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KULTUR/0926: Von Torten und Schuhen - Welches Gesicht hätte Joseph Fischer zu verlieren? (SB)




Das Thema Nachhaltigkeit und die Welt von morgen werde zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufgegriffen, erklärten ohne erkennbare Ironie die Organisatoren einer Veranstaltung, die dem in Winterthur ansässigen Club of Rome gewidmet gewesen wäre, hätte sie denn stattgefunden. Am heutigen Samstagabend sollte dort kein geringerer als der ehemalige deutsche Außenminister und Vizekanzler Joseph Martin Fischer über "globale Herausforderungen, Nachhaltigkeit und die Grenzen des Wachstums" sprechen, doch sah er sich durch widrige Umstände genötigt, diese Herausforderung denn doch nicht anzunehmen und einen Rückzieher zu machen. Ein Antikapitalistisches Bündnis Winterthur hatte Fischer im Vorfeld der Veranstaltung als Kriegstreiber und Wirtschaftslobbyisten bezeichnet und dazu aufgerufen, ihn zu verjagen: "Kommt zahlreich und kreativ, mit Schuhen und Torten", hieß es im Aufruf. [1]

Fischer, der offenbar trotz alledem zur Auffassung neigt, er habe noch ein Gesicht zu verlieren, sagte seinen Auftritt, der zwangsläufig von Störungen und einem Großaufgebot an Sicherheitskräften begleitet gewesen wäre, ab. Wie er im Communiqué des Theaters zitiert wird, habe ihn die Vorstellung gestört, "unter Polizeischutz über globale Herausforderungen, Nachhaltigkeit und die Grenzen des Wachstums zu sprechen". Eine solche Szenerie hätte ihn in die Zeit vor seinem Rückzug aus der Politik im Jahr 2005 zurückgeworfen, und das wolle er nicht. Fischer wäre nicht Fischer, ließe er den Verdacht im Raume stehen, er sei um seine eigene Sicherheit besorgt: "Auch ein altes Schlachtross bleibt immer noch ein Schlachtross" [2], warf er sich protzig in die Heldenbrust, als schütze ihn seine ferne Vergangenheit in der Frankfurter "Putzkolonne" vor allem Unbill der Straße, von dem er sich längst von dichtgestaffelten Polizeiketten abschirmen läßt.

"Theater beinhaltet künstlerisches Risiko und damit auch das Scheitern", kommentierte das Theater Winterthur in einer Medieninformation die Absage. Ungeachtet der Drohungen hätte man die Veranstaltung durchgeführt, da man das Credo "Der Lappen muss hochgehen" verinnerlicht habe. "Aber mit dem Herzen waren wir nicht mehr ganz dabei", deuteten die Verantwortlichen durchaus an, daß ihnen bei allem Bedauern und Verständnis für die Reaktion Fischers das Vorhaben zuletzt beträchtliches Unbehagen bereitet hatte. Der Theaterleitung seien angesichts der Entwicklung Zweifel an der Veranstaltung gekommen: "Wir wollten kein WEF veranstalten, in einem von Sicherheitskräften abgeriegelten Winterthur und Herrn Fischer unter Polizeischutz auf unsere Bühne begleiten", schrieben sie, ihre Erleichterung kaum verhehlend.

Immerhin hat ihnen der prominente Gastredner mit seinem Fernbleiben den großen Gefallen getan, sie einer Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen zu entheben, die man nicht anders als Faktenlage bezeichnen kann. Fischer, daran sei an dieser Stelle erinnert, war der Vorkämpfer lodengrüner Kriegsbeteiligung. Zu seinem Drängen auf einen Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina gesellte sich Mitte der 1990er Jahre die wirtschaftspolitische Hinwendung der Grünen zur Marktwirtschaft, womit die von ihm maßgeblich mitgeprägte "Realpolitik" endgültig an die Spitze kapitalistischer Verwertung nach außen und innen vorgedrungen war. Die rot-grüne Bundesregierung mit Fischer als verantwortlichem Bundesaußenminister führte Deutschland 1999 erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg in einen Kriegseinsatz, so daß mit seinem Namen wie auch dem der Grünen die Wiedereinführung militärischer Gewalt im Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte untrennbar verbunden ist.

Am 1. September 2006 legte Fischer sein Bundestagsmandat nieder und versilberte seine beendete politische Laufbahn mit einer umtriebigen Karriere in der Wirtschaft. Er hielt Vorträge für Investmentbanken wie Barclays Capital und Goldman Sachs, gründete eine eigene Beraterfirma, war Gründungsmitglied und Vorstand des European Council on Foreign Relations, die von dem Milliardär George Soros finanziert wird. Im Jahr 2008 nahm er einen Beratervertrag bei der Madeleine Albright gehörenden Firma The Albright Group LLC an. 2009 schloß er einen Vertrag mit den Energieversorgern RWE und OMV als politischer Berater für den geplanten Bau der Nabucco-Pipeline, die Erdgas vom Kaspischen Meer über die Türkei in die EU transportieren soll. Im selben Jahr wurde er Berater des Autokonzerns BMW und der Siemens AG in außenpolitischen und unternehmensstrategischen Fragen, seit 2010 berät er auch den Handelskonzern Rewe.

All das und manches mehr blieb dem Theater Winterthur erspart, dessen Leitung offenbar gehofft hatte, sich im Glanz des Ehrendoktors der Universitäten Haifa und Tel Aviv, Empfänger des renommierten Gottlieb-Duttweiler-Preises sowie der höchsten Auszeichnung des Zentralrates der Juden in Deutschland und des Leo-Baeck-Preises, Ehrenbürgers von Budakeszi und Heinrich-Heine-Gastprofessors der Universität Düsseldorf sonnen zu können. Was das unerfreuliche andere betrifft, hat das Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden, daß die Bezeichnung "Kriegsverbrecher" für Joseph Fischer als schwerer Angriff auf die persönliche Ehre rechtswidrig sei.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article106139122/Joschka-Fischer-sagt-nach-Drohungen-Auftritt-ab.html

[2] http://www.nzz.ch/nachrichten/zuerich/stadt_und_region/joschka-fischer-sagt-auftritt-in-winterthur-ab_1.16176138.html

31. März 2012