgang mit drastischen Gewaltszenen ist ihr Kontext, ist die Frage, ob sie zu kritischen Schlußfolgerungen Anlaß geben oder Zustimmung zu herrschenden Formen staatlicher Gewaltanwendung erzeugen.

Letzteres ist zweifellos der Fall bei dem auf Platz zwei in Breiviks Liste beliebter Filme geführten Titel. Nach "Gladiator" hat sich der neofaschistische Massenmörder durch "300" inspirieren lassen. Weder der für die Filmvorlage verantwortlich zeichnende Comic-Autor Frank Miller noch Regisseur Zack Snyder befanden es für erforderlich, diese Würdigung aus berufenem Mund zu kommentieren. Sie entspricht den zahlreichen Vorhaltungen europäischer Filmrezensenten, die "300" kriegsverherrlichende und faschistoide Durchhaltepropaganda für den Irakkrieg anlasteten, was Regisseur Snyder zu der beleidigten Reaktion veranlaßte, man lebe offensichtlich in einer Welt, "in der die Idee verpönt ist, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen."

Wes Geistes Kind diese Werte in seiner Lesart sind, belegt die Einhelligkeit des in diesem Film präsentierten eugenischen Sozialdarwinismus. Seine Handlung bedient sich der historischen Schlacht an den Thermopylen im antiken Griechenland, um eine ganz und gar zeitgemäße Botschaft an den Mann - und vor allem wenn er im rekrutierungsfähigen Alter ist - zu bringen. Die von den barbarischen Horden Asiens berannte freie Welt wird von einer Handvoll heldenhafter Kämpfer gerettet, die sich selbst im Angesichte des Todes nicht unterwerfen und damit allen anderen ein leuchtendes Beispiel für die Notwendigkeit des Opfermuts bieten. Das Szenario ist so austauschbar wie die Botschaft einsilbig, doch die düster nekrophile Inszenierung heroischen Einsatzes und kämpferischen Exzesses gewährleistet, daß sie zumindest bei denjenigen ankommt, die eine Vorliebe für bellizistischen Pathos und moribunde Heldengeschichten haben. Wen die schwülstige Glorie des Kriegerethos Spartas anspricht, den wird die Empathie der Botschaft zweifellos erfassen. Wer sich von den menschenfeindlichen Inhalten abgestoßen fühlt, den läßt die technische Perfektion des Streifens ebenso kalt wie das Kalkül des Regisseurs, mit opulenten Schlachtszenen und einem Hybrid aus zeichnerischer und filmischer Bildgebung ein Vehikel für die bittere Durchhalteparole zu schaffen, laut der die Zukunft der besseren Kultur gehört und daher mit Feuer und Schwert erkämpft werden muß.

"300" arbeitet keineswegs spielerisch oder verschlüsselt mit den Zeichen und Symbolen sozialdarwinistischer Vergesellschaftung und imperialen Machtstrebens. Gleich in der ersten Szene wird der eugenische Charakter der Gesellschaft Spartas anhand einer Neugeborenenselektion ins Bild gesetzt und durchhallt anhand der Karriere des überlebenden Säuglings zum Kriegerkönig Leonidas als positiv akzentuierter Biologismus den ganzen Handlungsverlauf. Der Stolz der Frau hat darin zu bestehen, unvergleichliche Krieger auf die Welt zu bringen, wie es eben nur Spartanerinnen können. Der Ruhm des Mannes gründet in der Aufzucht des Sohnes zum Krieger nach der einzigen Maßgabe, daß die Welt kein Ort für Schwächliche ist.

Diese in anzüglicher Rhetorik propagierte Überlebensdoktrin muß sich nun gegen den Ansturm der grausamen und finsteren Horden des persischen Heeres durchsetzen, die mit jedem Attribut ihrer Existenz die Höherwertigkeit der griechischen, sprich weißen Rasse unterstreichen. Sie bestehen aus "hundert Völkern", sind also ein genetisch maximal diversifizierter Haufen, der nur durch den grausamen und verschlagenen Tyrannen Xerxes zusammengehalten wird. Wo kumpelhafte Männerfreundschaft und die für die Verklärung der Blutsbande im US-Kino signifikante Vater-Sohn-Tragödie die Individualität der griechischen Krieger ausloten, lassen die persischen Soldaten keinerlei humane Regung erkennen. Wo die Griechen zwar uniform und als Handlungseinheit, aber doch gut unterscheidbar auftreten, marschieren die persischen Angreifer als gesichtslose Phalanx eines totalitären Regimes auf.

Der Verräter an Sparta stammt natürlich aus den Reihen grotesk verwachsener Priester, als Ergebnis inzestuöser Sündhaftigkeit verdorben bis ins Mark. Monströse Homunkuli in der Armee der Perser, gleichsam ins Fleisch getriebene Waffensysteme, verkörpern den Phänotyp eines Untermenschen, wie er aus dem erbbiologischen Lehrbuch der NS-Rassenkunde entsprungen sein könnte. Bar jeden Ehrgefühls und in ihrer Lebensäußerung reduziert auf archaische Gier und Mordlust lassen diese seelenlosen Kretins das edle Antlitz und die athletische Physis der griechischen Helden um so strahlender erscheinen.

Der Krieger bewährt sich nicht nur auf dem Schlachtfeld, er wird im Unterschied zu den Abgeordneten Spartas auch als Idealtypus politischer Handlungsgewalt dargestellt. Die Republik erweist sich als Behinderung zu allem entschlossener Männer, in deren Hände das Gesetz zu höherer Ordnung und Gültigkeit gelangt. Letztlich schützt nicht Demokratie, sondern autoritäre Herrschaft das Land in Zeiten der Bedrohung besser als Politiker, die stets den eigenen Vorteil im Sinn haben. "300" reproduziert den im Terrorkrieg dominanten Topos des Ausnahmezustands als letztendlich überlegene Form staatlichen Handelns auf exemplarische Weise. Die Suprematie des Starken verträgt keine konfrontativen Dispute, sie ist im Führerstaat weit besser aufgehoben als in einer demokratischen Gesellschaft. So wird in "300" zwar das ganze Arsenal normativer politischer Orientierungen wie Freiheit, Recht und Gesetz aufgefahren, auf das Lob der Demokratie, die in der griechische Antike ihre Wiege haben soll, hat man wohlweislich verzichtet.

Der Verweis darauf, daß die anrückenden persischen Heere mit Sparta die "Hoffnung der Welt auf Vernunft und Gerechtigkeit" - sprich die westliche Kultur - "auslöschen" wollen, sowie die inflationäre Verwendung des für die imperiale Sinnstiftung zentralen Begriffs der "Freiheit" entheben den Zuschauer der Notwendigkeit, die in "300" servierte Botschaft eigens zu dekodieren. Man hat sich nicht die Mühe gemacht, die ideologische Legitimation westlicher Kriegführung diskret zu verstecken, sondern verabreicht sie in garantiert wirksamer Überdosis.

Dabei steht die Chiffre Sparta nicht nur für naheliegende Beispiele moderner Aggressoren, sie verkörpert jeden aggressiven Militärstaat, dessen Gesellschaft die kriegerische Durchsetzung ihrer nationalen Agenda zum vordringlichen Anliegen erklärt. Daß der nationale Pathos, der in "300" durch die Verteidigung der Republik gegen eine übermächtige Bedrohung legitimiert wird, auf imperiales Großmachtstreben hinausläuft, ist kein Widerspruch, sondern logische Konsequenz der biologistischen Vergesellschaftung. Die eugenische Auslese ist nicht nur Mittel zum Zweck, sie ist Ausweis naturgegebener Herrschaft und Rechtfertigung kriegerisch erwirkter Vormacht.

Die in "300" propagierte zivilisatorische Überlegenheit des Westens wird zudem durch explizite Äußerungen des Inhalt wie Bildgebung des Films maßgeblich prägenden Comiczeichners Frank Miller belegt. In einem Interview mit National Public Radio (24.01.2007) sah er "unser Land und die gesamte westliche Welt von einem existenziellen Feind, der genau weiß, was er will", bedroht. Der Herausforderer fröne einem "Barbarismus des sechsten Jahrhunderts" - also islamischer Art - und respektiere kulturelle Normen, wie sie für die westliche Welt üblich sind, in keiner Weise. "Ich spreche in ein Mikrofon, das niemals ein Produkt ihrer Kultur hätte sein können, und ich lebe in einer Stadt, in der dreitausend meiner Nachbarn durch Diebe von Flugzeugen getötet wurden, die sie niemals hätten bauen können." Schließlich kritisierte Miller den damaligen Präsidenten George W. Bush dafür, sich nach dem 11. September 2001 nur des Militärs bedient und vermieden zu haben, die ganze Nation in den Kriegszustand zu versetzen.

Es ließe sich noch vieles zu dem historischen Zerrbild sagen, mit dem 300" aufwartet. So könnte man die Selbstherrlichkeit, mit der eine jahrtausendealte Kultur wie die Persiens zum Hort der Barbarei erklärt wird, nach Strich und Faden demontieren, oder die Darstellung der Perser im Film als reprojektiven Entlastungsversuch US-amerikanischer Kriegführung im Irak wie Vorbereitung eines Krieges gegen den Iran kritisieren. Der Film bietet zahlreiche Ansatzpunkte, seine propagandistische Intention herauszustreichen und Kritik an der Kumpanei der Kulturindustrie mit der Kriegführung Washingtons zu üben. "300" ist ein besonders drastisches Beispiel für ein cineastisches Kunstprodukt, das eine ideologische Orientierung schaffen kann, die in hohem Maße übertragungsfähig und verallgemeinerbar ist. Da seine Macher im Mainstream islamfeindlicher westlicher Suprematie schwimmen, haben sie keinen Anlaß, etwas von dem zurückzunehmen, was als unmißverständliche Botschaft nicht nur bei Anders Behring Breivik auf fruchtbaren Boden fiel.

4. August 2011