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KULTUR/0922: Zappenduster beim Zapfenstreich - Resterampe Verfassungsstaat (SB)



Der Bundespräsident a. D. lädt zum Staatsakt, doch kaum einer will kommen. Eingeladen wird ohnehin nur, wer vielleicht käme, doch zeigen sich diejenigen, die bereits zu erkennen gegeben haben, daß sie diesen Termin nicht wahrnehmen wollen, düpiert darüber, daß sie nun nicht einmal ablehnen können. Häme allerorten über diesen nicht nur moralisch angeschlagenen, sondern bei seinem PR-Management von einem Fettnäpfchen ins andere tretenden CDU-Politiker. Breit diskutiert wird die Auswahl der Musiktitel, die der zurückgetretene Bundespräsident bei seinem Abschied hören will. Sehr zu Erheiterung trägt bei, daß er sich diese allgemein als schmachvoll beurteilten Minuten mit der eskapistischen Hymne "Over The Rainbow" versüßen will. Unterlegt wird die Aussicht auf eine zwischen Komischer Oper und Drama vom gefallenen Helden changierende Veranstaltung mit ausführlichen Aufrechnungen dessen, was die weitere Versorgung des ehemaligen Staatsoberhaupts die Steuerzahler kosten wird.

Was bedeutet ein Staatsakt, bei dem sich aus Angst davor, der Schimmel des Zerfalls und die Fäulnis der Korruption könnten auf ihn abfärben, kaum einer der honorigen Politiker zeigen will, die diesen Staat ansonsten gegen jegliche Schmähung vehement verteidigen, für die von ihm verfügte Gesellschaft? Wie steht es um das Ansehen der Bundeswehr, wenn sich der mit Hohn und Spott übergossene Bundespräsident a. D. damit schmückt, er habe das Angebot des Bundesministers der Verteidigung zur Abhaltung eines Großen Zapfenstreichs "gerne angenommen, da ihm die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten während seiner Amtszeit ein besonderes Anliegen waren", und dies auch noch mit einem ausführlichen Terminplan seiner Amtstermine bei der Bundeswehr dokumentiert? [1]

Der Abgang Christian Wulffs ist ein Abgesang auf die Werte des Verfassungsstaats, den man dem Chor derjenigen, die ihn intonieren, kaum zugetraut hätte. Indem die bürgerlichen Medien, allen vor an die Springer-Presse, auf einen von ihnen selbst hochgeschriebenen und von ihnen wieder fallengelassenen Repräsentanten der bürgerlichen Mitte eindreschen, verschärfen sie die Gangart bei der Zurichtung des Menschen auf seinen wesentlichen Nutzen, die Reproduktion der Gesellschaft klaglos und unter immer härteren Bedingungen zu gewährleisten. Indem sie Wulff auf Heller und Pfennig vorrechnen, wie verwerflich die Inanspruchnahme ihm gesetzlich zustehender Versorgungsleistungen ist, verorten sie den parasitären Eigennutz in einem Bürgertum, das allen Grund hätte, gegen die Sozialisierung der Verluste des Finanzkapitals aufzubegehren. Indem sie die Auflistung kleinster Vergünstigungen, die Wulff illegalerweise in Anspruch genommen haben soll, zu ihrer eigenen Pfennigfuchserei machen, bringen sie die sozialen Verhältnisse in dieser Gesellschaft auf den einfachsten Nenner des Futterneids. Indem sie den die autoritäre Maßregelung kleinster Abweichungen zur Moral der besseren Menschen verabsolutieren, produzieren sie einen Legalismus der Vergeltung, die Menschen verrecken läßt oder gewaltsam zu Tode bringt, wenn man ihnen nur anlasten kann, daß sie selbst daran schuld hätten.

Wulffs Versuch, sich bei den Soldaten der Bundeswehr anzubiedern, läßt einen Militarismus hochleben, der mit hehren Absichten verklärt, was sich als Impetus der Beutemacherei in nichts von dem unterscheidet, was dem gefallenen Bundespräsidenten angelastet wird. Vorgeführt beim großen Zapfenstreich wird nicht nur ein Bürger, der über seine Vorteilsnahme gestolpert ist und nun versucht, mit allen Mitteln den Rest seines zerstörten Rufs zu retten. Vorgehalten wird dem ob dieses Schauspiels wahlweise entsetzten oder amüsierten Publikum der Spiegel einer Gesellschaft, die im Zaum ihrer Reproduktion zu halten mehr bedarf als einer liberal-demokratischen Verfassung. Die neue Garde eines von allen humanistischen Bedenken bereinigten Regimes kapitalistischer Verwertungseffizienz steht schon bereit, den Staat zu den dazu erforderlichen Maßnahmen unter Verweis darauf zu ermächtigen, daß die Gefahren krisenhafter Eskalation mit dem Luxus einer demokratischen Verfassung nicht vereinbar wären. Auf dem Programm eines Krisenmanagements, das seiner symbolpolitischen Legitimation immer weniger bedarf, weil etwaiger Widerstand mit der Androhung des Entzug lebenswichtiger Versorgung auf sehr viel direktere Weise unterdrückt werden kann, steht die Totalität eines Überlebensprimats, das auf die Staatsmacht übersetzt Herrschaft in Reinkultur bedeutet.

Fußnote:

[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Reisen-und-Termine/2012/03/120308-Zapfenstreich.html

7. März 2012