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KULTUR/0948: Das Dschungelcamp auf dem Elendsthron circensischer Freuden (SB)




Die für die Programmgestalter des Fernsehens wohl relevanteste Zielgruppe der 14- bis 49jährigen hat entschieden - nichts geht über das Dschungelcamp. Die RTL-Show belegte im Januar unter den 20 am meisten eingeschalteten Fernsehsendungen die ersten 17 Plätze [1]. Daß die drei verbliebenen Ränge neben dem "Tatort" von jeweils einer Folge der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" und der Kuppelshow "Der Bachelor" belegt wurden, komplettiert das Bild einer TV-Unterhaltung, die die Konkurrenz der Marktsubjekte zum Ergötzen des nicht minder von Scheitern und Absturz bedrohten Publikums als knallharten Überlebenskampf inszeniert. Da ist es nur konsequent, wenn die sechste Staffel von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus", die noch mit dem verstorbenen Co-Moderator Dirk Bach produziert wurde, für den Grimme-Preis nominiert wird - niemand verlangt von Unterhaltung, daß sie nicht auf der Höhe gesellschaftlicher Dekadenz stattfindet.

Im Mikrokosmos des telemedialen Dschungelcamps wird auf die Spitze der Verächtlichkeit getrieben, was im alltäglichen Ringen um Erfolg und Anerkennung unter der Decke ziviler Umgangsformen bleibt, um mit giftiger Virulenz letzte Reserven subjektiven Eigensinns verwertbar zu machen. Was das Entgleisen bürgerlicher Anstandsregeln und Verhaltensetiketten im Ekeltest des Dschungelcamps im Kern hervorbringt, hat weniger mit dem "wahren Gesicht" medienroutinierter Charaktermasken zu tun als vielmehr der ganz normalen existentiellen Not jeder in Bedrängnis gebrachten Kreatur. Zu erleben, daß man im Angesicht der Gefahr nicht nur alleingelassen, sondern ihr zugunsten des Fluchtraums anderer geradezu in den Rachen geworfen wird, vermittelt elementare Einblicke in die gesellschaftliche Realität. Sozialdarwinistischer Überlebenskampf geschieht nicht einfach, er ist ein höchst aktiver Prozeß, der in seiner zivilisatorischen Ausformung schon immer auf besonders perfide und intrigante Weise vollzogen wurde.

Indem der Dschungel als Synonym für ungebändigte Wildheit und das Lager als kategorische Maßnahme administrativer Kontrolle in eins gefaßt werden, entledigt sich der kulturstiftende Antagonismus von Natur und Zivilisation letzter emanzipatorischer Zwecke. An seine Stelle tritt eine zeitgemäße Praxis der Menschenzurichtung, die gerade dadurch, daß sie als großer Spaß inszeniert wird, Abgründe der Unversöhnlichkeit eröffnet. Das kann angesichts des verschärften gesellschaftlichen Verteilungskampfes nicht weiter erstaunen. Zudem ist ein kommerzielles Unterfangen, bei dem Medienpersönlichkeiten sich öffentlich demütigen lassen, weil sie sich davon berufliche Chancen erhoffen, so legitim wie jeder Raubzug, der unter Verweis auf die Rechtsförmigkeit kapitalistischer Verwertung Opfer produziert, ohne daß die Täter dafür belangt werden.

Wenn abgehalfterte Promis, die ihren Lebensunterhalt im Zirkus der medialen Aufmerksamkeitsökonomie verdienen, dem Publikum auf immer groteskere Weise zum Fraß vorgeworfen werden, dann treiben sie lediglich im Schaum eines Ozeans an Menschenverachtung, dessen Tiefen noch unergründlicher werden, als die Zerfallsprozesse an seiner Oberfläche massenmediale Blüten treiben. Was als Spaß auf Kosten des anderen dem Blick von Millionen ausgesetzt wird, findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit in weit schärferer und demütigenderer Form in Folterlagern und Abschiebeknästen, in Hochsicherheitstrakten und Bootcamps, in Sweatshops und Sklavenökonomien permanent statt. Wo Menschen staatlicher Gewalt hilflos ausgeliefert sind, reicht der Kitzel der Lust, sich an der Not und Ohnmacht des andern zu delektieren, nicht hin.

Es fehlt das Moment des offensichtlich Simulierten, das dem Zuschauer die Möglichkeit läßt, seine Freude an der Erniedrigung anderer als bloße Show zu verharmlosen. Wenn der gewalttätige Charakter des Dargebotenen in seiner absichtsvollen Destruktivität nicht mehr zu leugnen ist, dann rückt die Gefahr, selbst in den Fleischwolf zu geraten, spürbar näher. Die Faszination des Dschungellagers liegt gerade in der Ambiguität von lockerem Fun und knochenhartem Sozialstreß - Unterhaltung wird dort spektakulär, wo der Zuschauer Menschenblut leckt und sich dennoch nicht des Kannibalismus verdächtigen lassen muß. Eben deshalb kokettiert RTL mit der Realität aussichtsloser Situationen und perforiert Grenzen, die an weniger gut ausgeleuchteten Orten längst überschritten wurden.

Wo der Lohn der Käuflichkeit mit dem systematischen Provozieren von Angst, Ekel und Haß erarbeitet wird, kommt die unterhaltsame Demütigung der alltäglichen Realität des gesellschaftlichen Dschungelcamps recht nahe. Es ist nicht nur der klassische Reflex des Voyeurs, dem sich aus unbeobachteter Warte intimste und peinlichste Einblicke eröffnen, der die RTL-Show zum Publikumsmagneten macht. Es ist auch die Genugtuung des Normalsterblichen darüber, daß sich vermeintlich privilegierte Stars für demütigende Akte hergeben müssen und dabei von den Moderatoren, die die kollektive Resonanz des Publikums personifizieren, auf nicht selten erniedrigende, immer aber entsolidarisierende Weise vorgeführt werden.

Dabei ist der Wettbewerb um Sieg oder Niederlage bloßes Mittel zur Feier einer Konkurrenz, die als Rohstoff produktiver Leistungssteigerung und sozialer Unterordnung für den Bestand der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft unverzichtbar ist. Wenn die mühsam instandgehaltenen Fassaden fallen und der Showstar sich als mediokres Opfer von Umständen erweist, denen er nicht minder ausgeliefert ist als jeder Lohnabhängige, dann erfüllt das Dschungelcamp die sozialhygienische Funktion der Beschwichtigung von materieller Ausbeutung und sozialer Herabwürdigung gebeutelter Lohnarbeiter und Erwerbsloser. Wer gerne dabei zuschaut, wie Menschen in widrigen Situationen bereits unter kleinen Belastungen kollabieren und an Entbehrungen scheitern, die für Millionen alltägliches Schicksal sind, will andern die eigene Misere auflasten, anstatt mit gebotener Streitbarkeit für die Sache der Getretenen und Geschlagenen aufzustehen.

Dieser Niedergang der Unterhaltungskultur ist dem bourgeoisen Publikum unangenehm, weil er die Propaganda vom hohen Entwicklungsstand menschlicher Kultur und Zivilisation überzeugend dementiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der Medienkonzerne wie Bertelsmann und Springer eine sozialdarwinistische Gewalt zelebrierende Unterhaltungskultur inszenieren, bekräftigt ihr Interesse an der Permanenz des sozialen Krieges. In ihm kommt dem System des Lagers die Aufgabe zu, den Widerstand gegen den Arbeitszwang mit der Ausgrenzung ins Nichtmenschliche zu strafen und den Rest vernichteter Lebenschancen als Lohn der Unterwerfung in Aussicht zu stellen. Die Wildheit des Dschungels wird der Ordnung der Gesellschaft immanent gemacht, um den Kampf jeder gegen jeden noch wirksamer als Produktivfaktor kapitalistischer Vergesellschaftung einsetzen zu können.

Fußnote:

[1] http://meedia.de/fernsehen/ich-bin-ein-star-auf-1-bis-17-der-januar-charts/2013/02/01.html

3. Februar 2013