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KULTUR/0919: Eigenlob tut not - Qualitätsjournalismus fürchtet Bedeutungsverlust (SB)



Einen kapitalen Bock erlegt zu haben, meinen die bürgerlichen Medien im allgemeinen und die Springer-Presse im besonderen, indem sie maßgeblich zum Rücktritt Christian Wulffs vom Amt des Bundespräsidenten beitrugen. Man ist voll des Eigenlobes, hebt die Unverzichtbarkeit des investigativen Journalismus und gründlichen Recherchierens hervor und scheint es nötig zu haben, Blogger und Online-Medien auf die Plätze zu verweisen, indem man sie bezichtigt, dem sogenannten Qualitätsjournalismus lediglich hinterherzuhecheln.

Tatsächlich war die in den traditionellen Medien immer stärker wahrgenommene Debatte im Internet stark von Häme und Spekulationen bestimmt. Während es an der Verankerung der Demontage Wulffs im größeren politischen Kontext eher mangelte, schlugen Gerüchte und Legenden ins Kraut, deren Urheber sich unter anderem in frauenfeindlicher Weise an der Ehefrau Wulffs vergingen.

Der zwischen ihm und der Bild-Zeitung ausgetragene Machtkampf war allerdings nicht minder von kleinlicher Aufrechnerei bestimmt. So wurde Wulff vor allem mit mutmaßlichen Verfehlungen zur Strecke gebracht, die während seiner Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens stattfanden, was die Frage aufwirft, warum Bild diese Verdachtsmomente nicht schon früher aufgegriffen und nachrecherchiert hat. Bekanntlich wurde Wulffs Aufstieg von diesem Boulevardblatt erheblich unterstützt, indem jeder moralische Makel, der aufgrund der Scheidung mit seiner vorherigen Ehefrau an ihm hätte haften können, in einen Beleg für besondere Charakterstärke verwandelt wurde. Auch wurde die Frage, wieso der Stein des Anstoßes erst mehrere Wochen, nachdem Wulff auf den Anrufbeantworter des Chefredakteurs der Bild-Zeitung, Kai Dieckmann, gesprochen hatte, ins Rollen gebracht wurde, niemals befriedigend beantwortet.

Was immer sich Bild und Konsorten nun als journalistische Leistung zugutehalten mögen, am opportunistischen Charakter ihrer Arbeit kann schon deshalb kein Zweifel bestehen, als die großen Verlags- und Medienkonzerne der Bundesrepublik stets im Interessen der Klassenherrschaft ihrer Eigner und Manager agieren. Wieso wohl schlagen sie die Kriegstrommel gegen den Iran, wie sie es letztes Jahr im Falle Libyens taten, wo der Interventionismus der NATO ein soziales Trümmerfeld hinterlassen hat und die neuen Herrscher mit Folter und Gewalt regieren? Wieso berichten sie nicht über hungerstreikende Palästinenser oder massakrierte Kurden, wieso werden Prozesse nach dem Gesinnungsparagraphen 129 b StGB gegen türkische Kommunisten oder der Widerstand Tausender Insassen US-amerikanischer Isolationsknäste unterschlagen, wieso ist ihnen das materielle Leid der griechischen Bevölkerung ein Grund mehr, die Schuldfrage stets zu Lasten der am meisten von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung betroffenen Menschen zu beantworten?

Fragen dieser Art sind rein symbolischer Art, denn die Liste schlicht ignorierter, die Herrschaft von Staat und Kapital in ihrem gewaltgestützten Charakter entlarvender Entwicklungen oder zum Ergötzen des Publikums verächtlich gemachter Schicksale sprengt den Rahmen jedes Versuchs, den Stand neofeudaler Arriviertheit dieser Meinungsführer auf eine Weise zu erfassen, der nicht sogleich wieder vom nächsten Akt geiler Menschenverachtung im Stahlbad des Dschungelcamps oder antikommunistischer Demagogie bei der Bezichtigung der Linkspartei überholt wird. Greifen die Protagonisten einer Kritik, die diesen Namen nicht verdient hat, weil sie sich niemals mit den wirklich Mächtigen anlegt, zum Mittel der Selbstbeweihräucherung, während es ihnen im wesentlichen um Marktanteile geht, dann erweist sich die unterstellte Irrelevanz der Internet-Konkurrenz als bloße Apologie herrschaftlicher Konsensproduktion.

Zu verteidigen gibt es in Zeiten der Krise des Kapitals und seiner Legitimationsproduzenten vieles, was nicht zum Gegenstand einer offenen gesellschaftlichen Diskussion werden soll, wie sie zur Zeit noch am ehesten auf den Foren und in den Portalen des Internets stattfindet. Wo sich Menschen unzensiert zu Wort melden können, die ansonsten aus Mangel an materieller Bemittelung keine Stimme hätten, treibt vieles ins Kraut unreflektierter Überzeugungen und feindseliger Ressentiments. Es wachsen aber auch viele Blüten eines egalitären Austausches bemühter Analysen und entschiedener Positionen, die einen Anspruch auf Partizipation erfüllen, der in kapitalgestützten Medien den Maßgaben des Verwertungsprimats unterworfen wird. Diese Kultur der demokratischen Meinungs- und Willensbildung fürchten die Konzernmedien zu Recht. An ihr wird die Haltlosigkeit eines berufständischen Ethos deutlich, laut dem Journalisten politische Entwicklungen einzuordnen und dem Publikum Orientierung in einer immer komplexeren Welt zu verschaffen hätten. Die Menschen können jedoch selber denken, und je mehr sie dies tun, desto weniger benötigen sie bezahlte Experten, deren Vorgaben, wie unschwer zu belegen ist, nicht selten in die Irre der Subordination unter herrschende Interessen führen.

19. Februar 2012