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KULTUR/0906: Journalismus in der Krise berufsständischer Bestandsicherung (SB)



Um die Glaubwürdigkeit der etablierten Presse ist es nicht zum besten bestellt. Der Berufsstand des Journalisten, seit jeher vom Ruch sensationsheischender Penetranz kontaminiert, rutscht nicht nur auf wohlfeiler Boulevardisierung aus und havariert mit PR-Schlagseite. Er ist allein dadurch, daß er als lohnabhängige Profession unter kapitalistischem Verwertungszwang steht, vom warenförmigen Charakter seiner Produktivität korrumpiert. Daß das Gros der Journalisten im Ergebnis sich weder mit den monopolkapitalistischen Strukturen anlegt, die auch das Verlagsgewerbe beherrschen, noch eine antikapitalistische Staatskritik wagt, die die Teilhaberschaft der eigenen Lohnherren an diesem Kartell notgedrungen aufdeckte, ist nicht zuletzt der Abhängigkeit vom hart verdienten Salär geschuldet. Das Diktat rentabilitätssteigernder Kostensenkung verschärft den Konkurrenzdruck unter den Medienarbeitern, so daß jegliches solidarische Aufbegehren gegen die Herrschaft des Renditedrucks wirksam unterminiert wird.

Wenn dann, wie Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten [1] bereits kritisiert hat, die Schuldigen für die Misere des professionellen Journalismus in informelleren Formen medialer Berichterstattung und Debatte gesucht werden, dann wird damit nicht nur ein beliebiger Kontrast zur eigenen Problematik aufgezeigt. Im Konzeptflyer zum 16. MainzerMedien-Disput, verfaßt von einer betont "unabhängigen", aus Claudia Deeg, Michael Grabenströer, Prof. Dr. Thomas Leif und Thomas Meyer bestehenden Projektgruppe, wird ohne Not ein Konkurrenzverhältnis zu diesen Formen des öffentlichen Disputs aufgebaut und dem beklagten Glaubwürdigkeitsverlust des etablierten Journalismus so weitere Nahrung verschafft:

Demgegenüber suggerieren Internet-Blogger und "Social Media" neue "Wahrhaftigkeit". Sie haben einen Mythos freier, allgegenwärtiger Informationen geschaffen. Die Folge: klassische Medien und ihre Macher geraten auf die Verliererstraße. Viele Journalistinnen und Journalisten finden sich plötzlich in der Orientierungslosigkeit wieder. Das geht einher mit Verlusten ihrer Identität und der ehemals vorhandenen "Deutungshoheit" im gesellschaftlichen Diskurs." [2]

Vielleicht besteht das Problem ja unter anderem darin, die Gesellschaft überhaupt in Gewinner und Verlierer einzuteilen. Vielleicht trägt die Unterwerfung unter eine Ordnung, die "Orientierung" für affirmativ auszurichtende Menschen produziert, anstatt die Emanzipation von derartigen Unterwerfungspraktiken zu fördern, zum Paradox bei, daß die Produzenten autoritativer Sichtweisen selbst beratungsbedürftig werden. Dabei zu verlieren, was man selber nie besessen, sondern als gesellschaftliches Lehen verwaltet hat, läßt sich denn auch nur in Heller und Pfennig, sprich in Einschaltquoten und Auflagenzahlen, darstellen.

Die Krise des Journalismus ist nicht neu, sie ist kein Ergebnis der Verbreitung informationstechnischer Kommunikationssysteme oder der krisenhaft verschärften Verwertungsbedingungen. Die erweiterten Formen der Produktion und Distribution publizistischer Inhalte decken lediglich auf, daß das Privileg der Deutungshoheit stets ein berufsständischer Pakt mit den herrschenden gesellschaftlichen Eliten war. Zum Gegenstand wirksamer Kritik wird dieses Bündnis durch die emanzipatorische Entwicklung, daß immer mehr Menschen sich aus idealistischen Gründen in Eigenregie mit qualifizierten Beiträgen am öffentlichen Diskurs beteiligen. Zwar wurde dies durch Innovationen der Informationstechologie maßgeblich ermöglicht und beschleungt, doch ist diese lediglich Mittel zu einem Zweck, der gar nicht erst in Erscheinung getreten wäre, wenn die etablierten Medien so offen, demokratisch und unabhängig gewesen wären, wie sie laut den im Konzeptflyer aufgeführten rechtlichen Grundlagen journalistischer Tätigkeit sein könnten.

Der blinde Fleck nicht gewagter Systemkritik hat zwingend zur Folge, die Schuld für das eigene Versagen nicht in objektiven Produktionsbedingungen zu suchen, sondern die kulturindustrielle Verblendung dort anzusiedeln, wo zwar Meinungen und Spekulationen aller Art ins Kraut schießen, aber auch unbestechliche Herrschaftskritik geübt wird. Im Rahmen konstitutiver Widerspruchslagen, die, wie dem Problemaufriß im Konzeptflyer zu entnehmen, den professionellen Journalismus fest im Griff haben, von etwas anderem auszugehen als einer disparaten Unübersichtlichkeit hieße so fest an die Gültigkeit herrschender Wahrheiten zu glauben, wie es das Gros der deutschen Medien im Libyenkrieg getan hat, um nur ein Beispiel für die fest auf der Seite der Stärkeren postierte publizistische Feuerkraft der Mehrheitsmedien zu nennen. Auch wenn sich Blogger und andere Teilnehmer am öffentlichen Diskurs mitunter verheben, sind sie im Unterschied zur Klasse der von Verlagskonzernen und Sendeanstalten abhängigen Lohnschreiber doch nicht so unfrei, daß sie die Möglichkeit, zu einer Sicht von unten durchzustechen, brachliegen ließen.

Bei aller Notwendigkeit, die handwerklichen Prinzipen des Journalismus zu beherzigen, läßt sich das Probem, wie im Konzeptflyer versucht, nicht damit beheben, indem ein Widerspruch zwischen "Inhalten (Relevanz)" und "äußerer Form (Interesse)" aufgestellt wird. Wer bestimmt denn die Relevanz der Inhalte, wenn, um im Beispiel zu bleiben, die Aggression der NATO in Libyen unter Verweis auf ihre Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat rechtfertigt wird und bis zu 60.000 tote Kriegsopfer als bloßer Kollateralschaden der in Anspruch genommenen Schutzverantwortung verbucht werden? Welcher bei Springer oder Bertelsmann angestellte Journalist wagt es denn, die Dämonisierung des libyschen Machthabers Gaddafi mit der kolonialistischen Kriegführung der NATO zu konterkarieren, um zu bedenken zu geben, daß dieser Krieg für die Masse der libyschen Bevölkerung materielle Nachteile mit sich bringt, die die bejubelte, für schwarze Libyer und Anhänger der bisherigen Regierung keineswegs gegebene Freiheit nicht aufwiegen kann? Wie relevant also ist eine Kriegsberichterstattung, deren analytischer Tiefgriff im Ergebnis die Vorwände für eine imperialistische Aggression bestätigt?

Das Interesse an spektakulären Bildern arbeitet sich derweil daran ab, daß eine Journalistin nach Art ansonsten verachteter Trophäenjäger mit der Leiche des ermordeten Gaddafi posiert. Geht man dieser Zurschaustellung auf den Grund, dann könnte die Gewalt medialer Bildproduktion durchaus relevante Erkenntnisse über die Einbindung der Funktionseliten der NATO-Staaten in diesen Krieg zutage fördern. "Relevanz" allein ist so aussagelos wie der PR-Begriff "Qualitätsjournalismus", auf den immer wieder verwiesen wird, wenn die Debatte im virtuellen Raum droht, auf die gesellschaftliche Realität überzugreifen. Dort streitbar Position zu beziehen und sich nicht von der symbolpolitischen Indoktrination massenmedialer Kapitalverwertung beeindrucken zu lassen versucht derzeit eine Protestbewegung in den USA, deren Subjekte entdecken, daß man im Gespräch auf der Straße viel herausfinden kann, was ihnen vor dem Fernseher stets entgangen ist. Gewinnt diese Bewegung an Fahrt, dann droht der etablierte Journalismus noch mehr an den Rand des gesellschaftlichen Geschehens manövriert zu werden. Von daher sind die Verfasserinnnen und Verfasser des Konzeptflyers in ihrer Sorge um den eigenen Berufstand durchaus instinktsicher.

Fußnoten:

[1] http://www.nachdenkseiten.de/?p=11190

[2] http://www.mediendisput.de/news.php?news_id=98

6. November 2011