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KULTUR/0992: Kleidung als Staatsräson - wer verschleiert hier? (SB)



Die Kleidungsfrage in den Rang einer Staatsräson zu erheben, ist kein Alleinstellungsmerkmal des Salafismus oder Islamismus. Wenn die Innenminister der Union in ihrer "Berliner Erklärung" darüber befinden, in welchen Bereichen der deutschen Gesellschaft eine Vollverschleierung verboten werden soll, zeugt dies vom Primat eines antiislamischen Kulturkampfs, der die politische und soziale Bruchlinie entlang dieser generalisierten Feindbildproduktion vertieft. Als habe es die finsterste Höllenfahrt in der deutschen Geschichte nie gegeben, wird erneut die Klaviatur abgründigster Ressentiments gegenüber dem als Inbegriff von Rückständigkeit und Unterdrückung bezichtigter Andersartigkeit gespielt. Ideologisch verbrämt als Gefahrenabwehr, Verteidigung der Moderne und Befreiung aus den Fesseln einer archaischen Sozialstruktur im Islam, reklamiert dieser ideologische Feldzug demokratische Errungenschaften, Rechtsstaatlichkeit und eine freiheitliche Gesellschaftsordnung für sich, die einzuschränken er in großen Schritten voranschreitet.

Das vorgeblich ultimative Argument, die Kleidungsvorschriften in islamischen Gesellschaften seien Ausdruck einer Unterdrückung der Frauen, die eine demokratische Gesellschaft nicht dulden dürfe, führt zu einer zentralen Frage in dieser Auseinandersetzung: Wer sind wir, daß wir meinen beurteilen zu können, welche Frau unterdrückt wird und welche nicht? Wenn dann nachgelegt wird, die Frauen wüßten es eben nicht besser, da sie von Kind auf nichts anderes kennengelernt hätten, vollendet dies den paternalistischen Zirkelschluß, der Befreiung von jeder Selbstbestimmung entkoppelt und der Willkür hegemonialer Richtwerte unterwirft.

Daß im angeblich weltoffenen, toleranten und aufgeklärten Europa des Jahres 2016 immer häufiger Frauen beschimpft, angegriffen, ausgegrenzt und verjagt werden, weil sie nach Auffassung ihrer Peiniger zuviel Stoff auf der Haut tragen, ist in seiner ungezügelten Repression eine zwangsläufige Folge entfesselter Grundaggression, die sich bereitwillig gegen für schwächer befundene und als solche verachtete Menschen richtet und kanalisieren läßt. Angesichts wachsender Verelendung, zunehmender gesellschaftlicher Zerrüttung und sich verschärfender sozialer Konkurrenzkämpfe schafft Islamfeindlichkeit nicht nur ein Ventil, sondern blendet die grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüche aus. Pogrome sind Hungerrevolten allemal vorzuziehen, so das Kalkül der Herrschaftssicherung, rühren erstere doch in keiner Weise an den Besitzverhältnissen und Verfügungsstrukturen.

Und nicht zuletzt wird die weltweite Expansion der westlichen Industriestaaten mittels Handel und Waffengewalt, welche die Aneignung der schwindenden Ressourcen, die globale Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und den technologischen Vorsprung zu sichern trachtet, per Antiislamismus unter den Teppich gekehrt. So wird der deutsche Lebensstandard als sicherste Garantie der Stabilität und Botmäßigkeit aus menschlicher Substanz gewonnen, teils hierzulande, doch weit mehr noch anderswo. Der zwangsläufig daraus resultierende Zustrom von Menschen, die überleben wollen, bedarf einer Scheidung und Entsolidarisierung, soll er administrativ eingedämmt und reguliert werden. Von der Parallelgesellschaft eines Tilo Sarazzin, die man nicht hinnehmen dürfe, führt ein kurzer Bogen fremdenfeindlicher und sozialrassistischer Übergriffigkeit mitten hinein in das aktuelle Klima von Anschlagsangst und Mißtrauen, Generalverdacht und Ausbau des Sicherheitsstaats.

Was nun die Burka betrifft, ist die Anzahl vollverschleierter muslimischer Frauen in Deutschland Schätzungen zufolge mit 1000 bis 2000 bei einer Gesamtbevölkerung von rund 83 Millionen verschwindend gering. Da es lächerlich wäre, damit ein Gefahrenpotential zu assoziieren, versichert Bundesinnenminister Thomas de Maizière, die Ablehnung der Burka habe nichts mit Sicherheit zu tun, sondern mit gesellschaftlichem Zusammenhalt. "Gesichtzeigen ist für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft konstitutiv", so der Minister. Man lehne die Burka einhellig ab, da sie "nicht zu unserem weltoffenen Land" passe. [1] Überall dort, wo Gesichtzeigen eine Funktion habe, solle ein entsprechendes Gebot gelten. Dazu gehöre der gesamte öffentliche Dienst, Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Gerichtssäle und alle Situationen, in denen Menschen identifizierbar sein müßten.

Dem könnte man natürlich entgegenhalten, daß auch beim Skifahren oder Motorradfahren, im Karneval oder bei den acht bekleideten Nonnen, die am Strand in den Wellen spielen, wie sie ein Florentiner Imam auf seiner Facebook-Seite zeigt [2], ein verhülltes Gesicht oder eine aus christlich-religiösen Gründen bevorzugte Bekleidung kein ernsthafter Hinderungsgrund für das Zusammenleben sind. Praktische Lösungen wären möglich, so sie denn gewünscht sind. Dies zeigt ein Fall in Düsseldorf, wo eine muslimische Frau vor das Verwaltungsgericht zieht, weil sie wegen des Tragens eines gesichtsverhüllenden Schleiers nicht das Abendgymnasium besuchen darf. Die zunächst erteilte Zulassung war widerrufen worden, weil die Schülerin aus religiösen Gründen ihren Gesichtsschleier im Unterricht nicht abnehmen will. Dabei ist die Muslima durchaus bereit, vor Unterrichtsbeginn vor einer weiblichen Schulmitarbeiterin den Schleier abzunehmen, damit ihre Identität festgestellt werden kann. Die Schule sieht sich jedoch unter diesen Umständen angeblich nicht in der Lage gesehen, die Frau zu unterrichten. [3]

Worum es im Kern tatsächlich geht, zeigen die Anfeindungen, denen sich Trägerinnen eines Burkinis ausgesetzt sehen. So haben sich in einer Therme im Brandenburgischen Bad Saarow Gäste beim Bademeister über zwei Burkini-Trägerinnen beschwert, die daraufhin die Therme verließen. Er habe Verständnis für die Gäste, die sich "angesichts der politischen Gesamtlage" unwohl gefühlt hätten, erklärte später der Betreiber. Deutlich noch drückt es Thierry Migoule aus, Generaldirektor der städtischen Dienste im französischen Cannes, wo Frauen, die sich im Burkini an den Strand wagen, eine Strafe von 38 Euro droht. Es gehe beileibe nicht darum, das Tragen religiöser Symbole am Strand zu verbieten, sondern "demonstrative Kleidung, die auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweist, die gegen uns Krieg führen", so Migoule. [4]

In juristischer Hinsicht hat man es eher mit einem Minenfeld, als einem trittsicheren Terrain zu tun, was die Protagonisten einer Verschärfung in Politik und Verwaltung ihrerseits zur Vollverschleierung - wenngleich im übertragenen Sinn - gemahnt. Offen an der Religionsfreiheit zu rühren, würde sich vorerst als ein Eigentor erweisen. So lautete Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." In Frankreich, Belgien, Lettland und im Tessin ist es indessen bereits verboten, eine Burka zu tragen, wobei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein solches Verbot vor zwei Jahren abgesegnet hat. Der Staat dürfe dadurch sicherstellen, daß ein vernünftiges soziales Miteinander möglich ist. Dieses Votum ist auch in Deutschland bindend, wo sich jedoch das Verfassungsgericht noch nicht mit der Frage befaßt hat. Zum Kopftuch haben die Karlsruher Richter zuletzt entschieden, daß es Ausdruck der Religionsfreiheit sei und einer Lehrerin in einer Schule nur dann verboten werden könne, wenn andernfalls der Schulfrieden gefährdet sei.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam im Dezember 2014 zu dem Ergebnis, daß ein Burkaverbot nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Selbst wenn nach europäischem Recht so ein Eingriff möglich sei, müsse er noch lange nicht nach dem Grundgesetz zulässig sein. Kleidungsvorschriften seien nur gerechtfertigt, wenn das für die Gemeinschaft unbedingt erforderlich ist. Die Burka könne zwar fragwürdig erscheinen, doch nicht alles, was unerwünscht erscheine, könne auch verboten werden. Zudem habe der Einzelne keinen Anspruch darauf, vor religiösen Einflüssen der Umwelt abgeschirmt zu werden. Was die öffentliche Sicherheit angehe, ließen sich mildere Mittel wie etwa ein Anheben des Schleiers bei bestimmten Kontrollen finden. [5]

Daß sich die Inneminister der Union dennoch recht weit aus dem Fenster hängen, dient vordergründig einem parteipolitischen Zweck. Sie wollen angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern der AfD das Wasser abgraben, indem sie deren potentielles Klientel mit rechtspopulistischen Vorstößen auf dem Feld der Sicherheitspolitik bedienen und abzuwerben versuchen. "Der politische Gegner wie die AfD muss sich nach uns richten", beschreibt de Maizière die Taktik, bei der Inneren Sicherheit die von der Union für sich reklamierte Kernkompetenz nicht an die rechte Konkurrenz abzugeben. [6] Das Bestreben, die Hegemonie auf dem rechten Flügel der Gesellschaft wiederzugewinnen, schließt offenkundig nicht aus, die dort aufstrebenden politischen Gewächse rechts zu überholen.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-08/union-burka-verbot-cdu-csu-innenminister-thomas-de-maiziere

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/burkini-verbot-imam-postet-bild-badender-nonnen-a-1108640.html

[3] http://www.n-tv.de/politik/Muslimin-klagt-gegen-Abendschule-article18461301.html

[4] http://www.stern.de/panorama/gesellschaft/burkini-vs-bikini--die-angst-vor-der-angezogenen-frau-7015174.html

[5] http://www.deutschlandfunk.de/burka-verbot-weg-mit-dem-schleier.1773.de.html?dr

[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/burka-verbot-warum-die-union-die-rechte-flanke-absichert-a-1108571.html

21. August 2016


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